Ein Cidre für Fortgeschrittene
Thurgau ist Apfel, ein «Mostkanton» – und doch entwickelte sich hier lange keine erlesene Cidre-Kultur wie in der Bretagne oder Normandie. In Mode gerieten eher Kohlensäure-versetzte Süssgetränke, deren Aufmachung an Alcopops erinnert. In der Schweiz stachen hochwertige Cidres etwa aus Neuenburg, Bern oder Zürich hervor. Ihre lieblichen Aromen finden ein wachsendes Publikum.
Michael Broger machte sich mit seinem Weinbau auf dem Ottenberg einen Namen. Um seine Blauburgunder reissen sich die Fans. GaultMillau belohnt ihn mit Preisen. Weintechnologe Broger ist ein Tüftler, der eigene Wege sucht – manchmal werden sie aus Not geboren. Seinen Weinbau führt er in erster Generation, investierte selbst in Rebberg und einen Hof, der zuvor nur Trauben verkaufte. «Nichts war da. Darum war Handarbeit angesagt, und wir mussten erfinderisch sein.» Broger produziert biologisch, aber ohne Labels. «Broger-dynamisch» nennt er das: Tropfen mit wilder Hefe, ohne Schwefel und unfiltriert. Vom Mondkalender lässt er sich leiten.
Ehrliche Weinkultur
«Ich muss nicht die besten Weine machen», sagt Broger bescheiden, «aber die ehrlichsten.» Lieber nimmt er das Risiko von Ertragsverlusten in Kauf. Als er 2021 erstmals eine ganze Ernte verlor, rettete ihn der Cidre. Er holte die bisher unbeachteten Äpfel von seinen Hochstämmen und «bettelte» bei den Nachbarn um weitere, die oft liegenblieben. In einem guten Weinjahr hat sein Betrieb kaum Platz für Cidre – und Broger kaum Zeit. Seit der Malaise auf seinem Rebberg produziert er aber regelmässig auch seinen Apfelwein – manchmal mehr, manchmal weniger.
Ein Renner wie die Weine ist der Cidre noch nicht. Traditionelle Ostschweizer Weintrinker experimentieren kaum mit Cidre, denken dabei eher an «sauren Most» aus Tonkrügen. «Solche Trends, wie schon beim Naturwein, schwappen aus Frankreich eher über die Städte Richtung Ostschweiz», erzählt Broger. So sei in Genf die Akzeptanz für Cidre bereits sehr hoch, wo Crêperien verschiedene Sorten feilböten. Broger setzte nun im Thurgau ein zartes Pflänzchen für eine beginnende Cidre-Kultur in der Region: Käseläden empfehlen inzwischen Cidre-Fondues; Spitzengastronomen wie Silvio Germann vom Mammertsberg servieren ihn zu Vorspeisen. Gerade Junge mögen Brogers Cidre.
Auch interessant
Engishofer und Cuvée
Einen «Cidre für Fortgeschrittene» nennt Broger sein Produkt. «Wir wollten nicht andere Schweizer Cidre-Produzenten kopieren, sondern einen eigenen Stil finden.» Brogers Cidres sind trocken, erstaunlich komplex, mit leichtem Hefegeschmack und schöner Tanninstruktur. Sie erinnern an Naturweine. Für Broger schmecken sie leicht «animalisch» oder wie «Ferien in der Bretagne.» Er nummeriert seine Chargen durch, denn sie sind schwer reproduzierbar; 2024 gelangten der «Cidre V» und «Cidre VI» in den Verkauf.
Rein kommt, was es hat: etwa Thurgauer Weinapfel, Engishofer und Suurgrauech als Cuvée – oder auch einen sortenreinen Engishofer. Dessen prägende Säure überzeugt in beiden Cidres und zeigt eine Tendenz zur Aromatik nach französischem Vorbild. Auch den Cidre macht Broger mit Wildhefe und füllt ihn schwefelfrei ab – er kommt deshalb relativ spät in die Flasche. Damit ist Broger einer der Einzigen. Seine Cidres bleiben so trocken. Der Cuvée ist etwas milder als der sehr frische reinsortige Engishofer und duftet nach reifem Apfelkeller.
Mit sieben Volumenprozent ist Cidre im Sommer eine wunderbare Erfrischung, die trotz Alkoholgehalt nicht schläfrig macht – auch nicht nach einem gediegenen Essen. «Wer zum Blauschimmelkäse einen Cidre trinkt statt eines plumpen Sauternes, hat danach noch Lust auf die Bar, statt aufs Bett», sagt Broger augenzwinkernd. Seinen trockenen Cidre empfiehlt er gar zu Fisch und Meeresfrüchten.
Text: Pascal Tschamper
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer