Noch ein letzter Tanz

St.Gallen ist ihm bestens bekannt, nur steht er üblicherweise auf den Bühnen der Lokremise oder des Theaterprovisoriums UM!BAU. Für die St.Galler Festspiele stellt sich Kinsun Chan aber in der Stiftskirche auf und präsentiert seine Choreografie «Erscheinen». Die Stiftskirche von 1766 fliesst in die Form des Stücks mit ein. «Eine Tanzkreation ist jeweils stark von dem Raum, dem Bühnenbild und der Architektur beeinflusst, in der sie aufgeführt wird», sagt Chan.
Spiritualität, Tanz und Musik
In diesem Fall trifft der Choreograf auf ein majestätisches Innenleben, das vor allem als Raum der Spiritualität dient. Das Miteinander von Tanz, Musik und Raum ist für Zuschauende eine grosse Herausforderung, könnte man annehmen. Ganz im Gegenteil, findet Chan: «Das stellt keine Schwierigkeit dar, denn für mich sind die drei Themen eine natürliche und organische Kombination.»
Vielmehr sei es der Wettlauf mit der Zeit, der für den Choreografen eine Herausforderung darstellt. «Wir kreieren und wollen gleichzeitig experimentieren, müssen aber trotzdem rechtzeitig für die Premiere fertig werden», sagt er. Das Team, welches «Erscheinen» auf die Beine stellt, arbeite spielerisch. In einem achtsamen Arbeitsprozess kooperieren die Tänzer mit einem Organisten und dem «zurich saxophone collective», wobei eine der drei St.Galler Stiftsorgeln mit Blasinstrumenten verschmilzt.
Das schafft in zweifacher Hinsicht einen besonderen Rahmen für Chans Produktion. Die Musikwahl ist eine Hommage an den scheidenden geschäftsführenden Direktor des Theaters St.Gallen, Werner Signer. «Das Blechblasinstrument ist eines seiner Lieblingsinstrumente und mein letztes Werk in St.Gallen ein Geschenk an ihn», erklärt Chan. Zudem emuliere das Saxofon, obwohl es zu den Holzbläsern gehört, wunderbar den Klang eines Blechblasinstruments.
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Entdeckung eines neuen Mediums
Es sind diese Auffassungen, die Chans Chorgeografiestil beeinflussen und einzigartig machen. Davon hat das St.Galler Publikum mit Chans Produktionen «Jupiter und Venus» sowie «Erscheinen» letzte Kostproben bekommen, denn der Tanzkompaniechef verlässt das Theater St.Gallen nach den Festspielen. Kinsun Chan blickt auf unschätzbare Lebens- und Berufserfahrungen zurück. «Meine Zeit hier wird mir immer in der Seele bleiben», sagt er. Sein nächstes Kapitel führt ihn als Ballettdirektor an die Semperoper in Dresden. In St.Gallen hinterlässt er die Erinnerungen an lebendige Kunstwerke.
Zur Person
Kinsun Chan hat Hongkong-stämmige Eltern, wurde in Kanada geboren, wuchs in Amerika auf und verrät sein Alter nicht. Er studierte Kunst, Grafikdesign und Tanz in den USA. Im Ballett hat er eine professionelle Ausbildung absolviert und kam als Solist nach Zürich und Basel. Unter Heinz Spoerli begann Chan, selbst zu choreografieren und erweiterte seine Tätigkeiten später als Ausstatter und Opernchoreograf. Seit 2019 ist er Chef der Tanzkompanie am Theater St.Gallen und choreografierte hier Werke wie «Rain», «Coal, Ashes and Light» oder «Jupiter und Venus». Sonstige Arbeiten wurden in internationalen Balletts, u. a. Singapur, Antwerpen und Hongkong aufgeführt. Ab der Saison 2024/25 wird Kinsun Chan Ballettdirektor an der Semperoper in Dresden.