Von Lerchen und Eulen
Gesunder Schlaf lässt sich anhand vier Merkmalen zusammenfassen: Quantität, Tiefe, Kontinuität und Regelmässigkeit. Die Quantität ist dabei individuell; bei den meisten Erwachsenen sind es zwischen sieben und neun Stunden.
«Sie haben sicherlich schon von den Chronotypen – Lerchen und Eulen – gehört, d.h. die Präferenz, früher oder später ins Bett zu gehen oder aufzustehen. Im Schlaf durchlaufen wir verschiedene Schlafstadien, wobei insbesondere der tiefe Schlaf wesentlich zur Gedächtnisleistung, körperlichen Regeneration und Vorbeugung von Krankheiten eine wesentliche Rolle spielt», erklärt Gavin Brupbacher, Forschungsleiter der Klinik Oberwaid.
Laune vom Schlaf abhängig
Ein möglichst ununterbrochener Schlaf ist ebenfalls wichtig, etwa für die Stimmungslage am nächsten Tag. Bei vergleichbarer Verringerung der Gesamtschlafzeit hat eine Unterbrechung der Schlafkontinuität einen nachteiligeren Effekt auf die positive Stimmung als eine spätere Einschlafenszeit. Wichtig ist auch die Regelmässigkeit des Schlafs über die Nächte hinweg.
«Wir brauchen den Schlaf, um uns körperlich und psychisch zu regenerieren. Schlafentzug oder ein über längere Zeit andauerndes Schlafdefizit schädigt die Gesundheit auf mehreren Ebenen. Wollen wir körperlich, kognitiv und emotional voll funktions- und leistungsfähig sein, ist es wichtig, dass wir gut schlafen. Dies hängt unter anderem mit verschiedenen Prozessen zusammen, die nur nachts, in spezifischen Schlafphasen stattfinden», sagt Anke Schneiders, Chefärztin Psychosomatik in der Klinik Oberwaid.
Immer wieder gibt es prominente Stimmen, die sagen, dass sie mit wenig Schlaf auskommen und dadurch sogar leistungsfähiger sind. So soll Superstar Cristiano Ronaldo pro Nacht fünfmal 90 Minuten schlafen. Gavin Brupbacher sagt dazu: «Es gibt Menschen, die mit sehr wenig Schlaf gesund sind. Es sind jedoch nur wenige. Oft steht hier der Schlaf-Machismo, ein Leistungsideal, im Vordergrund. Studien haben gezeigt, dass bereits wenige Tage mit nur sechs Stunden Schlaf zu einer deutlichen Einschränkung der Alltagsfunktionalität, insbesondere der kognitiven Leistungsfähigkeit, führen. Die Studien zeigen auch, dass wir diese reduzierte Leistungsfähigkeit lange nicht wahrnehmen.»
Schlechter Schlaf als Stressor
Schlafprobleme sind häufig die ersten Zeichen einer sich zeigenden Stressfolgeerkrankung. Einerseits führt anhaltender Stress bei vielen Menschen zur Beeinträchtigung des Schlafs; Ein- und Durchschlafprobleme sowie Früherwachen. Andererseits kann ein beeinträchtigter Schlaf ein starker Stressor – vorwiegend bei leistungsorientierten Persönlichkeiten. Bei anhaltenden Schlafstörungen mit daraus resultierender Tagesmüdigkeit darf man die schlafbezogenen Atmungsstörungen nicht vergessen.
«Ist der Schlaf über längere Zeit beeinträchtigt, führt dies häufig zu dysfunktionalen Copingmechanismen, die zusätzlichen Stress erzeugen und die Schlafstörung verstärken», so Anke Schneiders. Diese gingen häufig mit einer zunehmenden Beeinträchtigung des psychophysischen Erlebens einher.
Diverse Faktoren
«Nach den gängigen Diagnosekriterien liegt eine Insomnie vor, wenn über mindestens einen Monat lang dreimal in der Woche Ein- oder Durchschlafstörungen oder eine schlechte Schlafqualität vorliegen. Laut der Schweiz. Gesundheitsbefragung beklagen rund 20 Prozent einen unruhigen Schlaf», so Schneiders. Unterschieden wird bei der Ursache zwischen prädisponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren. Prädisponierende erhöhen das Risiko einer Insomnie. Dazu gehört ein dem Schlaf nicht zuträglicher Lebensstil wie unregelmässige Bettzeiten, zu hoher Alkoholkonsum, psychische Erkrankungen, Persönlichkeitsfaktoren – etwa Perfektionismus –, ausgeprägte Leistungsorientierung, höheres Alter oder Genetik. Auslösende Faktoren sind oft ein akutes Stresserleben, chronische Überforderung, die nicht mehr kompensiert werden kann, zwischenmenschliche Konflikte oder körperlichen Beschwerden.
