«Konzentration auf Ballungszentren»
Inflation, gestiegene Materialpreise und Lieferengpässe: Bekommen Sie die Folgen in Ihrem Betriebsablauf bereits zu spüren?
Beat Vetterli: Tatsächlich spüren wir die veränderte Marktsituation. Die aktuelle Bauinflation schätzen wir auf rund zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein. Insbesondere die Preise für Stahl, Fliesen, Parkett, Holzfassaden, Haustechnik oder Sanitärartikel haben teilweise stark aufgeschlagen. Laufende Baustellen mit Wohnungen im Stockwerkseigentum leiden an Materialengpässen. Fliesen, Parkett und Sanitärartikel weisen nebst den Preisanstiegen auch lange Lieferfristen auf. So müssen die Wohnungskäufer möglichst rasch entscheiden. Danach wird das Material sofort bestellt und eingelagert, auch wenn es erst in sechs Monaten verbaut wird. Dadurch erhalten wir Preissicherheit und die Garantie, dass das Material rechtzeitig auf der Baustelle ist.
Das Ostschweizer Gewerbe klagt schon seit geraumer Zeit über einen zunehmenden Personalmangel. Wie sieht die Lage im regionalen Bausektor aus?
Stephan Rausch: Der Personalmangel beschäftigt uns schon seit gut einem Jahrzehnt und ist nicht nur in der Bauwirtschaft ein Problem. Der Wirtschaftsstandort Ostschweiz bildet aus meiner Sicht in vielen Sparten zu wenig Berufsleute aus. Die Altersstruktur der Bevölkerung zeigt zudem deutlich auf, dass die Zahl an jüngeren Fachleuten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung abnimmt. Die Kompensation geschieht zurzeit primär durch die Zuwanderung.
Wie Sie auf Ihrer Webseite selbst feststellen, hält die Branche vor allem nach jungen Architekten vergeblich Ausschau. Wo bleiben sie nur?
Stephan Rausch: Junge Fachleute in der Ostschweiz zu halten, ist nicht einfach, denn die grossen Metropolen wie Zürich locken. Für die Ostschweiz und das St.Galler Rheintal sprechen das sehr attraktive Wohnumfeld, verbunden mit einer hohen Lebensqualität. Zudem sind viele namhafte Unternehmen hier angesiedelt. Wir müssen es schaffen, die jungen Talente von unserem starken Wirtschaftsstandort zu überzeugen. Zurzeit helfen viele Grenzgänger, den Personalmangel in der Ostschweiz zu dämpfen, was wir natürlich sehr schätzen.
Des Weiteren bilden wir bei RLC unsere Fachleute auch selbst aus, indem wir viele Lehrstellen anbieten und die Weiterbildung unserer Angestellten befürworten, unterstützen und teils mitfinanzieren.
Könnte der Mangel nicht doch mit dem Standort Ostschweiz zusammenhängen?
Beat Vetterli: Ich glaube, dass das eher ein generelles, nationales Problem ist. Der Standort Ostschweiz ist grundsätzlich sehr attraktiv. Die Politik könnte aber mehr tun, um das Angebot an Ausbildungsplätzen und Weiterbildungslehrgängen zu fördern. Zudem befürworte ich das Personenfreizügigkeitsabkommen, um Fachkräfte aus dem Ausland in unseren Arbeitsmarkt integrieren zu können.
Was versprechen Sie sich in dieser Hinsicht von der neuen Architektenausbildung an der OST – Ostschweizer Fachhochschule?
Beat Vetterli: Das ist ein sehr gutes Projekt, das meine volle Unterstützung geniesst und uns sehr entgegenkommt. Die neue Architektenausbildung an der OST könnte zum Nährboden für eine Architekturkultur werden und damit die Ostschweiz als Arbeits- und Lebensraum für unseren Berufszweig attraktiver machen.
Welche Rolle spielen gegenwärtig die Gebiete Umbau und Sanierung sowie Erweiterungsbauten?
Beat Vetterli: Diese Themen haben in den letzten Jahren aufgrund der knappen Grundstrückressourcen wieder an Bedeutung gewonnen. Insbesondere das «Verdichtete Bauen» steht zuoberst auf dem Themenbarometer. Es wird aber aus meiner Sicht nach wie vor eher abgebrochen und neu gebaut als saniert.
Wie sehen in der Ostschweiz die Perspektiven für das Wohnen auf dem Land aus?
Beat Vetterli: Vor ein bis zwei Jahren hätte ich gesagt, dass das Wohnen auf dem Land aufgrund der Corona-Pandemie zunehmen wird. In der aktuellen wirtschaftlichen Situation und im Umfeld einer hohen Inflation erwarte ich aber wieder eine Konzentration der Bautätigkeiten auf die Ballungszentren.
Haben Sie bereits konkrete Vorstellung darüber, wie die Wohnung von morgen aussehen wird?
Stephan Rausch: Die Wohnfläche pro Person könnte nach einem 70-jährigen Anstieg nun erstmals wieder leicht abnehmen. Neubauten werden zukünftig tendenziell eher so geplant, dass sie weniger Energie benötigen und energieautarker werden. Themen wie Null-Energie-Wohnen und Minergie-P gewinnen an Bedeutung. Die Wohnungsgrundrisse könnten sich ebenfalls leicht verändern, um Homeoffice zu ermöglichen.
Und wie könnte die Baulandschaft östliche Schweiz in einem Jahrzehnt aussehen?
Beat Vetterli: Ich denke, dass die Gebäude tendenziell höher werden und die Grünräume an Bedeutung gewinnen. Der Ausbau des Strassen- und ÖV-Netzes wird aus meiner Sicht nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können, was Auswirkungen auf die Lage-Nachfrage mit sich bringt. Zusammengefasst erwarte ich noch mehr urbaner geprägte Orte und eine Aufwertung der Grünflächen.
Text: Thomas Veser
Bild: zVg