Überlastungssymptomen wirksam entgegenwirken
Doris Straus, die Oberwaid bietet ein breites Spektrum an medizinischer Kompetenz in den Fachdisziplinen psychosomatischer, kardiologischer und muskuloskelettaler Rehabilitation. Wo liegen die Schwerpunkte?
Die Oberwaid verfolgt mit der Integration dieser drei Fachkompetenzen in Diagnostik und Behandlung einen ganzheitlichen Ansatz, in dem wir alle drei medizinischen Fachbereiche professionell miteinander verbinden. Aus diesem interdisziplinären Angebot erstellen wir für unsere Patienten einen massgeschneiderten, individualisierten Therapieplan, der von einem engagierten Team von Spezialtherapeuten realisiert wird. Die Integration der verschiedenen Fachkompetenzen eröffnet moderne Therapieansätze – wie etwa die Psychokardiologie.
Können Sie diesen neuen Therapieansatz näher erläutern?
Akute Herzerkrankungen bedeuten häufig einen tiefen Einschnitt im Leben der Betroffenen. Neben den körperlichen Belastungen einer Operation bzw. notwendiger Therapiemassnahmen führen sie zudem bei 20 bis 40 Prozent der Betroffenen zu Depressionen oder Angststörungen. Faktoren, die sowohl das Behandlungsergebnis als auch den weiteren Verlauf negativ beeinflussen. Um dies vermeiden und die Krankheitsbewältigung fördern zu können, ist die enge Zusammenarbeit von psychosomatischen und kardiologischen Experten im Sinne der Psychokardiologie einer unserer Schwerpunkte. Neben Wissensvermittlung werden gezielt gesunde Bewältigungsstrategien aufgezeigt, die einen besseren Umgang mit Stress und depressiver Verarbeitung des Erlebten ermöglichen. Es geht darum Ängste zu überwinden und das Vertrauen in das eigene Herz zu stärken, denn Ängste wirken sich bei vielen Herzkrankheiten negativ auf deren Verlauf aus.
Und dann sind Sie auch auf Burnout-Prävention spezialisiert.
Ja, auf dem Boden wissenschaftlich fundierter Konzepte haben wir massgeschneiderte Burnout-Präventionsprogramme entwickelt wie beispielsweise die Oberwaid-Kur. Hier geht es primär darum, Stressfolgen wie sinkende Leistungsfähigkeit, Schlafstörungen, Gewichtszunahme, sozialer Rückzug, Erschöpfungszustände oder Bewegungsmangel frühzeitig zu erkennen und gezielt gegen zu steuern, bevor sich diese Vorboten zu einer ernsten Erkrankung manifestieren. Denn chronischer Stress führt auf neurobiologischer Ebene zu komplexen Veränderungen mit Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-, Immun- und Stoffwechselsystem. Häufig werden Stress und ungelöste Probleme zudem mit dysfunktionalen Strategien wie ungesunden Essritualen kompensiert. Die individuellen Präventionsprogramme der Oberwaid-Kur greifen die Ursachen von Stressfolgen an der Wurzel. Die Kur befähigt zu einer frühzeitigen Erkennung von Stresssymptomen und vermittelt Strategien, um Überlastungssymptomen wirksam entgegenzuwirken.
Wie akut ist denn das Problem Burnout heute, gerade nach zwei Pandemiejahren?
