Der Gastgeber und sein Experimentierfeld
Philippe Narval, der Begriff des Intendanten kennt man eigentlich aus dem Theater und der Oper. Sind Sie eine Art Regisseur des SQUARES?
Wir interpretieren die Funktion des Intendanten bzw. des Teams der Intendanz am SQUARE als jene, die eine strategische Richtung vorgibt. Vor allem aber baut unsere Arbeit auf der Kunst des Dialogführens, des intelligenten Vernetzens und der Partizipation auf. Das sind auch Kulturtechniken, weshalb der Begriff des Intendanten ganz gut passt. Ein Teil unserer Arbeit ist es, ein eigenständiges Programm zu entwickeln, das Diskurs und Dialog fördert. Zudem entwickeln wir dieses Experimentierfeld durch ein eigenständiges, innovatives Programm und sind ein Eventspace für studentische und nicht-studentische Veranstaltungen.
Und was hat Sie bewegt, sich dieser Aufgabe anzunehmen?
Zum einen fand ich es von der Universität St.Gallen irrsinnig mutig, diesen Raum aufzumachen und zuzulassen, dass man experimentiert – das heisst neue Dinge ausprobieren, Fehler machen und ungewöhnliche Konstellation eingehen. Die Gelegenheit, ein Teil eines solch spannenden Projekts zu sein, bekommt man nicht oft! Zum anderen leitete ich fast zehn Jahre lang das Europäische Forum Alpbach. Einer der Hauptgründe, warum ich das so gerne und so lange gemacht habe, war, dass wir dort ein Stipendienprogramm mit 600 Studierenden aus 100 Nationen hatten, die wegen der grössten Wissenschaftskonferenz Europas ins Tiroler Bergdorf kamen. Ich wollte unbedingt wieder mit jungen Leuten zusammenarbeiten: Die Arbeit hält einen auf Trab, ist inspirierend und bietet die Möglichkeit, etwas zurückzugeben. Ausserdem finde ich es in Zeiten zunehmender Polarisierung sehr wichtig, Orte des Dialogs und Zusammenkommens zu schaffen um gesellschaftliche Gräben zu überwinden.
Es wird oft von «Open House» und «neuem Lernen» gesprochen. Inwiefern trägt die Architektur zu diesen Visionen bei?
Das Haus zeichnet sich durch seine entspannte und offene Atmosphäre aus. Wir wissen aus der aktuellen Entwicklung von Lernpsychologie und Neurowissenschaften, dass man solchen entspannten Umgebungen viel aufnahmefähiger ist. Ausserdem gibt es viel Freifläche, um in einen Dialog zu treten – auch das muss geübt werden, wenn man mit Unternehmern und verschiedenen Stakeholdern in Kontakt kommen möchte. Wir scheitern heute in Unternehmungen nicht mehr an den technischen Möglichkeiten, sondern an zwischenmenschlichem Versagen in der Kommunikation. Deshalb ist es so wichtig, dass es ein Ort gibt, wo man die eigene Blase verlässt und sich auf neues einlässt.
Apropos Lernen: Aus «Learning Center» wurde SQUARE. Wieso?
Der Begriff «Learning Center» war mehr ein Arbeitstitel und sorgte für etwas Verwirrung bei den Studierenden. Wir haben zwar während der Lernphase Räume zum Lernen zur Verfügung gestellt, aber mit dem Zusatz, dass es im SQUARE eben nie ganz still ist – stille Lernräume gibt es anderswo. Schliesslich trägt der Name dem Raster des Gebäudes Rechnung und SQUARE bedeutet auch Platz, was den Zweck als Ort der Begegnung und des Dialogs treffend zum Ausdruck bringt.
Neben den curricularen und extracurricularen Veranstaltungen gibt es am SQUARE ein eigenes intendantisches Programm. Welches Ziel wird damit verfolgt?
Wir wollen Studierende und Dozierende, Alumni und Menschen aus der Region miteinander vernetzen, Wissenschaft verständlich und praxisnah vermitteln und interdisziplinäre Perspektiven begünstigen. Das intendantische Programm trägt unsere Handschrift und soll möglichst diverse Persönlichkeiten ins Haus locken und verschiedenen Themen eine Plattform bieten. Unternehmen können sich am SQUARE Studierenden gegenüber öffnen und mit ihnen in Kontakt treten. Daraus entstehen tolle Synergien.
Vor mehr als einem halben Jahr eröffnete SQUARE seine Türen zum ersten Mal. Das Interesse, aber auch die Erwartungen waren hoch. Wie haben Sie die letzten Monate erlebt?
Die «soziale» Architektur des SQUARE zu entwickeln mit dem Auftrag, den ich oben skizziert habe, braucht sicher gleich viel, wenn nicht mehr Zeit wie die Errichtung des Hauses selbst. Das eine ist der physische Raum, das andere, dass sich Menschen dafür verantwortlich fühlen, sich zu engagieren und die Einladung des Hauses, Dinge anders zu machen, auf einander zuzugehen, annehmen – das braucht Zeit. Aber das Gebäude wurde schnell von Studierenden in Beschlag genommen und wir waren schon während des ersten Semesters bzgl. curricularen Veranstaltungen ausgebucht. Ich habe das Gefühl, dass ein guter Start gelungen ist.
Und wo hat es noch Potenzial?
Wir wollen vermehrt eine Community aufbauen, die die Programmierung des Hauses nutzt. Also beispielsweise, dass sich die Studentenschaft Dinge überlegt, die ausserhalb ihrer sozialen Blase stattfinden und für die breitere Öffentlichkeit relevant sind. Ausserdem wollen wir neue Lernformate mit dem Netzwerk entwickeln und gehaltvolle Kooperationen mit der Region und darüber hinaus schaffen, die eine Bereicherung für Stadt und Universität sind. Das kann von Kultur bis Wirtschaft unterschiedliche Dimensionen haben.
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Wie sieht für Sie die Universität der Zukunft aus?
Erstens: Eine Universität, die sich ihrer Verantwortung in ihrer Region bewusst ist und klar erklären kann, worin ihr Beitrag liegt. Zweitens: Eine Universität, die sich der grössten Herausforderungen der heutigen Zeit, den ökologischen Krisen, widmet. Drittens: Eine Universität, die die neuesten Erkenntnisse aus Neurowissenschaft darüber, wie wir lernen, in der Didaktik berücksichtigt. Dazu gehört reines Auswendiglernen vor Prüfungen meines Erachtens nicht mehr. Ich glaube kaum, dass es in den nächsten zehn Jahren noch einen Bedarf an Grossvorlesungen gibt, die dann ein Jahr später abgetestet werden. Und viertens: Eine Universität, die immer wieder hinterfragt, wie man auf die fortschreitende, digitale Verfügbarkeit von Wissen reagiert. Denn ich glaube, dass eine allgemeine Überforderung herrscht und Universitäten mehr denn je gefragt sind Orientierung zu geben. SQUARE hilft der HSG, diese Zielsetzungen zu erfüllen.