Der «Alleingänger unter den Schweizer Architekten»
Claude Paillard studierte von 1942 bis 1947 Architektur an der ETH Zürich bei Friedrich Hess, William Dunkel und Hans Hofmann. Von 1947 bis 1966 führte er unter dem Namen CJP Cramer+Jaray+Paillard mit seinen ehemaligen Studienkollegen Fred Cramer und Werner Jaray ein eigenes Architekturbüro, zu dem 1962 Peter Leemann stiess. Seit 1981 arbeitete Paillard mit Leemann, Robert und Gaby Bass sowie Werner Rafflenbeul zusammen. 1987 erfolgte die Gründung der Paillard, Leemann und Partner AG (mit Robert und Gaby Bass, seit 1997 unter Leitung von Ruedi Bass).
Den selbstständigen Berufseinstieg ermöglichten zwei Holzbau-Wohnsiedlungen in Rekingen AG (1946–1949), die Fred Cramers Vater in seiner Funktion als Direktor der Sodafabrik Zurzach vermittelte. Die an skandinavische Vorbilder angelehnte Bauweise gelangte in der Siedlung Auzelg in Zürich (1952–1954) erneut zur Anwendung, hier bereits raffiniert durch den für preisgünstige Bauten ungewöhnlichen Einsatz von Split-Level-Geschossen.
Über Bauten, die durch die starke Integration in die Landschaft bestachen – wie das Haus Schachenmann in Ennetbaden AG (1950–1951) und das Schulhaus Chriesiweg in Zürich (1953–1957) –, gelangte das Büro allmählich zur plastischen Ausgestaltung und den räumlichen Staffelungen, die zu seinem Markenzeichen wurden. Frühe Beispiele sind die Kirche Saatlen in Zürich (1957–1964) und das Kirchgemeindehaus Obere Mühle in Horgen (1957–1965) oder die Kantonsschule Schüpfheim LU (1958-1952). Grossmassstäblich wurde das Prinzip der Abtreppung der Baukörper in der Grosssiedlung Grüzefeld in Winterthur angewandt (1960–1968).
Der wohl prominenteste Bau gelang Paillard jedoch mit dem Stadttheater St.Gallen (1961–1968), dessen Gestaltung durch die durchgehend konsequente Verwendung des regelmässigen Sechsecks und somit von 60°-Winkeln geprägt ist. Der Bau fand über die Landesgrenzen hinaus Beachtung und verhalf seinem Erbauer zu vielen Einladungen an Theaterbau-Wettbewerbe, vornehmlich in Deutschland. So entstanden das Schauspielhaus Hannover und das Kulturhaus Dornbirn.
Die Theater sind zugleich diejenigen Bauten Paillards, die am meisten ins Kreuzfeuer der Kritik gerieten. Das Stadttheater St.Gallen wird im Abstimmungskampf «hässlicher Betonklotz» genannt, die Zürcher Opernhaus-Erweiterung (1982–1984) heisst im Volksmund «Fleischkäse» und sein Schauspielhaus-Neubau in Hannover (1988–1992) wurde – vergleichsweise milde – als das Theater mit der «kühlen Fassade eines Schwimmbades» bezeichnet.
Weitere grosse Projekte Paillards sind die 1975 fertiggestellte Hochschule für Technik und Wirtschaft Waadt und das Operations Center des Flughafens Zürich-Kloten (1979–1997). Expressiver und teilweise technoider Gestaltung im grossen Massstab stehen die sehr sorgfältig materialisierten, innenräumlich hervorragend gegliederten und harmonischen Privathäuser des Architekten gegenüber: Das Ferienhaus in Stintino (Sardinien) von 1973 und das Wohn- und Geschäftshaus Keltenstrasse in Zürich von 1981, wo Paillard auch lebte (und starb). 2002 erschien in der Reihe «Monographien Schweizer Architekten» im Verlag der Schweizer Baudokumentation ein Band über Bauten und Projekte von Claude Paillard. Im Vorwort bezeichnete Helmut Spieker, ehemaliger Architekturprofessor der ETH, Claude Paillard als «Alleingänger unter den Schweizer Architekten». Er fügte aber auch an, dass man, nicht zuletzt aus Deutschland, in den fünfziger und sechziger Jahren auf etwa ein halbes Dutzend Büros in der Schweiz geschaut habe – auf jene von Jacques Schader, von Walter Förderer, von Franz Füeg und von Claude Paillard.