St.Gallen

Die «Mission impossible» möglich machen

Die «Mission impossible» möglich machen
Marco Zahner
Lesezeit: 7 Minuten

Die Energieagentur St.Gallen möchte über Multiplikatoren die Energiewende vorwärtsbringen. Dabei will sie nicht belehren, sondern Chancen aufzeigen und motivieren.

Als der Kanton St.Gallen 2012 die Energieagentur gründete, war dies schweizweit ein einzigartiger Schritt. Eigentümer der Energieagentur St.Gallen GmbH sind heute zu je einem Viertel der Kanton St.Gallen, die Stadt St.Gallen, die Gemeinden des Kantons über die Vereinigung der St.Galler Gemeindepräsidenten VSGP und die St.Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG SAK.

Die Ziele damals waren dieselben wie heute: Die fossilen Energieträger in Liegenschaften sollen durch erneuerbare Energien ersetzt werden; dafür soll möglichst viel Strom auf den Dächern produziert werden. Und überall, wo Energie verbraucht wird, soll die Effizienz gesteigert werden. Im Leitbild ist es so formuliert: «Die Energieagentur St.Gallen unterstützt Gemeinden, Regionen und Kanton bei der Erstellung ihrer Energiekonzepte und in der Umsetzung von energetischen Massnahmen. Wir bündeln die Kräfte und begleiten engagierte Akteure zur Förderung der Energieeffizienz und des Einsatzes erneuerbarer Energien.»

Diese Ziele will die Energieagentur über verschiedenste Kanäle erreichen, wie Geschäftsleiter Marco Zahner (Bild) erklärt. Zahner macht auch klar, was die Energieagentur nicht will:  «Wir bewerten nicht das Denken der Leute. Wir wollen nicht belehren und eine Verhaltensänderung erzwingen, sondern motivieren und Chancen aufzeigen. Wir zeigen Best-Practice-Beispiele, wir geben Denkanstösse.»

«Klimaschutz ist ganz klar auch ein Business.»

100 Fördergesuche pro Woche

Ein wesentlicher Teil der Aktivitäten ist in einem Leistungsauftrag des Kantons festgelegt; «da geht es um das ganze Energieförderprogramm», sagt Zahner. Die Energieagentur prüft jährlich zwischen 5000 und 6000 Gesuche für Beiträge an Massnahmen wie den Ersatz einer fossilen Heizung mit einer Wärmepumpe oder die Dämmung eines Gebäudes.

Der Erfolg solcher Förderprogramme hängt wesentlich davon ab, dass potenzielle Nutzniesser das Programm überhaupt kennen und verstehen. Die Energieagentur St.Gallen bietet deshalb allen Menschen im Kanton St.Gallen eine kostenlose Erstberatung für Fragen im Zusammenhang mit Energie an. «Wir können für eine Liegenschaft den individuell besten Weg für eine energetische Modernisierung aufzeigen. Je nachdem, ob eine Modernisierung der Gebäudehülle angezeigt ist oder eine Heizung ersetzt werden sollte, schlagen wir die nächsten Schritte vor», sagt Marco Zahner. «Und wir können den Leuten auch darlegen, welche Förderprogramme für sie infrage kämen.»

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Kostenlose Erstberatung

Nach einer solchen Erstberatung haben Liegenschaftsbesitzer eine erste Idee, die beispielsweise besagt, dass idealerweise zuerst die Fenster erneuert und die Fassade gedämmt und dann die Heizung ersetzt wird. Massnahmen, die teilweise von der öffentlichen Hand gefördert werden, «wir wollen den Kunden ermöglichen, dass die Fördermittel, die ihnen zustehen, auch gesprochen werden.»

Dafür ist vor allem ein korrektes Vorgehen wichtig; «man muss von Anfang an den richtigen Weg beschreiten und ein Gesuch rechtzeitig eingeben», betont Marco Zahner. «Im Nachhinein sagen ‹ich habe etwas gemacht, jetzt will ich noch Geld› funktioniert nicht.» Um es den potenziellen Anspruchsberechtigten möglichst einfach zu machen, erläutert die Energieagentur die jeweiligen Förderrichtlinien, «wir sind da, um zu helfen», sagt Marco Zahner, «das ist für die Bürger kostenlos.»

Nach einer Erstberatung durch die Energieberatung spielt bei den nächsten Schritten der freie Markt, «wir verweisen dann auf privatwirtschaftliche Berater», betont Marco Zahner. Die Energieagentur hat in einem Berater-Pool rund 200 Fachleute im ganzen Kanton gelistet. «Wir haben kein Interesse, diesen Leuten Konkurrenz zu machen; das sind ja unsere wichtigsten Multiplikatoren.»

«Fördern müssen wir das, was nicht läuft. Nicht das, was man ohnehin schon macht.»

Krieg befeuerte Nachfrage

Ein Promotor der Energiewende war gewissermassen auch der russische Machthaber Wladimir Putin. «Als im Raum stand, dass wir ein Energieproblem bekommen könnten, hatten wir einen riesigen Zuwachs an Gesuchen für Wärmepumpen-Förderungen», sagt Marco Zahner. Inzwischen hat sich die Nachfrage nach Fördergeldern wieder auf dem Niveau von vor dem Angriff auf die Ukraine eingependelt.

Alle Massnahmen für eine bessere Energieeffizienz sind eigentlich ziemlich direkte Wirtschaftsförderung. Der Kanton St.Gallen wendet jedes Jahr 20 Millionen für Fördermassnahmen auf, der Bund verdoppelt diesen Betrag, sodass heute 40 Millionen jährlich aus dem Fördertopf eingesetzt werden können. Darin noch nicht mitgerechnet ist die Förderung von Photovoltaik-Anlagen; diese läuft separat über die Pronovo, die Zertifizierungsstelle des Bundes. Für den Kanton St.Gallen werden hier abermals zwischen 20 und 30 Millionen Franken gesprochen.

«Hochrechnungen zeigen, dass die Fördergelder von 40 Millionen Investitionen von rund 400 Millionen Franken im Werkplatz Ostschweiz auslösen», rechnet Marco Zahner vor und sagt: «Klimaschutz ist ganz klar auch ein Business. Es braucht die richtigen Player am richtigen Ort, die das auch verstehen. Wer gefragte Kompetenzen hat, kann mit der Energiewende Geld verdienen.»

Der Erfolg der kantonalen Energiepolitik bemisst sich nur bedingt in der Grösse des Fördertopfs. Auch Marco Zahner fragt sich bei manchen Massnahmen, ob man überhaupt Fördergelder zahlen müsse oder ob es auch andere Möglichkeiten gäbe, das Ziel zu erreichen. «Fördern müssen wir das, was nicht läuft. Nicht das, was man ohnehin schon macht.» Immer lässt sich die Wirkung der Fördermassnahmen an eingespartem CO₂ pro Franken beziffern, «da ist der Kanton St.Gallen immerhin im oberen Drittel.»

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Kompetenz für Gemeinden

Das Förderprogramm des Kantons abzuwickeln und zu beraten, ist der grösste Leistungsauftrag. Daneben hat die Energieagentur weitere Aufträge der anderen Eigentümer, von den Gemeinden, der Stadt St.Gallen und der SAK AG.

Mit einem Standbein ist die Energieagentur auch auf dem freien Markt tätig. Die GmbH ist unter anderem die Zertifizierungsstelle für Minergie- und SNBS-Bauten in der ganzen Ostschweiz und Fürstentum Liechtenstein. SNBS steht für Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz und kommt vor allem bei grösseren Vorhaben zum Tragen. Minergie ist ein Label, das für nachhaltige und energieeffiziente Neubauten und Erneuerungen steht. Als am Markt tätiges Unternehmen erstellt die Energieagentur auch Wärmeversorgungspläne und Energiekonzepte für Gemeinden.

«Das wird aktuell stark nachgefragt; die Gemeinden müssen ein Energiekonzept machen und dabei die Ziele des St.Galler Energiekonzepts 2021 bis 2030 berücksichtigen», sagt Marco Zahner. Die Energieagentur zeigt dann auf, wo in der Gemeinde fossile Energie verwendet wird, die im Rahmen einer Gesamtstrategie ersetzt werden kann. Fachleute aus dem 17-köpfigen Team der Energieagentur sind auch in Energie- und Umweltkommissionen von Gemeinden vertreten; «das wird sehr geschätzt, weil unsere Leute ein breites Wissen einbringen», sagt Marco Zahner. Zu den verschiedensten Mandaten zählen manchmal auch solche für ganze Regionen.

«Wir müssen jetzt die Weichen richtig stellen.»

