Zum bevorzugten Wohnort gemausert
«Die Nachfrage nach Wohnobjekten – Kauf wie Miete – ist nach wie vor ungebrochen. Die Zinswende hat bislang noch nicht zu einer Preisabschwächung geführt. Der Wunsch nach einem Eigenheim – vor allem nach dem eigenen Häuschen – ist ungebrochen hoch», sagt Urs Kramer, Geschäftsführer der Kramer Immobilien aus Kreuzlingen. Gleichzeitig werde das Gut «Boden» immer knapper. Dies führe unweigerlich zu einer Verknappung des Angebots.
Das empfindet auch Ralf Scherer, Inhaber der Immoleague AG aus Frauenfeld und Kreuzlingen, so: «Wie generell in der Schweiz hat sich auch im Thurgau der Mietwohnungsmarkt innert kurzer Zeit stark verändert und von einem Überangebot vielerorts in Wohnungsmangel gewandelt. Es wird deutlich weniger gebaut; dies macht sich bemerkbar. Die Mieten steigen drastisch, auch im Thurgau, und der Leerstand an Mietwohnungen sinkt deutlich. Verdichtetes Bauen mit kreativen, nachhaltigen Konzepten ist gefordert, um neuen, attraktiven Wohnraum zu schaffen. Es besteht jedoch politischer Handlungsbedarf, um hier eine wichtige Veränderung in die Wege zu leiten.»
Seenähe als Verkaufsschlager
Auch bei den Einfamilienhäusern sieht es ähnlich aus. Die Ostschweiz und auch der Thurgau hätten in den vergangenen Jahren deutlich an Attraktivität gewonnen, da vor einigen Jahren die Immobilienpreise vergleichsweise niedrig waren. Auch das habe sich mit sehr wenigen Ausnahmen komplett geändert. «Der Thurgau ist zu einer sehr beliebten Wohngegend avanciert. Die Tragbarkeitsrechnung wird auch hier zunehmend problematisch», sagt Ralf Scherer weiter.
Die hohe Lebensqualität, der Bodensee und die Nähe zur Grenze sowie nach Zürich machen den Thurgau weiterhin sehr attraktiv, sagt Svenja Held, Inhaberin der Raumteam Immobilienberatung GmbH aus Kreuzlingen.
«Gesucht sind vorwiegend Immobilien entlang des Unter- und Bodensees und in den grösseren Städten wie Frauenfeld und Weinfelden. Preisbewusste Käufer suchen gerne auch im östlichen Bereich des Bezirks Weinfelden», bemerkt Daniel Stöhr, CEO der Stöhr Immobilien GmbH aus Kreuzlingen. Dem stimmen alle befragten Immobilienexperten zu. Mit dem generellen Boom Richtung Ostschweiz und insbesondere auch dem Thurgau hätten die Standorte in unmittelbarer Nähe zum Bodensee besonders profitiert.
«Auch Kreuzlingen, wo wir unseren Hauptsitz haben, zählt dazu. Gemeinden und Ortschaften, die eine gute Anbindung zu Zürich haben, werden stark nachgefragt», sagt Ralf Scherer. Laut Svenja Held sind auch die Nachbargemeinden Bottighofen, Gottlieben und Tägerwilen stark gefragt. Zudem sei ein Trend bei kleinen Gemeinden wie beispielsweise Lengwil spürbar, die naturnahes Wohnen und die Nähe zu den grösseren Nachbargemeinden vereinen.
Horn führe die Liste der Seegemeinden an, die besonders boomen. Dass diese auch noch steuergünstiger sind, lässt die Nachfrage noch weiter ansteigen, sagt Christian Schulz von Christian Schulz Immobilien aus Ermatingen. Die Tendenz zu steigenden Preisen sei aber generell im ganzen Kanton deutlich spürbar.
Hat sich der Traum ausgeträumt?
Da stellt sich die Frage, wo das Eigenheim denn noch bezahlbar ist. Laut Stöhr ist das beispielsweise im östlichen Bereich des Bezirks Weinfelden, bei Gemeinden wie Kradolf-Schönenberg, Erlen, Birwinkel und Hauptwil-Gottshausen. Christian Schulz nennt noch die Gemeinden Bischofszell, Aadorf, Affeltrangen und Wuppenau. Diese könnten Gewinner der aktuellen Marktsituation werden, zumal die Bodenpreise dort günstiger sind.
«Gerade in der Ostschweiz finden sich nach wie vor immer wieder Immobilien, die durchaus noch bezahlbar sind. Die Tendenz für eher bezahlbare Eigenheime ist sicherlich in den Randregionen und den weniger gut angebundenen Regionen zu suchen. Und ebenso ist natürlich der Zustand einer Immobilie von grosser Bedeutung. Vermehrt kommen Eigenheime, die in den 80/90er-Jahren gebaut und gekauft wurden, auf den Markt. In nicht wenige davon muss noch einiges an Sanierungskosten investiert werden, damit sie aktuelle Standards erfüllen. Wer hier aber die Potenziale sieht und noch ein wenig finanziellen Spielraum hat, kann unter dem Strich mit klugen und kreativen Sanierungsinvestitionen den Wert einer Immobilie deutlich steigern. Zu seinem Gewinn», erklärt Ralf Scherer.
Aufklärungsarbeit leisten
Schwieriger würden sich Standorte, die eher schlechte Anbindungen haben, vermarkten lassen. Sehr ländliche Gemeinden mit nicht so stark ausgebauter Infrastruktur seien im Vergleich weniger gefragt. Zwar biete das Leben hier Idylle, Naturnähe und Ruhe, allerdings sind Familien, aber auch ältere Menschen auf die Nähe zu Kindergärten. Schulen und Einkaufsmöglichkeiten sowie öV angewiesen. «Aber auch dort sind die Bodenpreise in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Dies verwundert auch nicht. Wenn kein Bauland in den Städten vorhanden ist, weichen die Investoren in die Umgebung aus», sagt Urs Kramer.
Bei Immoleague erlebe man jedoch grosse Unterschiede zwischen einem Immobilien-Wunschpreis und des tatsächlich zu realisierenden Preises. «Es kommt nicht selten vor, dass wir intensive Aufklärungsarbeit leisten. Denn nicht jeder Preis ist realisierbar, nur weil die Ostschweiz sich zu einer sehr begehrten Wohngegend gemausert hat.»
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Zuwanderung und neue Bedürfnisse
Die Gründe für die Verknappung des Angebots sind vielfältig: «Wir haben gesamtschweizerisch und auch auf den Kanton Thurgau bezogen einen starken Wanderungsüberschuss. Dazu kommt, dass die Bauaktivität leicht abgenommen hat. Auch denke ich, dass wegen der hohen Immobilienpreise doch mehr Häuser und Wohnungen direkt vererbt werden uns so nicht auf den Markt kommen», erklärt Daniel Stöhr.
Auch veränderte Lebensstile haben Auswirkungen auf den Wohnraum. Immer mehr Menschen leben allein oder in kleinen Haushalten und benötigen dementsprechend kleinere Wohnungen. «Leider sind diese oft nicht ausreichend vorhanden. Die steigenden Preise für Immobilien aufgrund der Verknappung des Angebots und der hohen Nachfrage führen dazu, dass viele Menschen sich den Kauf einer Immobilie nicht mehr leisten können und auf dem Mietmarkt bleiben» sagt Ralf Scherer.
Fehlende Baugenehmigungen, Engpässe in der Bauwirtschaft, hohe Grundstückpreise und mangelnde Anreize für Investoren würden zu regionalen Unterscheiden in der Nachfrage nach Wohnraum führen. «Die Coronapandemie sowie die gestiegenen Hypothekarzinsen haben die Auswirkungen, dass Eigentümer etwas vorsichtiger an den Markt gehen. Auch dies lässt die Immobilienpreise weiter so hoch bleiben, denn die Nachfrage sinkt nicht», ergänzt Svenja Held.
«Es herrscht ein gewisser Kaufstress»
Trotz veränderten Bedürfnissen bleibt aber die Lage für die meisten Menschen das Mass aller Dinge bei einer Immobilie. «Eine gute Lage trägt massgeblich zur Lebensqualität und zum langfristigen Wert einer Immobilie bei. Dabei ist das, was wir als ‹gut› empfinden, subjektiv, und glücklicherweise gibt es für die meisten individuellen Vorlieben das passende Zuhause», sagt Christian Schulz.
Svenja Held begleitet viele Suchende, die sich zum Beispiel aufgrund der Schulwahl oder aus Altersgründen auf bestimmte Bezirke festgelegt haben, allerdings dann doch viele von der ursprünglichen Wunschlage abweichen, wenn die Immobilie oder der Kaufpreis überzeugt.
Und Daniel Stöhr würde den berühmten Leitsatz «Lage, Lage und nochmals Lage» etwas anpassen und mit «Lage, Lage und Verkehrslage» ersetzen. Zudem beobachte er vereinzelt, dass ein gewisser Kaufstress herrsche.
Grösser, nachhaltiger und kreativer
Bei der Immoleague AG stellt man fest, dass vor allem die jüngere Käuferschaft bereit ist, in die Jahre gekommene Immobilien zu ihrem ganz persönlichen Zuhause umzugestalten. Da in solche Immobilien ohnehin in die Sanierung investiert werden muss, wird hier Raum für Kreativität frei. Mit nicht allzu grosser Anfangsinvestition könne ein ganz neues Wohngefühl geschaffen werden.
Laut Christian Schulz sei das Interesse an energieeffizienten Immobilien stark gestiegen. «Zudem hat die Pandemie dazu geführt, dass viele Menschen den Wert von naturnahem Wohnen und grosszügigen Grundstücken neu entdeckt haben. Städter sehen sich vermehrt nach Wohnraum auf dem Land um, sei es als Hauptwohnsitz oder als Feriendomizil. Auch das Interesse an Homeoffice-freundlichen Immobilien und Mehrgenerationenhäusern nimmt zu.»
Auch bei der Raumteam-Immobilienberatung spüre man eine erhöhte Nachfrage für ökologisches Bauen, Heizen mit erneuerbaren Energien bis hin zur komplett autarken Versorgung. «Weiterhin muss die Überalterung berücksichtigt werden: Die älteren Menschen wünschen sich andere Wohnflächen, sie möchten kein Einfamilienhaus auf dem Land, sondern Wohnungen mit öV-Anbindung», sagt Svenja Held.
Unterschiedliche Prognosen
Und was erwarten die Fachleute vom Jahr 2023? «Das Immobilienjahr 2023 wird weiterhin von einer grossen Nachfrage dominiert. Es bleibt abzuwarten, ob sich der Zinsanstieg weiter fortsetzen wird und welche Auswirkungen dies auf den Immobilienmarkt haben wird», sagt Urs Kramer.
Und Daniel Stöhr ergänzt: «Wir erwarten keine einschneidende Veränderung, obwohl die Zinssituation etwas anderes vermuten liesse. Wir bei Stöhr Immobilien haben im ersten Quartal 2023 weder weniger Aufträge erhalten noch längere Standzeiten beim Verkauf gehabt. Sollte sich die zehnjährige Festhypothek wider Erwarten über vier Prozent bewegen, könnte sich dies eventuell am Markt bemerkbar machen.»
Ralf Scherer geht davon aus, dass das Wohnen in der Schweiz bald noch teurer wird und dass mittelfristig eine steigende Bedeutung von Nachhaltigkeit und Digitalisierung erwartet wird.
«Ich erwarte spannende Marktentwicklungen und ein leicht gestiegenes Angebot sowie eine längere Vermarktungsdauer. Die Verkaufspreise werden allerdings gemäss diverser Prognosen nicht massiv sinken, dafür ist der Nachfrageüberhang noch zu ausgeprägt», sagt Svenja Held. Und Christian Schulz hofft auf eine Vielzahl von Möglichkeiten für Käufer und Verkäufer.
Text: Miryam Koc
Bild: zVg