(Preis-)Kampf um die besten Objekte
Der Ostschweizer Immobilienmarkt ist zurzeit quasi ausgetrocknet – sehr ausgetrocknet, betont Roger Stieger, Partner bei der RT Immobilien Treuhand AG aus Altstätten: «Sowohl Einfamilienhäuser als auch Wohnungen im Stockwerkeigentum werden sehr stark nachgefragt. In gewissen Preisklassen liefern sich die Interessenten einen richtiggehenden Preiskampf.» Gute Lagen und ebensolche Ausbaustandards sind zwar am meisten gefragt. Aber: «Aufgrund des knappen Angebotes sind Interessenten auch gewillt, Objekte zu erwerben, die nicht vollumfänglich ihren Wünschen entsprechen.»
Nehmen, was man kriegen kann
Lukas Benninger, Geschäftsführer der GEMAGGebrüder Müller AG in St.Gallen, kann dies bestätigen: «Einfamilienhäuser werden momentan bei uns am stärksten nachgefragt.» Sobald die Nachfrage nach einem Produkt sehr hoch ist, spielten Lage oder Ausbaustandard eine weniger wichtige Rolle. «Man ist einfach froh, überhaupt ein Einfamilienhaus kaufen zu können.» Auch Daniel Hengartner, Inhaber der Wiler Reseda Invest AG, hat dieselben Erfahrungen gemacht: «Der Landpreis hat sich in den Städten derart erhöht, dass Einfamilienhäuser für eine Vielzahl der Interessenten nicht mehr erschwinglich ist. Die Lage ist wichtig, aber wenn an einer B- oder C-Lage der Preis stimmt, werden auch diese Objekte erworben.» Wer aber nur in Zentren suchen will oder kann, weiche auf Stockwerkeigentum oder Reiheneinfamilienhäuser aus. Eckbert Bohner, Verkaufsleiter der Goldinger Immobilien AG aus Frauenfeld, sieht noch einen weiteren Grund für die Verknappung von vor allem Einfamilienhäusern: «Viele Senioren haben Ihre Veränderungswünsche ‹aus dem Haus raus zur Wohnung› zeitlich verschoben, weil sie die Vorteile eines Gartens in den letzten beiden Jahren neu zu schätzen wussten.» Die Lage stehe immer in Anhängigkeit von der Dicke des Portemonnaies zur Diskussion. «Mit weniger Budget werden auch Kompromisse eingegangen, bei den besser Situierten werden eher die Budgets erhöht als Lagekompromisse eingegangen.»
Lage und Ausbaustandard punkten
Peter Mettler, CEO der Mettler2Invest AG aus St.Gallen, weist darauf hin, dass auch institutionelle Investoren stark nach Renditeobjekten suchen – was auch in diesem Bereich die Preise nach oben treibt. Bei Wohneigentumskäufern sei die Lage weiterhin das Mass aller Dinge – wenn man sie sich leisten kann. «So sind Seelagen oder solche mit Aussicht besonders gefragt. Ebenso spielen die Anbindung an den ÖV und die Nähe zu Infrastrukturen wie Schulen oder Einkaufszentren eine grosse Rolle.»
Auch Elias Zürcher, Vorsitzender der Fortimo-Geschäftsleitung aus St.Gallen, betont, dass nicht einfach alle Eigentumswohnungen per se stark nachgefragt seien: «Gesucht sind vor allem gut möblierbare Grundrisse mit smartem Layout.» Dabei sollten die Wohnungen einerseits qualitativ hochwertig ausgebaut, andererseits aber auch finanzierbar sein. Das kann Eckbert Bohner unterstreichen: «Die klassischen Anforderungen an Wohneigentum im Bezug auf Standards haben sich gerade bei Wohnfläche und Aussennutzflächen wie Balkon oder Garten nach oben verschoben.»
Corona hat die Nachfrage verändert
Die Nachfrage nach selbst genutztem Wohneigentum ist «während der Coronakrise stark gestiegen», darin gehen alle Fachleute mit Lukas Benninger einig; Eckbert Bohner nennt eine konkrete Zahl: «In der Coronazeit hat sich das Immobilien-Suchvolumen um sieben Prozent erhöht.» Die Digitalisierung habe die Arbeitswelt mobiler gemacht und mit der Möglichkeit für vermehrtes Homeoffice auch die Nachfrage nach einem oder gar zwei zusätzlichen Zimmern im Eigenheim befeuert. «Die Menschen wollen ein eigenes Zuhause haben. Man legt grossen Wert auf Wohnlichkeit. Corona hat viele zu Homeoffice gezwungen, womit selbstredend auch mehr Zimmer im Sinne von Büros gewünscht werden», fassen Elias Zürcher und Roger Stieger zusammen. Unterstützt wurde die Nachfrage von den nach wie vor sehr tiefen Zinsen.
Peter Mettler möchte aber etwas relativieren: «Die Pandemie hat zwar eine Änderung hervorgebracht. So sind die Ansprüche zu mehr Raum/Zimmer bei den Wohnungen da. Wir hatten aber schon vor Corona eine stets steigende Flächenbeanspruchung pro Person beobachtet.» Wie lange diese Tendenz noch anhalte, sei schwer vorherzusagen.
Auch Daniel Hengartner geht davon aus, dass sich dieser Trend wieder einpendeln werde. «Die grosse Stadtflucht wird langfristig nicht stattfinden. Denn die Zentren haben bezüglich Arbeitsplatz, Ausbildungs- und Kulturangebot einen klaren Vorteil. Dieser wird sich wieder durchsetzen.» Sicher ist sich Mettler allerdings, dass sich bei den Büros einiges ändern wird. «So sind flexible Grundrisse sehr gesucht. Bei bestehenden unflexiblen Strukturen wird in Zukunft die Nachfrage noch mehr sinken.»
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Es wird aus- und umgebaut
Weil die Menschen wegen Corona mehr Zeit zuhause verbringen mussten, entschieden sich viele Eigentümer für den Um- und Ausbau ihrer eigenen vier Wände, resümiert Roger Stieger. Man baute Hobby-, Wellness- und Fitnessräume sowie Gartenlandschaften und, natürlich, Büroräume. Und es wurde kräftig ausgebaut: Neue Küchen, Bäder und Kommunikationsmittel sind gemäss Daniel Hengartner besonders gefragt. «Man wollte mehr Komfort für Homeoffice und -schooling.»
Das kann Eckbert Bohner indirekt bestätigen: «Was wir aus unserem Umfeld hören, sind 2020 und 2021 Innenausstatter, -Saunabauer, Gärtner und alle, die im Renovationssektor arbeiten, sozusagen ‹Umsatz-Profiteure› der Krise.» Keine besondere Tendenz zur Renovation oder Umbauten wegen Corona sieht hingegen Peter Mettler. «Renoviert und umgebaut wird heute auch vielerorts aus Gründen der Nachhaltigkeit.»
Ob nun Umbauten und Renovationen aus Komfort- oder Nachhaltigkeitsüberlegungen geschehen sind, ob sie in Eigenregie und/ oder mit Hilfe von Handwerksunternehmen ausgeführt wurden: Die Nachfrage nach Baumaterialien jeglicher Art ist stark gestiegen. «Diese grosse Nachfrage sowie die bekannten Lieferengpässe verteuerten die Materialien, womit die Baukosten generell angestiegen sind», wirft Stieger einen weiteren Faktor in den Ring, der Wohneigentum zusätzlich verteuert.