Selbstverständnis als Brückenbauer

Das Ausrichten des jährlichen Energiekongresses ist für die Energieagentur eine Mischrechnung. Der interne Aufwand für die Organisation ist durch den Leistungsauftrag des Kantons abgedeckt. Die Location oder die Honorierung der Referenten wird als im freien Markt tätiges Unternehmen abgerechnet; «in der Gegenrechnung stehen dann unter anderem die Billette, darum kostet der Kongress auch etwas», erklärt Marco Zahner. An diese Einritte zahlen verschiedenste Partner wiederum einen Beitrag. So kosten beispielsweise Billette für Einwohner des Kantons St.Gallen nur 90 statt der offiziellen 290 Franken; die Differenz zahlt der Kanton. Der Energiekongress passt optimal zum Auftrag der Energieagentur, «unser oberstes Ziel ist die Energiewende», sagt Marco Zahner; um dieses Ziel zu erreichen, will die Energieagentur Brückenbauer zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sein. «Es ist ja immer so: Wenn die richtigen Leute miteinander reden, geht es plötzlich vorwärts.»

Der diesjährige Energiekongress steht unter dem Titel «Mission impossible», der Geschäftsleiter der Energieagentur findet den Vergleich mit den Hollywood-Blockbustern durchaus zutreffend. «Natürlich wollen wir mit dem Slogan etwas polarisieren», sagt Marco Zahner und fügt schmunzelnd bei: «Aber es passt doch: Die Situation ist brenzlig, die Zeit ist knapp, aber am Schluss retten wir die Welt.»

Mit der knackigen Botschaft zielt Marco Zahner auf den Kern der Energiewende: «Wir haben 26 Jahre Zeit, um wirklich Netto-Null 2050 umgesetzt zu haben, das wird extrem sportlich.» Der Geschäftsleiter der Energieagentur betont deshalb: «Wir müssen wirklich jetzt anfangen, vorwärtszumachen und jetzt die Weichen richtig stellen.» Um das hochgesteckte Ziel zu erreichen, müssten jetzt die notwendigen Massnahmen sauber geplant werden. «Wenn ich heute eine Heizung ersetze, hält die mindestens 20 Jahre. Dann bin ich schon sehr nahe an 2050, also sollte ich mich nicht für die falsche Heizung entscheiden.»

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Bald ein Nachhaltigkeitskongress

Am Energiekongress sind grundsätzlich alle interessierten Leute willkommen, das eigentliche Zielpublikum umschreibt Marco Zahner mit «Entscheidungsträger aus der Wirtschaft, insbesondere aus KMU; Gemeindevertreter wie Leute aus Energiekommissionen oder Gemeinderäte; und die ganzen Versorger.» Die Themen sind bewusst sehr breit angelegt, noch läuft der Anlass unter dem Namen Energiekongress, Marco Zahner kann sich aber gut vorstellen, dass in wenigen Jahren auch der Namen offener formuliert wird und dann vielleicht von einem Nachhaltigkeitskongress gesprochen wird. «Unser Publikum besteht hauptsächlich aus Leuten, die professionell in einem Bereich von Nachhaltigkeit tätig sind.»

Neben dem Energiekongress organisiert die Energieagentur weitere Anlässe, darunter viermal jährlich den Energietreff SG, an denen vor allem Handwerker, Berater und Planer aus den Bereichen Architektur, Bauen und Energie teilnehmen. Im Schnitt sind 80 Leute vor Ort und etwa noch einmal so viele verfolgen den Livestream. Diese Anlässe wurden bisher stets in St.Gallen durchgeführt; neuerdings wird der Event auch in den Regionen organisiert; ein erster Anlass fand gerade in Rapperswil-Jona statt.

Neue Themen am Horizont

Wenn die Energieagentur ihren Job gut macht, müsste sie 2050 überflüssig sein. Wird sie nach geschaffter Energiewende also aufgelöst? «So weit reicht unsere Strategie noch nicht», meint Marco Zahner. Doch vermutlich dürfte das Kompetenzzentrum mit erweitertem Auftrag weiter bestehen: «An uns wird von verschiedenen Seiten der Wunsch herangetragen, dass wir uns noch um andere Themen als nur Energie kümmern.» Dazu gehören die Kreislaufwirtschaft, Biodiversität und ganz generell Anpassungen an den Klimawandel.

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