Die Prozesse radikal neu gedacht
Stickereien für Lingerie sind seit zwei Jahrhunderten ein Rückgrat der schweizerischen Stickereibranche. Auf diesem Erbe fusst die Business-Unit Forster Rohner. Noch immer beginnt jede Kollektion und jede kundenspezifische Entwicklung mit einer Handskizze. Diese entstehen bei Forster Rohner mithilfe von Grafik-Tablets.
Der klassische Prozess
«Wenn eine Designerin eine Blüte zeichnet, muss sie alle technischen Details schon im Hinterkopf haben und verstehen, wie die Maschine funktioniert», sagt Elisheva Senn, die Leiterin des Lingerie-Bereichs von Forster Rohner. Je nach vorgesehenem Produktionsstandort unterscheidet sich die Stickereitechnik – Details, die ins Design einfliessen. «Sonst lässt man eine schöne Skizze auf der Maschine sticken und ist über das Resultat enttäuscht.»
Von den über 200 Designs, die pro Saison bei Forster Rohner entstehen, gibt es in der Regel drei Farbvarianten. «Die Farbe gibt einem Design die Seele», sagt Elisheva Senn, «wir können mit der falschen Farbgebung ein Design auch ruinieren.» Bei einer normalen Stickerei ist die Variation der Farben durch die Anzahl Nadeln limitiert. Forster Rohner kann aber auch Stickereien in einem weiteren innovativen Arbeitsgang bedrucken: Ein Printer mit einer Kamera erkennt das Muster der Stickerei und kann präzise platziert mehrfarbige Muster eindrucken. Diese Innovation hat Forster Rohner vor einigen Jahren eingeführt und pusht hier jede Saison neue Ideen.
Wünscht der Kunde eine Anpassung an einer Stickerei, wird in St.Gallen eine Skizze gemacht, daraufhin werden in China physische Muster gestickt, die dem Kunden geschickt werden oder die direkt in China zu Prototypen verarbeitet werden. So vergehen mindestens vier Wochen, bis der Kunde einen BH in der Hand hat. Wenn es dann wieder Anpassungen gibt, geht das Muster zurück in die Kreation in St.Gallen – und der Kreislauf wiederholt sich. Wenn es gefällt und in die Kollektion des Kunden kommt, werden die grossen Metragen bestellt. Die Design- und Sales-Teams in St.Gallen müssen den Markt sehr gut kennen und verstehen, um alles direkt auf den Punkt zu entwickeln und Ende Saison den Auftrag zu holen.
Schritt zur integralen Digitalisierung
Der traditionelle Workflow ist alles andere als nachhaltig, er ist sehr Material- und Kosten-intensiv und dauert sehr lange. Doch in den vergangenen zwei Jahren hat Forster Rohner diese Prozesse völlig neu gedacht. Schon vor der Corona-Pandemie hatte Elisheva Senn Kontakt mit einer ehemaligen Kundin, die in den Niederlanden das Start-up HYPERcurve Studio, ein 3D-Studio, das auf die Darstellung von Bodywear spezialisiert ist, gegründet hatte. Als dann die Pandemie kam und sie plötzlich Kunden nicht mehr wie gewohnt bemustern konnte, war für Elisheva Senn schnell klar: «Das Digitale birgt ein Riesen-Potenzial.»
Sie begann, die neuen Möglichkeiten intensiv auszuloten, Emanuel Forster unterstützte sie in dieser Intention: «Genau solche Geschichten sollen hier an der Flurhofstrasse 150 Raum haben», betont er.
In einem ersten naheliegenden Schritt wurde in einen 3D-Scanner investiert. Um von Stickerei-Mustern dreidimensionale Scans anzufertigen, die den Kunden geschickt werden können. Richtige Digitalisierung ist aber radikaler: «Wenn wir diesen Weg gehen, dann müssen wir zu 100 Prozent in der digitalen Welt bleiben können, also nicht zuerst physisch Sachen herstellen und diese dann wieder digitalisieren. Nur so haben wir im ganzen Ablauf volle Kontrolle über alle Aspekte», erklärt Elisheva Senn. «Nun nehmen wir die Koordinaten, die die Stickmaschine steuern, und übersetzen diese direkt in eine digitale Stickerei.»
Kunden sehen den Mehrwert
Im 3D-Studio können die Kunden solche Entwürfe auf einer Auswahl von standardisierten BH einsetzen – statt nach mehreren Wochen haben sie innert Tagen einen guten Eindruck von der Wirkung eines Designs. Möchte ein Kunde dann ein anderes Garn einsetzen, eine Farbe wechseln, dann lässt sich das mit wenigen Klicks ändern. «Innert zweier Wochen haben wir viele Loops gemacht, die früher ein halbes Jahr dauerten.» Ein Argument, das inzwischen auch die Kundschaft überzeugt, wie Elisheva Senn merkt: «Diese Technologie zeichnet uns auf dem Markt aus und macht uns einzigartig, die Kunden sehen den Mehrwert.»
Auch qualitativ hat dies positive Auswirkungen: «Wir können während der Entwicklungsphase die Pace hochhalten, die Designer bleiben dran.» Die Kunden ihrerseits müssen nicht vier Wochen warten, bis sie einen Entwurf weiterverfolgen können – Zeit, in der sie allenfalls das Interesse an einem Entwurf verlieren oder anderswo etwas Neues entdecken.
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Wissen aus der Gaming-Industrie
Wer echte Innovation betreibt, kann nicht auf bewährte Standard-Produkte zurückgreifen und muss sich ein breites Netzwerk aufbauen, um an die benötigten Informationen zu kommen. Das musste auch Elisheva Senn erfahren, als sie eine Lösung suchte, um die Oberflächen der gestickten Garne detailliert darstellen zu können – so, dass sich die Lichtreflexion auf der virtuellen Stickerei bei einer Bewegung im Raum realistisch verhält. Die Recherche ergab, dass allenfalls Software aus der Gaming-Welt diese Anforderungen erfüllen kann. Forster Rohner hat sich ein solches Programm für Texture-Effekte beschafft, um es auf die eigenen Bedürfnisse zu adaptieren und weiterzuentwickeln. «Das ist allerdings hochkomplex», sagt Elisheva Senn, «Wir haben rasch gemerkt, dass wir einen spezialisierten 3D-Artist benötigen». Auch den fand Forster Rohner in der Gaming-Industrie in den USA. «Bis die zuständigen Behörden in St.Gallen dem Mann die Arbeitsbewilligung erteilten, war dann noch einiges an Erklärung notwendig», erinnert sich Emanuel Forster.
Die Reise geht weiter
«Alle in der Branche haben angefangen, ihre Prozesse zu digitalisieren», ist sich Elisheva Senn bewusst, «der Markt bestätigt uns aber, dass wir am weitesten sind und etwas haben, was uns einzigartig macht.»
Ideen für die Weiterentwicklung im Digitalisierungsprozess sind in Hülle und Fülle vorhanden, wie Elisheva Senn sagt: «Alles geht weiter in die Richtung des Schaffens weiterer Mehrwerte für unsere Kunden.»