Felchen, Egli – aus! Schleie, Karpfen und Wels im Trend
5 Uhr morgens – Reto Leuch ist auf dem Bodensee: «Fische fängt man bei Tagesanbruch beim Jagen.» Oft begleitet ihn Sohn Roman, der die Lehre macht. Junge Fischer gibt’s kaum mehr. Immer weniger, immer ältere hat es. «Vor dreissig Jahren fuhren 140 Fischer auf den See, jetzt noch 50», erzählt Leuch. Obwohl: Fische gäbe es genug, wenn auch nicht die bei Schweizern beliebten Egli und Felchen. Deutsche haben eine üppigere Fischkultur. Für Gourmets, die saisonal-regionale Küche mögen, bietet der Bodensee Welse, Schleien, Karpfen oder Aale. Heute werfen die Leuchs ihre Schleien-Netze in Ufernähe aus. Noch suchen solche Fische ihre Liebhaber. Ihr Fleisch ist anders, Zubereitung und Genuss noch ungewohnt. Langsam dämmert es auf dem See – und auch bei den Gourmets. Den Egli hat Leuch noch nicht aufgegeben. Deshalb fahren sie heute auch hinaus, wo Egli jagen sollten. «Trotz Saison wird’s schwierig, die Kormorane waren hier», seufzt Leuch. Die Egli-Netze werden heute leer bleiben.
Aale und menschengrosse Welse
Während die Netze auf Beute warten, holen die Leuchs zappelige Aale aus den stationären Reusen: «So fischten schon die Pfahlbauer.» Die Leuchs räuchern sie und verkaufen sie im eigenen Laden in Landschlacht, wo sie auch Obstbau betreiben. Von der Fischerei zu leben, wird immer schwieriger. In den Reusen verfangen sich auch Welse – bis zu achtzig Kilogramm schwer. «Für solche Exemplare braucht es findige Gastronomen.»
Leid und Leidenschaft in der Fischerei
Bevor die Netze eingeholt werden, bleibt Zeit für nachdenkliche Worte. Die Bodensee-Fischerei hat es nicht einfach: Zu klares Seewasser bietet kaum mehr Nahrung für Fische. Eingeschleppte Quagga-Muscheln fressen ihnen das Futter weg und greifen Fischernetze an. Kormoran-Kolonien breiten sich aus und fressen jährlich gut 500 Tonnen Felchen, Egli und Co. – ein Mehrfaches der gefischten Menge. Der Klimawandel sorgt für weniger Zirkulation im See – Wärme und zu wenig Sauerstoff machen den Fischen und ihren Eiern zu schaffen. Hinter diesen sind immer mehr Stichlinge her, Laichräuber. Nun gilt ein Felchen-Fangverbot. Dabei wäre die Kulisse an diesem Augustmorgen von betörender Schönheit: Prächtig geht die Sonne über dem deutschen Ufer auf, Möwen rufen schrill durch die Morgenröte, ein Reiher umkreist das Boot, setzt sich auf den Bug, schreitet dem Ruder entlang. «Ein alter Bekannter!» schmunzelt Leuch. «Er weiss, er bekommt jetzt was.» In diesem Moment versteht man, weshalb die Fischer an ihrem – wenn das Wetter mitspielt – idyllischen Beruf hängen. Doch Leuch ist klar: «Am Bodensee ist Umdenken nötig.»
Netze einholen
Die Schleien-Netze werden rasch eingeholt. Die Fische sollen nicht zu lange im warmen Wasser zappeln; ein Dutzend grosse Fische verfängt sich. Sie werden befreit und mit einem Schlag auf den Kopf betäubt. Ausser Schleien fangen die Leuchs einen Hecht und einen riesigen Karpfen. Er verlangt einige Kraft ab, entschlüpft ins Boot und springt herum, bis sich Reto Leuch auf ihn setzt und der Szene ein Ende bereitet. «Wir könnten noch mehr solche Fische fangen.» Doch der Markt sei klein. Auch im Lieferwagen, der beim Bootsplatz wartet, wäre noch mehr Platz. So geht es mit einer Kiste Fische zurück in den Fischereibetrieb.
Verarbeitung und Veredelung
«Gräten sind ein Killerargument», sagt Barbara Leuch. So ist die ganze Familie im Einsatz, um auch knochige Fische wie Hechte restlos zu entgräten. Sind die Gräten weg, ist Hecht ein dankbarer Fisch für die Zubereitung; sein kompaktes Fleisch zerfällt kaum. Wels hingegen ist zart und weich. Der Kunde im Fischladen scheint das gehört zu haben: «Guten Tag! Ich möchte Wels probieren.» Der Markt für diese Fische muss neu aufgebaut, Gastronomen überzeugt werden. Kreativität ist gefragt. Die Leuchs beliefern erste einfallsreiche Köche: Aus Karpfen machen sie Ceviche oder Sushi, «Chnusperli» von der Schleie. Für einen Riesenwels rufen findige Köche über soziale Medien zum Gourmet-Happening.
Die eigene Esskultur weiterentwickeln
Im Restaurant Seegarten ist der Name Programm. Fisch muss auf die Karte. «Wir wollen mehr Region reinbringen», sagt Charlie Günter, der den Betrieb vor zwei Jahren vom Vater übernahm. Dieser pflegte die gehobene französische Küche, der Charlie Günter nach und nach Lokalkolorit einhaucht. Leuch ist fester Lieferant. «Unsere Kunden führen wir mit einem Mix aus Bewährtem und kreativen Überraschungen an unsere neue Küche heran», sagt der innovative Chef. So besteht die hausgemachte Fischsauce beim Vitello «Tonnato» nicht aus Thun, sondern aus Karpfen vom Bodensee. Als Tagesfang gibt es einen butterzart gegrillten Wels auf Vermouth-Schaum, Stangensellerie und Pfefferminzöl, dazu frittierte Hechttaschen – so schmeckt ein kulinarischer Traumsommer am Bodensee. «Wir wollen die hiesige Kultur feiern und weiterentwickeln.» Sie müsse sich nebst den weiterhin zubereiteten französischen Klassikern auf der Karte nicht verstecken – solle künftig gar mehr Platz einnehmen. Und das nicht nur der Nachhaltigkeit zuliebe.
Text: Pascal Tschamper
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer