Eine neue Generation schreibt die Schlaepfer-Story weiter
Vieles hat sich in den vergangenen sechs Jahren verändert, seit Forster Rohner 2016 die Jakob Schlaepfer AG von der Filtex AG übernahm. Mit diesem Schritt kamen zwei Traditionshäuser zusammen: Jakob Schlaepfer AG wurde 1904 als Stickerei von Rudolf Vogel in St.Gallen gegründet, also gleichzeitig wie Forster-Willi & Co., der ersten Firma der Forster Rohner Gruppe.
Für die neuen Besitzer war klar, dass Jakob Schlaepfer, bisher im Westen der Stadt an der Fürstenlandstrasse ansässig, möglichst bald sein Domizil am Forster-Rohner-Sitz an der Flurhofstrasse 150 im Osten St.Gallens haben soll. Dadurch wurde schliesslich die bauliche Erweiterung ausgelöst. Nach einer Übergangsphase in Provisorien können sich seit Juli 2022 Verkauf und Administration wie auch das Atelier von Jakob Schlaepfer auf je knapp 400 Quadratmetern Fläche im Neubau ausbreiten.
In beiden Geschossen wirken viele neue Köpfe, das Traditionshaus hat nach der Übernahme einen Generationenwechsel vollzogen. Insbesondere steht seit anstelle des langjährigen, prägenden Gestalters Martin Leuthold, der 2018 pensioniert wurde, heute ein Kollektiv von elf Designerinnen, das sehr teamorientiert arbeitet.
Wissen, was der Markt will
«Wir wollten eine neue Generation», erklärt Emanuel Forster, der Jakob Schlaepfer in der Gruppe verantwortet. «Das bedingte, dass wir uns bewusst wurden, was der Markt eigentlich wünscht.» Neben der eigenen Kollektion, in der die Designerinnen immer auch neue Ideen ausprobieren, ist Jakob Schlaepfer sehr stark kundenorientiert unterwegs: «Wenn für Chanel entworfen wird, dann versucht man Chanel umzusetzen – und nicht Jakob Schlaepfer.»
Doch nicht nur Jakob Schlaepfer hat sich gewandelt, wie Geschäftsführer Fabio Di Silvio erklärt: «Der Markt veränderte sich in den vergangenen Jahren komplett.»
«Trotz der Neupositionierung haben wir nach wie vor die typische Schlaepfer-Signatur», betont Fabio Di Silvio. «Wir arbeiten mit den gleichen Materialien und Materialstrukturen; wir hatten beispielsweise immer Tweeds in der Kollektion, die haben wir immer noch.» Jede neue Kollektion ist klar gegliedert, um all die vermuteten Bedürfnisse der verschiedenen Anspruchsgruppen abdecken zu können. Es ist klar definiert, wie viele Elemente davon eine innovative, neue Handschrift tragen, und wie viele an die erwarteten, bisherigen Kreationen von Jakob Schlaepfer angelehnt sein sollen.
Alleinstellungsmerkmal Pailletten
Seit den Sechzigerjahren ist die Pailletten-Stickerei ein Markenzeichen von Jakob Schlaepfer. Ab 1983 nutze das Unternehmen dafür in Lizenz ein Patent von Forster Willi, das die Firma wiederum vom Erfinder erworben hatte. Heute machen auch alle Billig-Anbieter etwas mit Pailletten, trotzdem hat sich Jakob Schlaepfer hier ein Alleinstellungsmerkmal erhalten: «Wir machen unsere Pailletten selbst», erläutert Fabio Di Silvio, «die Grundfolie kommt von einem Lieferanten aus Altenrhein. Wir haben Folien darunter, von denen andere gar nicht verstehen, wie sie aufgebaut sind.»
Den Zeitgeist abbilden
Wenn eine neue Kollektion entwickelt wird, bringen zum Start alle Designerinnen eine individuelle Recherche mit. Diese Anregungen und Ideen werden geclustert, «wir suchen Überschneidungen», sagt Composé-Designerin Friederike Stanitzek, «so entstehen Themenfelder, die den Zeitgeist abbilden.» Aus diesen Eindrücken werden Moodboards entwickelt und unterschiedliche Farbwelten abgeleitet, um auch unterschiedliche Kunden auf der ganzen Welt bedienen zu können.
Das Konzept der Kollektion entsteht so im Team, «dabei bilden sich automatisch Grüppchen», erklärt Annika Albrecht, auch sie Composé-Designerin. Wenn verschiedene Designer ähnliche Idee haben, entsteht eine Kollaboration.
Entwickeln für Kunden
Die Gestaltung der Kollektionen nimmt etwa die Hälfte der Zeit in Anspruch, in der anderen Hälfte entwickelt das Design-Team für Kunden konkrete Wünsche weiter. «Gerade die globalisierten Marken wollen ihr Design vermehrt auch selbst bestimmen», sagt Fabio Di Silvio. Diese Kunden kaufen nur wenige Produkte direkt aus der Kollektion; sie lassen sich aber davon inspirieren, um ihre Ideen zu entwickeln.
«Die Kunden geben uns viele unterschiedliche Inspirationsbilder, die wir dann in eine textile Fläche übersetzen», sagt Fabio Di Silvio. Unter den Entwürfen muss es auch immer etwas Neues haben, ein neuer Technik-Mix, eine neue Material-Kombination, die es so noch nicht gab. «Der Nouveauté-Charakter ist wichtig.» In jedem Fall müssen die Designs «auf dem allerhöchsten Niveau begeistern. Sonst kauft man nicht Jakob Schlaepfer».
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Auf den Markt gehört
Jakob Schlaepfer bedient drei Arten von Kunden: die Couture-Ateliers, die grossen Brands wie Chanel, Louis Vuitton oder Balenciaga, und vor allem in Asien auch Retailer für Stoffe. Dominierend sind seit der Pandemie die industriellen Kunden, «die haben sich viel schneller erholt», sagt Fabio Di Silvio. Deshalb profitiert Jakob Schlaepfer jetzt davon, dass das Unternehmen je länger, je mehr auf den Markt gehört hat und sich bemühte, diese Bedürfnisse zu decken. Es reicht nicht mehr, nur auf die eigene Kreativität zu setzen: «Wir sind wirklich sehr sensibel am Markt unterwegs. Das rettet uns, denn vom Couture-Geschäft alleine könnten wir nicht mehr leben», hält Fabio Di Silvio fest. Bei Jakob Schlaepfer hat eine strukturelle Veränderung stattgefunden, hin zum Bereich industrielle Prêt-à-porter im Luxus-Segment. «Damit können wir den Umsatz generieren, den wir heute brauchen.»
Etwa 1200 Stoffentwürfe entstehen Jahr für Jahr bei Jakob Schlaepfer, viele davon in aussergewöhnlichen Materialkombinationen und raffinierten Techniken. Wenn sich ein Kunde für ein Produkt entscheidet, wissen die Designerinnen und die Verkäufer in den allermeisten Fällen nicht, was sie daraus machen wollen.
«Wir verfolgen natürlich die Modeschauen und freuen uns, wenn es ein Design von uns auf den Laufsteg geschafft hat», sagt Annika Albrecht. Was die Couturiers dann erschaffen haben, überrascht oft auch die Profis von Jakob Schlaepfer: «Gewisse Sachen erwartet man wirklich nicht», meint Fabio Di Silvio.
«Es ist sehr interessant, Produkte zu gestalten, die im Haute-Couture-Bereich funktionieren und als interessanter Blickfang auch etwas absurd sein dürfen», hält Friederike Stanitzek fest. Die Kollektion müsse aber wie eine Toolbox auch andere Bereiche abdecken, sagt Fabio Di Silvio: Tragbarere Varianten für Kleider, die man vielleicht nicht nur auf dem Laufsteg sieht.