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Querulanten am langen Hebel

Querulanten am langen Hebel
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Einsprachen verhindern Projekte oft um Jahre – oder gänzlich. 4000 Wohnungen gehen so jährlich in der Schweiz verloren. Wie sieht es in der Ostschweiz aus? Daniela Koller, CEO Forol Immobilien AG, Gossau, Peter Mettler, CEO Mettler2Invest AG, St.Gallen, und Walter Locher, Präsident des St.Galler Hauseigentümerverbandes, ordnen die aktuelle Situation ein. Unterschiedlich.

Im Gespräch mit Immobilienfachleuten wird gerne eine «Einsprachenflut» gegen Neubauprojekte als Grund für die Stagnation der Bauwirtschaft, ja für die Wohnungsnot genannt. Peter Mettler und Daniela Koller bestätigen diesen Eindruck: «Bei uns sind drei grössere Projekte durch Einsprachen blockiert. Die Begründungen sind alle sehr opportunistisch», sagt Mettler.

Und Koller führt Gründe aus: «Es gibt Einsprachen, die sachlich und fachlich begründbar sind. Diese können mit unterschiedlichem zeitlichem Aufwand gelöst werden. Die schwierigen (und für uns teuren) Einsprachen sind die emotionalen, wegen vermeintlicher Lärmbelastung, Sichtbehinderung oder Besonnung. Diese werden eingereicht, obwohl alle reglementarischen Vorschriften erfüllt sind. Lösungen sind schwer zu finden, da die Einsprecher bei emotionalen Einsprachen nicht lösungsorientiert denken.»

«Welche Wohnungsnot?»

Etwas anders sieht es Walter Locher als Vertreter der Hauseigentümer: «Wohnungsnot? In einer aktuellen Studie von Avenir Suisse wurde aufgezeigt, dass der Wohnungsmarkt der Schweiz alles in allem gut funktioniert und Wohnraum nur in einzelnen städtischen Zentren knapp ist. Landesweit ist das nicht der Fall.» Gefragt seien aber mehr Freiheiten beim Bauen. Diese würden vor allem durch weniger Regulierung erreicht. «Zudem ist gerade in unserem Kanton der Planungsprozess viel zu lang, Behörden sind teilweise überfordert, weshalb sie die Planung leider Fachplanern und Juristen überlassen. Das ist fatal», sagt Locher.

Die angebliche Einspracheflut sei oft «eine Ausrede». Für Behörden sei es oft einfacher, auf die angeblich vielen Einsprachen zu verweisen, als rasch selbst zu entscheiden. Zudem, hebt Locher den Mahnfinger: «Politiker sollten besser die Folgen ihrer eigenen Regulierungswünsche und -tätigkeiten abschätzen, als das Gespenst der Einsprachen zu beschwören.» Nicht jedes Problem müsse separat reguliert werden; oft reiche es, die Gesetze anzuwenden und Spielräume auszunützen.

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«Der Andere ‹muss› – wenn es jedoch die eigene Person betrifft, ist man dagegen.»

Daniela Koller

Verdichten ja, aber nicht vor der eigenen Haustür

2013 sagte das Volk Ja zum revidierten Raumplanungsgesetz und damit zur Verdichtung. Wenn sie aber vor der eigenen Haustür passieren soll, ist man dagegen. Warum diese Ambivalenz? Daniela Koller versucht es so zu erklären: «Die Vollzugsverordnung und vor allem deren manchmal kleinliche Um-setzung führt zu Exzessen, die vielfach nicht nachvollziehbar sind. Das Motto ist: Der Andere «muss» – wenn es jedoch die eigene Person betrifft, ist man dagegen. Ein Beispiel: Viele fahren Auto, trotzdem ist man gegen Parkiermöglichkeiten. Das sehen wir vor allem bei der Planung von kommerziellen Objekten oder Tiefgaragen bei Wohnbauten.»

Ähnlich sieht es Peter Mettler: «Grundsätzlich sieht der grosse Teil der Bevölkerung ein, dass man haushälterisch mit dem Boden umgehen muss. Dazu ist eine Verdichtung nur logisch. Entsteht aber ein Neubau oder eine Aufsto-ckung in unmittelbarer Nähe, stört man sich an mehr Verkehr, vielleicht etwas mehr Schatten usw. Jeder verteidigt ‹sein Gärtchen›.»

Hier geht Walter Locher mit den beiden Immobilien-CEOs einig: «Viele Stimmbürger haben 2013 zwar ein Votum gegen die Zersiedelung abgeben wollen, waren sich aber nicht bewusst, dass die damit verbundene Innenverdichtung auch vor der eigenen Haustüre nicht Halt macht. Ich stelle das selbst in meiner Beratungstätigkeit als Anwalt fest: Je nachdem, auf welcher Seite der kleine oder der grosse Grenzabstand liegt, ist man für oder gegen Verdichtung.» Die Ambivalenz sei menschlich: Oftmals würden in der allgemeinen politischen Diskussion Prinzipien befürwortet, die man dann – auf die eigenen Interessen herabgebrochen – nicht mehr für richtig hält. «Wir stimmen oft über Dinge ab, deren Tragweite wir erst in der Anwendung erkennen.»

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Daniela Koller, Peter Mettler, Walter Locher.
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«Ich könnte die Einsprache zurückziehen, aber …»

Offenbar existiert auch ein «Einsprachen-Business» – man tätigt eine Einsprache, um dann vom Projektierer einen Rückzug gegen finanzielle Entschädigung zu «erpressen». Ken-nen unsere Immobilienprofis das Problem? Peter Mettler lacht nur: «Das kennen die meisten Immobilienentwickler und Investoren. Vielfach werden Begründungen für Einsprachen regelrecht gesucht – und dann wird ein Rückzug gegen Entschädigung angeboten.»

Und Daniela Koller weist darauf hin, dass dieses Gebaren sogar durch Gerichte unterstützt werden kann: «Gerade ‹emotionale› Einsprecher, die eine Rechtsschutz-Versicherung haben, ziehen Einsprachen ohne eigenes finanzielles Engagement weiter. Ein konkreter Fall am Bodensee: Der Einsprecher hatte eine Rechtsschutz-Versicherung. Vor Gericht haben wir gewonnen. Der Richter hat uns argumentativ ge-schützt, jedoch gemeint, wir sollten abwägen und die zeitliche Komponente berücksichtigen, ob wir die Summe nicht besser dem Einsprecher zahlen wollen … Denn: Der Einsprecher hat kein finanzielles Risiko, die Rechtsschutz-Versicherung zahlt den Schritt zur nächsten Instanz – das wird den Baubeginn nochmals ein oder zwei Jahre verzögern.»

Walter Locher hingegen stellt kein «Einsprachen-Business» in der Ostschweiz fest. Der Anwalt argumentiert: «Die Erpressung einer finanziellen Entschädigung kann strafrechtliche und privatrechtliche Folgen haben. Eine gerechtfertigte Einsprache dient der Geltendmachung eigener Interessen. Das ist von unserer Rechtsordnung so vorgesehen und schützenswert.» Diese Interessen und die Gründe seien dann gegen das Interesse an einer raschen baulichen Realisierung der Bauherrschaft abzuwägen.

«Bauvorhaben haben oft gesetzlich messbare Nachteile für den Nachbarn. Werden gesetzliche Bestimmungen verletzt, muss ein Weg zum Ausgleich gesucht werden. Das geschieht oft nicht in Form von Geld, aber in Form von Grenzanpassungen, Anpassungen der Bauten oder Schallschutzmassnahmen.»

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«Bei uns sind drei grössere Projekte durch Einsprachen blockiert.»

Peter Mettler

Einsprachen sind zu «billig»

Sind also die Hürden für Einsprachen von Privaten und Verbänden zu niedrig oder nicht? Dazu ein klares Ja von Peter Mettler: «Ja, viel zu niedrig. Jeder kann ohne Aufwand eine Einsprache deponieren, ohne ein Depot zu hinterlegen. So verzögern sich viele Bauprojekte. Diese Verzögerungen kosten. Die Kosten werden auf die Mieten geschlagen, was völlig sinnlos ist.»

Daniela Koller will hingegen differenzieren: «Bei sachlich und fachlich fundierten Einsprachen könnte die heutige Praxis belassen werden. Bei emotionalen Einsprachen hingegen sollte die Höhe eines Kostenvorschusses erheblich angehoben werden.»

Walter Locher sieht hier Judikative und Legislative in der Pflicht: «Die Hürden für Einsprachen von Privaten hat im Wesentlichen das Bundesgericht festgelegt. Zudem: Mit jeder neuen gesetzlichen Bestimmung, die der Gesetzgeber im Baubereich erlässt, senkt er indirekt auch die Hürde für Einsprachen, weil es neue Überprüfungsmöglichkeiten gibt. In Rekurs- und Beschwerdeverfahren sollte die Frage des Kostenrisikos durchaus laufend neu diskutiert werden.» Die Verbandsbeschwerde ist aus Lochers Sicht ein «Relikt aus einer Zeit, in der das Umweltrecht noch kaum entwickelt war». Politiker auch in den bürgerlichen Parteien scheuten sich oft, eine vollständige Abschaffung von Verbandbeschwerden zu verlangen: Die Wahlempfehlungen der Umweltverbände seien vielen zu wichtig.

«Die Erpressung einer finanziellen Entschädigung kann straf- und privatrechtliche Folgen haben.»

Walter Locher

Keine Lösung in Sicht

Peter Mettler empfiehlt, um querulatorischen Einsprachen, wenn man so sagen will, Einhalt zu gebieten: «Einsprachen sollten ab einer gewissen Stufe eine Kostenauflage für die Einsprecher haben. Siehe auch Postulat 23.3640 von Ständerätin Andrea Gmür ‹Massvolle Kostenauflage bei Einsprachen in Baubewilligungs- und Nutzungsplanverfahren›.»

Daniela Koller hingegen will die zunehmende Gesetzesfülle toleranter handhaben. «Das zeigt sich am Beispiel des neuen kantonalen Baugesetzes, das die Ausnutzungsziffer aufhebt. Die Gemeinden streichen die Ausnutzungsziffer, installieren aber eine Baumassenziffer.» Was heisst das konkret? «Die Temperaturen steigen ja. Das heisst, die Raumhöhen sollten wie in den südlichen Ländern erhöht werden. Die Einführung der Baumassenziffer führt zur Reduktion von Deckenstärken und Raumhöhen. Bei einer Überbauung mit z.B. 45 Wohnungen mit einer theoretischen Raumhöhe von 2,8 m wird optimiert und eine Raumhöhe von 2,3 m realisiert. So können knapp zwölf Prozent der Baumassenziffer eingespart werden. Das heisst, es können im selben Bauvolumen 5,3 Wohnungen mehr realisiert werden, was für die Rendite natürlich interessanter ist. Besser wäre es, die Ausnutzungsziffer ersatzlos zu streichen – wie etwa in der Stadt St.Gallen.»

Walter Locher glaubt nicht an eine rasche Lösung: «Es ist alles eine Frage der politischen Dringlichkeit. Wir sehen das aktuell im Bereich Energie: Sobald eine Energiemangellage droht, sind Volk und Gesetzgeber viel eher bereit, Beschwerderechte einzuschränken. Wir haben in vielen Bereichen aber leider die Einsicht noch nicht gewonnen, dass lange Verfahren und Beschwerden für unseren Wohlstand wichtige Vorhaben der Wirtschaft, der Energieversorgung und der Erschliessung empfindlich treffen können.»

Text: Stephan Ziegler

Bild: istock, zVg

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