Ostschweiz

Klimaschutz ist ein Milliardengeschäft

Klimaschutz ist ein Milliardengeschäft
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Jedes Jahr werden in der Ostschweiz über eine Milliarde Franken in Klimaschutz-Massnahmen investiert – Nachhaltigkeit ist längst ein bedeutender Wirtschaftsfaktor geworden.

Seit über 30’000 Jahren können Menschen mit Hilfsmitteln ein Feuer entfachen und somit Energie bewusst nutzen. Allfällige Schattenseiten der Energienutzung spielten im Verlauf der Geschichte kaum je eine Rolle. Auch als Anfangs der 1970er-Jahre der Ölschock die energiehungrige Welt traf, ging es um alles andere als ökologische Fragen. Es war primär ein Erdöl-Preis-Schock, der vor allen die westlichen Industrie-Nationen erschütterte. Die Politik verordnete zwar einige autofreie Sonntage, doch Themen wie Energieeffizienz fanden wenig Beachtung. Es ging primär darum, Energie verfügbar und bezahlbar zu machen. Noch vor dem Ölschock hatte 1972 der Club of Rome (ein breiter Zusammenschluss von Experten verschiedenster Disziplinen) seine Studie «Die Grenzen des Wachstums» präsentiert und explizit Umweltschäden thematisiert. Das Buch wurde zu einem intellektuellen Anstoss, konkreten Einfluss auf das Verhalten im Alltag hatte es vorerst kaum.

Das war auch in der Schweiz so, obwohl das Land schon Jahrzehnte zuvor Pionierarbeit geleistet hatte. Die schweizerischen Eisenbahngesellschaften sammelten bereits vor der Gründung der SBB 1902 Erfahrungen mit elektrischen Antrieben, nach dem Ersten Weltkrieg beschlossen die SBB dann, in ihrem Netz ganz auf Strom zu setzen, um von der ausländischen Kohle unabhängig zu werden. Schon vor über 100 Jahren waren die legendären Gotthard-Krokodile technisch in der Lage, Bremsenergie zu rekuperieren, also wieder in Strom zu verwandeln. Während des Zweiten Weltkriegs rationierte der Bundesrat alle Brennstoffe, die eingeführt werden mussten. In Zürich begann deshalb der St.Galler Elektriker Ernst Stadler, erst Autos und bald auch Kleinlokomotiven von Werkbahnen auf Akkuantriebe umzurüsten. Der Ostschweizer Eisenbahnhersteller, der den Namen Stadler in alle Welt hinausträgt, ist 80 Jahre später ein führender Anbieter alternativer Antriebstechnologien.

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Umdenken nach dem Waldsterben

Eine Zäsur war ab den 1980 Jahren das Waldsterben, dessen Ursachen wohl eine Kombination von Faktoren waren. Dass Luftschadstoffe und auch der Klimawandel einen Einfluss haben, war aber offensichtlich. Die Einführung der Katalysatoren verbunden mit dem Verbot von bleihaltigem Benzin sowie die Heruntersetzung des Tempolimits in der Schweiz auf 120 bzw. 80 Kilometer pro Stunde auf Autobahnen und Überlandstrassen fielen in diese Zeit. Die bis anhin geltenden Tempolimits 130 bzw. 100 wurde erst 1973 aus Sicherheitsüberlegungen eingeführt.Von Dekarbonisierung, also dem Eliminieren fossiler Brennstoffe, war aber noch nicht die Rede. Zu jener Zeit wurde im Gegenteil ein Energieträger als umweltfreundliche Alternative zu Erdöl angepriesen: Erdgas.

1969 explodierte im Versuchskraftwerk in waadtländischen Lucens der Reaktor; es kam zur Kernschmelze.

Pragmatischer Atomausstieg auf Raten

Die Stromproduktion in der Schweiz war lange Jahre von der Wasserkraft dominiert; erst als der Energieverbrauch stieg, erforschte auch die Schweiz die Möglichkeiten der Atomkraft. Beinahe hätte sie auch einen hohen Preis dafür bezahlt: 1969 explodierte im Versuchskraftwerk in waadtländischen Lucens der Reaktor; es kam zur Kernschmelze. Die Havarie in der Anlage, die auch zum Bau einer Schweizer Atombombe hätte genutzt werden sollen, zählt zu den 20 gravierendsten Reaktorunfällen weltweit. Im Bewusstsein der Schweiz kommt Lucens aber kaum vor, Konsequenzen hatte der Unfall nicht: Noch im selben Jahr wurde in Beznau das erste reguläre Atomkraftwerk des Landes ans Netz genommen.  Mitte der 1970er-Jahre tauchten die «Atomkraft? Nein danke!»-Buttons auf, allerdings vornehmlich auf Wollpullis und Jutetaschen. Erst als 1986 die Reaktorkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl in der damaligen Sowjetunion über die Bildschirme flimmerte, erfasste die Atom-Skepsis breite Kreise der Gesellschaft. Die Havarie im japanischen Fukushima 2011 gab der Atomenergie dann den Rest, zumindest in Deutschland, das rabiat den Atomausstieg forcierte. Die Schweiz beschloss ebenfalls einen Atomausstieg, aber eben etwas schweizerisch-pragmatischer: Die aktuellen Anlagen an den drei Standorten im Land dürfen noch weiterlaufen, solange sie sicher sind. In grossen Teilen der Welt gilt Atomkraft nach wie vor als saubere Energie; die Zahl der Kernkraftwerke wächst stetig.

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Gesetz für nachhaltige Energie

Als Folge des imperialistischen Grössenwahns des russischen Herrschers wird in den vergangenen Jahren mehr über Begriffe wie «Energiemangellage» als über Reaktorsicherheit diskutiert. Grossen Drang, die Schweizer Atomkraftwerke umgehend vom Netz zu nehmen, verspüren aktuell nicht einmal grüne Politiker. Und bürgerliche Kräfte mahnen an, dass die Zukunft technologieoffen sein müsse, die Atomenergie dürfe nicht auf alle Zeit und unabhängig von technischen Entwicklungen als Option verboten werden. Kurzfristig baut freilich niemand ein neues Atomkraftwerk, die Investitionen bei heutiger Technologie und heutigen Risiken wären prohibitiv hoch, ein Bewilligungsverfahren in der kleinräumigen Schweiz würde sich über eine grosse Zeitspanne erstrecken. Neue Technologien und kompaktere, kleinere Anlagen mit entsprechend geringeren Risiken könnten eines Tages aber mehrheitsfähig werden.

Vorerst stehen andere, nachhaltige, also erneuerbare und CO₂-freie Wege der Energieproduktion im Fokus. Das Energiegesetz, über das die Schweiz am 9. Juni abstimmt, will den raschen Ausbau der nachhaltigen Energie-Produktion, vorwiegend Wasserkraft, Sonne und Wind, ermöglichen, indem unter anderem Bewilligungsverfahren abgekürzt werden. Auch Geothermie und Energie aus Biomasse soll gefördert werden. Gleichzeitig soll der Energieverbrauch gesenkt und die Energieeffizienz erhöht werden. Das Gesetz ist ein Bestandteil der Energiestrategie 2050 des Bundes und bekräftigt den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie, indem der Bau neuer Kernkraftwerke verboten wird.

Fördergelder stimulieren Investitionen

Die Nutzung der Sonnenenergie geschieht nicht nur über grosse Anlagen, auch auf Einfamilienhäusern werden fleissig Photovoltaikanlagen installiert. Der Bund fördert solche Anlagen, allein im Kanton St.Gallen dürften über 20 Millionen Franken jährlich dafür eingesetzt werden. Ferner fördern die Kantone zusammen mit dem Bund Massnahmen für die Energieeffizienz, etwa die Dämmung von Häusern oder den Ersatz von Heizungen mit fossilen Brennstoffen. Hier fliessen im Kanton St.Gallen über die Energieagentur rund 40 Millionen Franken jährlich an Fördermitteln. Wer in der Schweiz für 50’000 Franken eine Heizung ersetzt, kann je nach Kanton mit Subventionen von etwa 5000 Franken rechnen.

Der Leiter der Energieagentur St.Gallen, Marco Zahner, geht deshalb davon aus, dass die Fördermittel gut die zehnfache Summe an Investitionen auslösen. Daraus lässt sich ableiten, dass allein in der engeren Ostschweiz jedes Jahr mindestens eine Milliarde Franken in Massnahmen im Bereich des Klimaschutzes investiert werden. Klimaschutz ist deshalb ein interessantes Business geworden.

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