Burnout ist in den letzten zehn Jahren ein anhaltend relevantes Thema. Über alle Branchen hinweg geben knapp 30 Prozent der Erwerbstätigen sowohl erhöhten Stress als auch Anzeichen von Burnout an. Die Absenzen infolge der arbeitsbedingten Stressbelastung sind in den letzten Jahren stark gestiegen. Die Folgen der Pandemie haben sich je nach Branche sehr unterschiedlich ausgewirkt. Ob sie zu einem Anstieg von Burnout führen, werden wir erst in den nächsten Jahren beurteilen können. Was wir jedoch klar beobachten können, ist, dass die individuelle Anpassungsfähigkeit in der Pandemie mit Unsicherheit, Ängsten, Gefühlen von Ohnmacht, aber auch rasch wechselnden Veränderungen umzugehen, stark gefordert war. Gleichzeitig waren Ausgleichsaktivitäten und soziale Unterstützung stark eingeschränkt. Kamen noch weitere Belastungen wie Existenzängste hinzu oder bestanden bereits vorab Burnout-typische Risikokonstellationen im Sinne eines Ungleichgewichts zwischen Einsatz und Wertschätzung oder Anforderungen und Handlungsspielraum, sehen wir vermehrt schwere Erschöpfung bis zu psycho-physischem Zusammenbruch.
Was empfehlen Sie persönlich als Burnout-Prävention, die jeder auch für sich machen kann?
Wichtig ist nicht nur in die eigene Fachkompetenz, sondern auch in die eigene Sozial-, Kommunikations- und Selbstkompetenz zu investieren. Selbstwahrnehmung und Selbstregulation sind Kernkompetenzen eines gesunden Stressmanagements und der eigenen Resilienz, d. h. die Widerstandskraft, Krisen gesund bewältigen zu können. Zudem braucht es eine Balance zwischen Aktivität und Regeneration. Neben regelmässiger Bewegung sollten wir auch unsere Entspannungsfähigkeit stärken. Und ganz wichtig: Pflegen Sie Ihre Beziehungen, denn soziale Unterstützung ist der präventive Faktor für Gesundheit überhaupt.
Sie bieten auch Coachings im Betrieblichen Gesundheitsmanagement an. Wie bewusst ist den Unternehmen, dass ein BGM kein Kostenfaktor, sondern eine Investition in die Mitarbeiter und damit in die Zukunft des Unternehmens ist?
Meine Erfahrung ist, dass das Bewusstsein steigt, nicht zuletzt aufgrund der stark ansteigenden Absenzen in Zusammenhang mit Stressfolgen und den damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen für die Unternehmen. Es ist direkt erfahrbar, dass sich diese Investition lohnt, nicht nur für den betroffenen Mitarbeitenden, sondern auch bezogen auf den Unternehmenserfolg.
Im Zusammenhang mit BGM offerieren Sie auch medizinische Check-ups, individuelle Gesundheitsprogramme, Seminare und Events speziell für Führungskräfte und Mitarbeiter von Unternehmen. Wo sehen Sie die Bedeutung dieser «Corporate Health»? Gesunde Führung, aber auch Selbstführung sind wichtige Hebel einer nachhaltigen Burnout-Prävention. Dass arbeitsbezogener Stress gesund bewältigt werden kann, ist eine geteilte Verantwortlichkeit von Arbeitgeber und -nehmer. Da Führung im besten Fall als Stresspuffer wirken kann, ist es wichtig, Führungskräfte entsprechend zu sensibilisieren und auch in ihren eigenen Stressmanagementkompetenzen zu schulen. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Anpassungskompetenzen bei Führungskräften im Vergleich zu Gestaltungskompetenzen viel weniger vorhanden sind. Diese sind jedoch sowohl für das eigene gesunde Selbstmanagement zentral als auch Voraussetzung dafür, die Belastungen der Mitarbeitenden angemessen erkennen und die richtigen Massnahmen ergreifen zu können.
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Das heisst konkret?
Sind manche Faktoren individuell zu beeinflussen, braucht es zudem andere Massnahmen auf Ebene der Unternehmenskultur und klarer Regelungen. Die grosse gemeinsame Aufgabe ist es, ein Unternehmensklima zu schaffen, das hohe Motivation und Leistungsbereitschaft mit Respekt, gesunder Selbstsorge und gegenseitiger Unterstützung verbindet. Auf dieses Zusammenspiel von persönlichem Selbstmanagement und spezifischer Führungskompetenz im gesunden Stressmanagement fokussiert der BGM-Ansatz der Oberwaid. Instrumente dazu sind Wissensvermittlung, Reflexion und Schulung im Rahmen von Coaching oder spezifischer Gruppenarbeit, denn um diese Fähigkeiten zu entwickeln braucht es ein Vis-à-vis, das Perspektivenwechsel ermöglicht aber auch einfordert.