«In den meisten Fällen klingen die Schlafstörungen erfreulicherweise nach einigen Nächten wieder ab. Dysfunktionales Schlafverhalten (Schlafen am Tag, zu frühe und/oder unregelmässige Bettzeiten) oder dysfunktionale schlafbezogene Gedanken («Ich muss jetzt sofort einschlafen») begünstigen jedoch die Aufrechterhaltung der Schlafstörungen und somit die Entwicklung zu einer Insomnie», so die Expertin.
Eine weitere, oft nicht erkannte Schlafstörung ist die schlafbezogene Atmungsstörung. Sie ist durch abnormale Muster und Unterbrechungen der Atmung während des Schlafs gekennzeichnet. Auch starkes Schnarchen oder Nach-Luft-Schnappen sind Anzeichen dafür. «Häufig werden diese Phänomene nicht von der Betroffenen selbst, sondern von den Bettpartnern bemerkt. Durch die gestörte Atmung wird der Körper in der Nacht mehrfach in einen Alarmzustand versetzt. Betroffene fühlen sich beim Erwachen wie gerädert und klagen über Tagesschläfrigkeit», sagt Gavin Brupbacher.
Bleibt eine schlafbezogene Atmungsstörung über längere Zeit unbehandelt, erhöht sich das Risiko für schwere chronische Krankheiten, u.a. Herz-Kreislauf- oder Stoffwechsel-Erkrankungen. «Entsprechend wichtig ist es, solche Erkrankungen zu erkennen und rechtzeitig spezifisch zu behandeln», unterstreicht Brupbacher.
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Früh handeln
So essenziell Schlaf ist, so gut lässt er sich beeinflussen: Wichtig ist die Förderung der Entspannungsfähigkeit und regelmässige adäquate Bewegung: «Sorgen Sie für eine gute Schlafumgebung, so sollten Licht- und Lärmquellen vermieden werden. Um die Stabilität unseres Schlaf-Wachrhythmus zu fördern, sollten wir, insbesondere in der ersten Tageshälfte, das Tageslicht aufsuchen und am Abend grelles Licht, etwa LED-Bildschirme, vor dem Einschlafen meiden. Ebenso sollten Alltagsaktivitäten wie Essen oder Fernsehschauen nicht ins Schlafzimmer verlegt werden», betonen die Oberwaid-Experten.
Anke Schneiders und Gavin Brupbacher forschen im Bereich der Schlafmedizin und raten bei einer anhaltenden Schlafstörung, einen Experten aufzusuchen: «Am Anfang jeder Therapie steht eine gründliche Abklärung der Ursachen. Bei der Insomnie werden durch Schulung, und psychotherapeutische Interventionen (u.a. psychologische Gespräche, gezielte Übungen) dysfunktionale Denkmuster verändert und die Entspannungsfähigkeit sowie schlafbegünstigende Verhaltensweisen gefördert.» Auch adäquate Bewegung verbessert den Schlaf, wobei Kraft- und Ausdauertraining sowie Mind-Body-Trainings wie Yoga oder Qi Gong nachweislich wirken. Bei anhaltend schwerer Symptomatik kann vorübergehend eine medikamentöse Behandlung notwendig sein. Bei schlafbezogenen Atmungsstörungen ist in manchen Fällen bereits eine Gewichtsreduktion ausreichend; bei schwereren Fällen braucht es eine atmungsunterstützende Therapie.
«Ist die Funktionsfähigkeit im Alltag stark eingeschränkt, sollten Sie mit Ihrem Arzt Kontakt aufnehmen. Je nach Ursache ist eine längere Behandlung, die von der Krankenkasse übernommen wird, angezeigt. Die Oberwaid-Kur ‹Erholsamer Schlafen› etwa enthält eine fundierte Abklärung, inkl. Schlafmessung Darauf aufbauend erarbeiten wir mit den Kurgästen individuelle schlaffördernde Techniken. Dadurch können Sie erfahren, wie Sie Ihren Schlaf nachhaltig verbessern können», so Schneiders.
Text: Miryam Koc
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer