«Schlaue» Textilien für mehr Lebensqualität
René, du leitest an der Empa in St.Gallen das Laboratory for Biomimetic Membranes and Textiles und entwickelst dort «Wearables für die Gesundheit». Was ist darunter zu verstehen?
Wearables sind tragbare Sensoren, die verschiedene Parameter des menschlichen Körpers messen können. Dies können Vitalparameter wie Puls oder Atemfrequenz sein – oder auch krankheitsspezifische Daten, die z. B. Informationen über den Heilungsprozess einer Wunde geben.
Die Systeme, die du und dein Team entwickeln, sind «nicht-invasiv». Was bedeutet das?
Nicht-invasiv bedeutet, dass das System nicht in den Körper eingeführt werden muss. Viele Parameter können heutzutage von aussen an der Körperoberfläche gemessen werden. In der Forschung entwickeln wir neue Sensoren zur Früherkennung von Krankheiten. Dabei werden sogenannte Biomarker etwa im Schweiss oder in der Atemluft gemessen, die eine mögliche Erkrankung nachweisen können.
In welchen Bereichen kommen solche Wearables zum Einsatz?
Es gibt schon länger kommerzielle Wearables wie Brustgurte oder «schlaue» Uhren, die mehrheitlich im Sport eingesetzt werden. Unsere Forschung konzentriert sich auf medizinisch relevante Parameter. Deshalb ist unsere Zusammenarbeit mit Spitälern wie dem Kantonsspital St.Gallen extrem wichtig.
Gesundheits-Wearables sollen nicht nur Krankheiten erkennen, sondern Menschen auch helfen, ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern.
Genau. Eine Steigerung der Leistungsfähigkeit wird mit einer optimalen Herzfrequenz erreicht – Wearables sind hier sehr praktische Hilfsmittel. In letzter Zeit fanden verschiedene Weltmeisterschaften wie Leichtathletik oder Fussball in heissen Ländern statt. Wearables können in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Vermeidung von Hitzestress leisten, indem sie kontinuierlich die Körpertemperatur messen. Andere Entwicklungen zielen auf die Messung des Hydratationszustands des Körpers oder der Aufprallkraft eines Fussballs bei einem Kopfball.
Vor einiger Zeit konnte man lesen, dass es unterdessen schon Jogginghosen gibt, die ihre Träger vor Erschöpfung warnen. Hand aufs Herz: Braucht es so was wirklich?
Im Sportbereich können solche Produkte helfen, einen Trainingsplan zu optimieren. Sie werden aber eher im Spitzensport oder bei ambitionierten Amateuren eingesetzt. Im Breitensport genügt wahrscheinlich der gesunde Menschenverstand; Hobbysportler merken meistens selbst, ob sie sich erschöpft fühlen. Eine Pulsmessung kann jedoch auch hier helfen, eine Überbeanspruchung des kardiovaskulären Systems zu vermeiden.
Und wie sieht das in der Medizin aus?
In der Medizin können solche Produkte Patienten einen grossen Mehrwert bringen, indem sie beispielsweise vor oder nach einem chirurgischen Eingriff überwacht und optimal begleitet werden, damit die Genesung wesentlich schneller stattfindet.
Das Ziel deiner Abteilung ist die Entwicklung von Materialien für den Schutz und die optimale Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers. Was sind das für welche?
Die Vision unserer Abteilung ist, Materialien mit hautähnlichen Eigenschaften zu entwickeln. Die Haut als unser grösstes Organ hat drei Hauptfunktionen: Sie schützt den Körper vor äusseren Einflüssen, sie trägt durch Schwitzen zur Regulierung der Körpertemperatur bei und sie besitzt Sensoren, mit denen sie thermische und mechanische Einflüsse messen kann. Unsere Materialien, hauptsächlich Textilien aus Kunststoffen, sollen wie eine zweite Haut am Körper getragen werden und diese drei Funktionen beinhalten.
Und was sind die grössten Herausforderungen bei der Entwicklung solcher Materialien?
Auf der einen Seite die Miniaturisierung der Systeme, damit der Komfort des Trägers durch die Sensoren im Textil nicht vermindert wird. Auf der anderen Seite sollten die Materialien langlebig sein, das hat zur Folge, dass unsere textilen Sensoren auch waschbar sein sollten.
Du warst während der Coronakrise Teil der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes. In diesem Zusammenhang arbeitest du auch an der Entwicklung von Masken, die Viren abtöten können. Wie weit ist diese Entwicklung fortgeschritten?
Es gibt bereits einige Produkte mit solchen Funktionen am Markt. Um längerfristig Masken in der Schweiz und Europa produzieren zu können, denken wir bereits an Zusatzfunktionen wie integrierte Sensoren.
Mit deiner Abteilung bist du auch Forschungspartner des SIP Ost. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
Wir bauen als Empa eine Brücke von der Forschung zur Innovation. Als Teil des ETH-Bereiches ist unser Anspruch, Forschung zu betreiben, die weltweit führend ist. Unsere Arbeiten sind gleichzeitig anwendungsorientiert, wir entwickeln also mit unseren Industriepartnern neue, innovative Produkte. Die meisten Innovationen sind heutzutage multidisziplinär, verschiedene Firmen arbeiten also zusammen an einer Innovation. Mit dem SIP Ost bauen wir Plattformen und Netzwerke auf, um Firmen aus verschiedenen Branchen zusammenzubringen und so multidisziplinäre, disruptive Innovationen anstossen zu können.
Text: Patrick Stämpfli
Bild: Thomas Hary