Das Ende der Fantasiepreise?
Im ländlich geprägten Rheintal sind nach wie vor Einfamilienhäuser – bevorzugt freistehend – gefragt. «Stockwerkeigentum bildet eine gute Alternative für alle, die mehr Freizeit ausserhalb von Gartenarbeit verbringen möchten», sagt Daniel Mosch von der RT Immobilien Treuhand. Häufig verändern sich die Bedürfnisse im Verlauf der verschiedenen Lebensphasen. Auch die Lage-Präferenzen verändern sich damit. «In jungen Jahren und im dritten Lebensabschnitt wird eher die Nähe zu den Zentren, von Haushalten mit Kindern eher die Peripherie bevorzugt», so Mosch. Durch die Preissteigerung der letzten Jahre müssten – je nach finanzieller Situation – Abstriche bei den Ausbaustandards in Kauf genommen werden. Vermehrt wird allerdings auf nachhaltige Wärmeerzeugung geachtet.
Das kann Daniel Romer von der Cristuzzi-Gruppe bestätigen: «Das Einfamilienhaus ist nach wie vor das Objekt mit der grössten Knappheit. Viele Rheintaler Familien suchen schon lange nach einem passenden Objekt. Auf den Markt kommen aber klar weniger Häuser, als die Nachfrage absorbieren könnte.» Ebenfalls sehr gefragt sind Attika- und Parterrewohnungen in neueren Überbauungen. Generell sind attraktive Aussenräume ein wichtiges Verkaufsargument. Bei Parterrewohnungen sei ein gängiger Standard gefragt, im Attikabereich dürfe es etwas gehobener sein, «da die Preise für diese Objekte eher für finanziell potente Käufer infrage kommen», so Romer.
Über 1,4 Millionen läuft wenig
«Am meisten gefragt sind derzeit Einfamilienhäuser jeglicher Art bis etwa 1,4 Millionen Franken», zieht Ramon Lüchinger von der RL Immo eine Preisobergrenze. «Obwohl die Zinsen angestiegen sind, gibt es hier immer noch eine grosse Nachfrage», geht er mit Matthias Hutter von der Sonnenbau-Gruppe einig: «Aus unserer Optik sind die Eigentumssegmente generell nach wie vor gut nachgefragt. Der Wunsch nach Eigentum ist anhaltend. Allerdings spürt man im höheren Preissegment, dass die gestiegenen Hypothekarzinsen die Nachfrage dämpfen», so Hutter. Andreas Zäch von AZ Immo bestätigt: «Auch ich beobachte eine anhaltend solide Nachfrage nach Einfamilienhäusern, welche die nach Eigentumswohnungen leicht übertrifft. Gute Infrastruktur und ruhige Lage sind dabei wichtige Kriterien.» Zu einer guten Infrastruktur gehören primär die Nähe zu Schulen, Einkaufsläden und ÖV sowie ein reichhaltiges Angebot an Freizeitmöglichkeiten.
Beliebte Standorte seien Balgach, Heerbrugg, Widnau, Diepoldsau, Kriessern, Oberriet, Altstätten und Thal, weiss Ramon Lüchinger. «Diese Orte bieten eine attraktive Wohnlage und sind aufgrund ihrer guten Infrastruktur, der Nähe zu Arbeitsplätzen und der Qualität des Lebensumfeldes beliebt. Aber grundsätzlich kann man als Einfamilienhaus-Verkäufer auch in den anderen Gemeinden mit einer guten Verkäuflichkeit rechnen.» Was den Ausbaustandard betrifft, könne die Nachfrage je nach Präferenzen variieren. «Generell werden jedoch Immobilien bevorzugt, die modernisiert und gut gepflegt sind», so Lüchinger.
Kleinwohnungen unter 1000 Franken sind gefragt
Bei den Mietobjekten sind insbesondere Neubauten, Einfamilienhäuser zur Miete und Single-Wohnungen gesucht. «Sehr gefragt sind günstige Kleinwohnungen, etwa 2,5-Zimmer-Wohnungen unter 1000 Franken netto, an zentralen, gut erschlossenen Lagen. Im Rheintal ist dies etwa die Gegend um den Bahnhof Heerbrugg. Ebenfalls sehr beliebt sind Parterrewohnungen bei Familien oder Mietern mit Haustieren», definiert Daniel Romer. Bei Neubauwohnungen seien die Ansprüche an den Ausbaustandard in den vergangenen Jahren klar gestiegen. «Hier bewegt man sich auch bei Mietwohnungen schon nahe am früher für Eigentumswohnungen gängigen Ausbaustandard», sagt Romer.
«Auch wir stellen fest, dass die Nachfrage nach Wohnraum zur Miete in allen Segmenten nochmals spürbar zugenommen hat. Entsprechend ist die Leerwohnungsziffer merklich gesunken», sagt Matthias Hutter. Gefragt seien sowohl Familienwohnungen als auch kleinere Einheiten für Zwei- oder Einpersonenhaushalte. Bei der Nachfrage sei das Preis-Leistungs-Verhältnis entscheidend. «Dementsprechend sind auch weniger gut gelegene Wohnungen in einem demodierten Zustand gut nachgefragt – sofern der Preis angemessen ist», so Hutter.
Und Daniel Mosch ergänzt: «Besonders gefragt sind kleinere 2.5-/3.5-Wohnungen mit durchdachten Grundrissen an zentralen Lagen. Ein Lift und eine Aufenthaltsmöglichkeit im Freien sind für viele Mieter unentbehrlich. Moderne, hochwertige Innenausbauten werden bevorzugt. Aber auch günstiger Wohnraum wird nach wie vor nachgefragt.» Es ist eben nicht allen Mietern möglich, 2500 bis 3000 Franken jeden Monat für das Wohnen auszugeben. Insbesondere interessieren jeweils auch die massiv gestiegenen Heiz- und Nebenkosten. Gut isolierte Gebäude mit einer nachhaltigen Energieversorgung seien demzufolge sehr gefragt, sagt Mosch.
Dass der Preis eine entscheidende Rolle spielt, sieht auch Ramon Lüchinger so. «Die Nachfrage konzentriert sich oft auf Wohnungen oder Häuser, die den individuellen finanziellen Möglichkeiten der Mieter entsprechen.» Lüchinger ist überzeugt, dass der Markt aktuell die Bedürfnisse im Rheintaler Immobiliensektor noch befriedigen kann und schätzt ihn als «tendenziell ausgeglichen» ein, für Miete und Kauf. «Die aktuellen Immobilienpreise im Rheintal spiegeln das Verhältnis von Angebot und Nachfrage wider.»
Beim Eigentum treffe nach wie vor eine grosse Nachfrage auf ein knappes Angebot, bilanziert Daniel Mosch. «Es ist spürbar, dass das Angebot für selbst genutzte Wohnobjekte in diesem Jahr etwas zugenommen und die Nachfrage leicht abgenommen hat. Nach unserer Beurteilung herrscht aber bei Objekten bis etwa eine Million Franken nach wie vor ein Nachfrageüberhang.» Im Mietsegment konnten gewisse Leerstände aus der Vergangenheit abgebaut werden. «Von einer Wohnungsnot würden wir aktuell im Rheintal nicht sprechen. Derzeit sind in der Region etwa fünfzig 2- bis 2.5-Zimmer-Wohnungen publiziert», so Mosch.
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115 Quadratmeter beliebter als 125
Andreas Zäch sieht es ähnlich: «Aufgrund der gestiegenen Zinsen sind kompakte Wohnungen gefragt, damit die Anlagekosten die finanziellen Möglichkeiten nicht übersteigen. Beispielsweise sind mittlerweile 4.5-Zimmer-Wohnungen mit 115 m2 Wohnfläche gefragter wie mit 125 m2.»
Auch für Matthias Hutter ist klar: «Im Eigentumsbereich herrscht schon seit längerer Zeit eine Übernachfrage. Attraktive Objekte werden stark nachgefragt. Im Mietwohnungsbereich war das Angebot jahrelange grösser als die Nachfrage – und so hat ein Wettbewerb um die Gunst der Mieter stattgefunden.» Mittlerweile ist die Nachfrage grösser als das Angebot. Dementsprechend besteht für Nachfrager aktuell die Herausforderung darin, ein passendes Objekt zu finden.
Andreas Zäch weist auf einen weiteren Faktor hin: «Objekte mit einem grossen Renovationsbedarf sind häufig deutlich länger auf dem Markt als solche in einem guten Zustand. Dies trifft hauptsächlich bei Eigentumswohnungen mit einem schwachen Erneuerungsfonds zu.» Die Anforderungen an den Ausbaustandard hätten sich während den vergangenen Jahren im Eigentumsmarkt nur unmerklich verändert. Auf die Energiegewinnung werde aufgrund der gestiegenen Energiekosten allerdings ein grösseres Augenmerk gelegt, so Zäch.
«Aktuell ist im Hochpreissegment festzustellen, dass die neuen Marktgegebenheiten mit den höheren Zinsen noch nicht berücksichtigt wurden. Hier erwarten wir in der kommenden Zeit vereinzelte Korrekturen. Die Mieten werden bei den derzeitigen Marktverhältnissen tendenziell eher zulegen», warnt Matthias Hutter. Es stelle sich dabei die Frage, wie nachhaltig die Nachfrage sein wird und ob das Angebot nachziehen kann. «Wir gehen tendenziell davon aus, dass das Angebot im Mietwohnungsbereich kurzfristig nicht stark wachsen wird. Die Anzahl Baubewilligungen ist rückläufig – und neue Projekte erfordern im Planungs- und Bewilligungsprozess viel Zeit.»
Daniel Mosch sieht es etwas positiver: «Der Rheintaler Immobilienmarkt steht unserer Meinung nach solide da. Das Rheintal bietet eine hohe Lebensqualität – und solange es hier attraktive Arbeitsplätze gibt, wird auch die grosse Nachfrage nach Wohnraum bestehen bleiben. Die Preise sind adäquat und verglichen mit umliegenden Grossregionen ‹erschwinglicher›. Auch beim Mietbereich sehen wir für das Rheintal einen ausgeglichenen, intakten Markt.»
Auch Andreas Zäch sieht im Rheintaler Wohneigentumsmarkt zurzeit keine grösseren Probleme: «Er wird konstant mit Neubau-Projekten versorgt. Es besteht weder ein Engpass noch ein Überangebot. Im Mittelrheintal, beispielsweise in Widnau, wurden während den vergangenen Monaten relativ viele Baugesuche eingereicht, was zwischenzeitlich zu einem leichten Überangebot führen könnte.» Der Markt werde dieses mittelfristig wohl wieder absorbieren können.
Über alle Objektarten – Einfamilienhäuser, Eigentumswohnungen, Grundstücke – befänden sich die Immobilienpreise «an der oberen Grenze», so Zäch. Sie seien im Moment stabil oder steigen gar noch leicht. Mittelfristig sei ein leichter Rückgang der Immobilienpreise jedoch nicht ausgeschlossen.
Steigen die Zinsen, sinkt die Nachfrage
Die Immobilienpreise sind auch von den Veränderungen in der Zinspolitik der nächsten Monate abhängig. «Angenommen, die Finanzierungskosten steigen weiter, hätte dies eine sinkende Nachfrage zur Folge.» Aktuell sieht es allerdings nicht danach aus; Fantasiepreise werden in nächster Zukunft wohl seltener erzielt. «Das Marktumfeld ist kompetitiver geworden», bilanziert Zäch.
Daniel Romer gibt zu bedenken: «Im Mietwohnungsmarkt besteht bei günstigen Kleinwohnungen ein Engpass. Ebenfalls deckt das Angebot an Einfamilienhäusern nach wie vor das Angebot nicht ab.» Allerdings sieht auch er kein Überangebot im Wohnbereich – noch nicht. «Preise von Wohnungen mit einem Baualter von über 20 Jahren und kritischen Aspekten wie kein Aufzug, unflexible Raumaufteilung, kleine Aussenräume etc. kommen aber preislich unter Druck.»
Im Bereich Stockwerkeigentum schätzt Romer die Preise als auf hohen Niveau stabil ein. «Bei Einfamilienhäusern sehe ich aufgrund der Knappheit nach wie vor ein Preiswachstum.» Im Mietwohnungsbereich habe man insgesamt noch ein moderates Mietzinsniveau. Falls nicht grössere Neubauprojekte auf den Markt kommen, dürften hier die Bestandesmieten noch leicht steigen. «Die Preise im Rheintal werden teilweise als hoch und ungerecht empfunden, da diese in den vergangenen zehn Jahren stark gestiegen sind. Dies war aber letztlich das Resultat einer hohen Nachfrage, eines vorher eher tiefen Angebotes an Neubauten sowie eines eher tiefen Ausgangsniveaus der Preise», so Romer.
Text: Stephan Ziegler
Bild: zVg