Eine Besonderheit der Oberwaid ist die Kombination einer hochmodernen Klinik mit einem Vier-Sterne-Superior-Hotel. Inwiefern kann diese Kombi zum Genesungserfolg beitragen?
Das Klinik-im-Hotel-Konzept hat sich sehr bewährt. Zum einen gibt es Sicherheit, zu wissen, dass medizinische Betreuung zu jeder Zeit verfügbar ist. Gleichzeitig schätzen die Patienten den nicht-klinischen Rahmen der Oberwaid, weil er ihnen hilft, Abstand zu gewinnen von den Belastungen im Lebensumfeld oder von der vorausgehenden akut- bis intensivmedizinischen Behandlung. Die besondere Atmosphäre der Oberwaid, die Erfahrung, entlastet und umsorgt zu werden, sind wichtige Faktoren für Erholung und Genesung.
Die besten «äusseren» Faktoren nützen wenig, wenn nicht der Faktor Mensch ebenso gut aufgestellt ist. Auf was achten Sie bei der Auswahl Ihrer Angestellten? Sie sprechen einen wichtigen Aspekt an – neben der fachlichen Kompetenz ist es wichtig, Personen zu finden, die sich mit unserer Konzeptidee und unseren Werten identifizieren können, die sich für Menschen interessieren und integrativ denken, die gerne zusammenarbeiten und im Team lernen und sich weiterentwickeln wollen, und die in der Lage sind, sich in die Perspektive des Anderen einzufühlen. Um diese persönlichen Faktoren erfassen, aber auch vermitteln zu können, sehe ich möglichst viele favorisierten Bewerber persönlich. Dass es uns gelingt, die richtigen Menschen zusammenzubringen, zeigen uns die sehr guten Feedbacks unserer Patienten und Gäste – was ich nur bestätigen kann, ich habe ein wunderbares Oberwaid-Team. Trotz allem sind auch wir vom Fachkräftemangel betroffen, was uns dazu bewegt, sowohl im Hotel- wie Klinikbereich attraktive Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu schaffen.
Sie sind CEO und medizinische Direktorin in Personalunion. Können Sie, neben allen organisatorischen und Führungsaufgaben, auch selbst noch medizinisch tätig sein?
Ja, ich bin seit 1991 bis heute ärztlich psychotherapeutisch tätig. Die Arbeit mit Patienten ist nicht nur sinnstiftend und bereichernd, sondern gibt mir auch wichtige Impulse für meine Führungsaufgaben, da sie mir sowohl die Sicht des Patienten, als auch die Anforderungen an uns Mitarbeitende reflektiert. Die Lebensgeschichten jedes Einzelnen haben mich auch Respekt gelehrt und zu erkennen was kleine Schritte verändern, aber auch bedeuten können. Diese Erfahrung ist eine wichtige Quelle, auch in schwierigen Situationen Patienten wieder Vertrauen zu sich selbst vermitteln zu können.
Zum Schluss: Wenn ich mich für einen Aufenthalt in der Oberwaid interessiere – weise ich mich sozusagen selbst ein, oder welchen Weg muss ich gehen?
Wenn es um eine stationäre Behandlung geht, braucht es eine ärztliche Zuweisung des Vorbehandlers – Hausarzt, ambulanter Therapeut oder Klinik. Mit der ärztlichen Beurteilung, welche Nachbehandlung erforderlich ist, entscheidet allerdings der Patient, in welcher Klinik er diese in Anspruch nehmen möchte. Insofern ist es wichtig, dass der Patient seine Prioritäten und Behandlungsziele prüft und äussert.