Fokus Gesundheit 2022

Die Praxis in der Hosentasche

Die Praxis in der Hosentasche
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2016 gründete die Familie Krech die Misanto AG in Frauenfeld. Heute zählt diese zu  den führenden Telemedizinunternehmen der Schweiz. Während der Corona-Pandemie leisteten die Thurgauer einen grossen Beitrag bezüglich Selbsttestung und damit zur Eindämmung der Pandemie.

Mit einem HPV-Heimtest zur Gebärmutterhalskrebsvorsorge will Misanto nun einen weiteren wichtigen Schritt Richtung Digitalisierung machen. Über 5000 Frauen in der Schweiz sind jährlich mit der Diagnose Krebsvorstufe am Gebärmutterhals konfrontiert – mehr als 99 Prozent der Fälle von Gebärmutterhalskrebs werden durch HP-Viren verursacht. Die «Humanen Papillomaviren» befallen wie andere Viren den Körper, können aber nicht «getötet» werden. Deshalb sind Antibiotika wirkungslos und Infizierte müssen abwarten, bis das Virus von selbst wieder aus dem Körper verschwindet.

 

 

 

 

Jede zehnte Frau betroffen

Eine von Misanto durchgeführte Studie von 2007 zeigt, dass jede fünfte Frau HPV-positiv ist – in neueren Daten sind es 50 Prozent weniger Frauen, die sich infizieren. Doch bedeutet HPV-positiv gleich Gebärmutterhalskrebs?

«Nein. Das ist sehr wichtig, zu unterscheiden. HPV ist ein Virus. Gebärmutterhalskrebs ist eine Krebsart, bei der ursprünglich normale Zellen entarten und sich unkontrolliert vermehren. Das Virus kann diese Zellveränderungen und damit den Krebs auslösen, wenn es lange genug im Körper bleibt. In etwa zehn Prozent der Fälle ist das Virus nämlich auch zwei Jahre nach der Infektion noch nachweisbar. Solche chronischen Infektionen mit HPV können – je nach Typ – zu Zellveränderungen im Gebärmutterhals führen. Wenn diese Veränderungen nicht rechtzeitig erkannt werden, entsteht Gebärmutterhalskrebs», erklärt Prof. Dr. med Thomas Krech, CEO und Chief Medical Officer sowie Laborleiter FAMH der Misanto AG. 75 Frauen  sterben jährlich an Gebärmutterhalskrebs – und das «unnötigerweise», wie Krech betont.

Bevor es zu spät ist

Obwohl bei einer gynäkologischen Untersuchung beginnende Zellveränderungen – also Krebsvorstufen – bei einem PAP-Abstrich entdeckt werden können, kann es bereits zu spät sein. Hinzu kommt, dass viele Frauen nicht regelmässig den Weg zum Gynäkologen suchen. «Das kann unterschiedliche Gründe haben. Vielleicht ist es ihnen unangenehm, oder sie haben einfach keine Zeit», so Krech.

Wenn der Test auf HP-Viren hingegen frühzeitig gemacht wird, kann das Risiko, in der Zukunft an Krebs am Gebärmutterhals zu erkranken, bereits im Voraus bestimmt werden. Der Heimtest von Misanto soll dazu beitragen. Der Test kann online bestellt oder in einem Misanto-Testzentrum abgeholt werden. Zu Hause führt die Frau eine Selbstabnahme per Vaginalabstrich durch und schickt den Test wieder zurück. Bei einem positiven Resultat sollten Betroffene unbedingt zur gynäkologischen Untersuchung.

«Je nachdem, wie lange die Positivität schon anhält, auch mehrmals im Jahr. Denn so kann eine Krebsvorstufe so früh wie möglich erkannt und wertvolle Zeit gerettet werden. HPV-Negative hingegen können mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass sie in den kommenden Jahren nicht an Gebärmutterhalskrebs erkranken werden. Denn von der Infektion bis zum Krebs-Ausbruch dauert es in der Regel zehn Jahre», erklärt der Misanto-CEO.

neho  MiBa  

«So kann eine Krebsvorstufe so früh wie möglich erkannt und wertvolle Zeit gerettet werden.»

Aufschwung dank Pandemie

Das junge Familienunternehmen gilt als Schweizer Pionierin in Sachen Telemedizin und etablierte sich während – oder besser gesagt wegen – Corona schnell im Bereich der unkomplizierten und digitalen Medizin. Wie ist das gelungen? «Das liegt an unserem extrem dynamischen Mindset. Kurz nach dem Launch unserer Gesundheits-Check-App kam Corona. Wir sind dann nicht stur unserem zuvor erstellten Marketingplan gefolgt, sondern haben uns auf Covid-19 ausgerichtet – und zwar, indem Menschen in Isolation mit der App direkten Kontakt mit Ärzten aufnehmen konnten. Das hat uns enorm weitergebracht», sagt Misanto-COO Carol-Anne Krech. Die Misanto-App analysiert Symptome, beinhaltet einen Ärzte-Chat und lässt die zentrale Verwaltung von Befunden und anderen medizinischen Dokumenten zu.

Entlastung von Ärzten und Spitälern

Die mobilen Dienstleistungen ermöglichen Patienten, die Praxis quasi in der Hosentasche mitzutragen: Egal, wo sie sind – im Büro, in der Bahn, zu Hause oder im Ausland. «Es gibt praktisch keine Zeiten oder Orte mehr, in denen man nicht mit seinem heimatlichen Gesundheitssystem Kontakt aufnehmen könnte. Zudem haben Patienten auch immer ihre eigenen Daten dabei, was gerade im Ausland enorm wichtig ist. Sollte mal etwas passieren, können sie frühere Befunde, Laboranalysen, Konsultationen etc. direkt mit dem behandelnden Arzt teilen», so die Tochter von Thomas Krech.

In der Schweiz gelten Arztbesuche als Arbeitszeit. Daher verfolgen Unternehmen das Interesse,  dass ihre Mitarbeiter erstens möglichst wenig Zeit beim Arzt verbringen und zweitens möglichst gesund bleiben. Mit der Telemedizin, vor allem  mit dem Chat, schaffen die Krechs beides. Die Schwelle ist so niedrig für Mitarbeiter, dass sie sich tendenziell bei Beschwerden nicht nur eher melden, sondern auch viel weniger Zeit aufwenden müssen.

Neben den praktischen Vorteilen ist eine effiziente und schnelle Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten besonders im Hinblick auf den immer stärker werdenden Ärztemangel enorm wichtig. Denn dank der Chatfunktion kann ein Arzt nun mehrere Patienten gleichzeitig behandeln, ohne Qualitätseinbussen zu haben. Misanto sieht sich als «Gatekeeper», der Patienten hilft, die richtige Entscheidung für ihren Versorgungsweg zu treffen. Das bedeutet, dass Patienten insbesondere während der Randzeiten nicht gleich zum Notfall fahren, sondern Misanto als ersten Ansprechpartner kontaktieren können. So trage man zur Entlastung der Notfallstationen bei, unterstreicht Carol-Anne Krech.

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«Wir sind nicht stur unserem zuvor erstellten Marketingplan gefolgt, sondern haben uns auf Covid-19 ausgerichtet.»

Ergänzen statt Ersetzen

Misanto ist zudem das erste telemedizinische Unternehmen mit einer Praxisbewilligung im Kanton Thurgau. Der politische Weg sei dafür relativ gut geebnet. «Viele Krankenkassen, Spitäler oder Arztpraxen haben mittlerweile telemedizinische Insellösungen. Unsere Philosophie ist es aber, unabhängig zu sein, damit Patienten nicht ständig die technische Lösung wechseln müssen, sobald sie Ärztin oder Krankenkasse wechseln», sagt Thomas Krech.

Was weniger geebnet ist, ist die Einstellung der Ärzteschaft zur Telemedizin. «Obwohl wir ganz klar nicht ersetzen, sondern ergänzen wollen. Im Gegenteil – ich bin überzeugt, dass in der Zukunft Telemedizin ein Muss sein wird, wenn wir die medizinische Grundversorgung sicherstellen wollen», so Carol-Anne Krech.

Kürzlich erfolgte eine Expansion nach Deutschland, wo das Familienunternehmen auf ähnliche Chancen und Herausforderungen getroffen ist. Die Krechs sind sich sicher, dass die Zukunft der Medizin auch digital ist, selbst wenn Traditionalisten noch nicht viel damit anfangen können – oder wollen. «Wir wollen auf jeden Fall weiterwachsen und unseren Dienst in ganz Europa anbieten. Wir wollen den Zugang zu medizinischen Leistungen  für jeden, immer und überall zur Verfügung stellen. Und zwar ein Leben lang», so Vater und Tochter unisono.

Text: Miryam Koc

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