Reifezeit im Schlaraffenland

Reifezeit im Schlaraffenland
Silvio Germann
Lesezeit: 4 Minuten

Im «Mammertsberg» hat sich Silvio Germann seine verspielte Leichtigkeit bewahrt. Dabei ist er nicht nur kulinarisch, sondern auch unternehmerisch gereift – aber immer noch für kreative Überraschungen gut. Der Mammertsberg gleicht einem erlebnisreichen Schlaraffenland – geprägt vom Besten, was die Ostschweiz und vom Erhabensten, was die Welt geneigten Gourmets hergibt.

«Bei Ihnen geht es weiter mit geschmortem Kopfsalat auf einem Ragout von Baumnüssen, Liebstöckelcreme, aufgegossen mit einer Essenz aus fermentierten Gartenkräutern, obendrauf sind Dillspitzen und weisse Zuckerblüten», flötet die Kellnerin lieblich, bevor sie auf ihren schneeweissen Sneakers abdreht und guten Appetit wünscht. Im Mammertsberg gibt’s ein Menü – wahlweise mit drei, vier oder fünf Gängen. Dazu werden zwei Überraschungsgänge feilgeboten und Schweizer Käse.

Noch bevor die Gänge kredenzt werden, überrascht die Küche mit einem Feuerwerk an Apéro-Häppchen und Schlemmereien «zur Einstimmung». Dabei zeigt Chef Silvio Germann ein wahres Konzert bekömmlicher Säure-Nuancen. Da ist sie wieder: Diese spielerische Leichtigkeit, die man von ihm aus seiner früheren Wirkstätte, dem «Igniv» in Bad Ragaz, kennt. Er bricht sie zu Beginn punktuell, etwa mit einem Cracker mit Käsefüllung und Trüffeln oder gebratenen Marroni-Gnocchi unter einem Nussbutterschaum, die auch Vielredner auf der Terrasse sprachlos zurücklassen. Wer sich aufs ganze Programm einlässt, sollte ein paar Stunden Zeit mitnehmen für die Erlebniswelt Mammertsberg. Die zusätzlichen Überraschungsgänge lösen ihre Versprechen ein; als «Löwennummer» und «Salto Mortale» in diesem kulinarischen Zirkus. «Spass ist wichtig», wird Silvio Germann später beim Kaffee auf der Terrasse sagen.

 

«Spass ist wichtig.»

Mit Mentor im Rücken

Inzwischen ist Silvio Germann Koch des Jahres und Thurgauer des Jahres. Während er im Igniv noch die Küchenbrigade dirigierte, hat er im Mammertsberg Verantwortung für ein Gastro-Unternehmen, kein kleines. Sein Mentor, Andreas Caminada, hat ihn am Mammertsberg beteiligt. «Ein solches Lokal gewinnbringend zu betreiben, ist anspruchsvoll», gibt Germann zu. Bei der Kalkulation könne man rasch daneben liegen. Dabei kann sich Germann immer noch auf seinen Lehrmeister und heutigen Kompagnon verlassen. Er hält ihm administrativ den Rücken frei. «Wenn es nur wenig Gründe gibt, mit Sarah Caminada, der Finanzchefin des Unternehmens, zu telefonieren, dann ist alles in Ordnung», sagt er mit einem Schmunzeln. Offenbar hat er sich trotz grösserer Verantwortung nicht nur kulinarisch Leichtigkeit bewahrt.

«Am liebsten bin ich in der Küche, aber mein Blick richtet sich jetzt darüber hinaus», erzählt Germann weiter. Rund ums Haus müsse alles stimmen. Seine jugendliche Frische, inklusive Filou-Blick, hat er trotzdem kaum verloren – auch wenn er meint: «Ich bin etwas ruhiger geworden.» Das spiegelt sich in seiner Küche wider. Im Gegensatz zum Igniv konzentriert sich der Mammertsberg auf einzelne Gerichte. Die Spielereien sind subtiler, stilvoller geworden: weniger aufs Mal, nicht so viel «Showtime» – von den Überraschungsgängen abgesehen; etwa die hausgemachten Agnolotti mit Schmorbratenfüllung. Sie werden in einem Toggenburger Käselaib an den Tisch gekarrt, darin mit Röstzwiebelsud geschwenkt, mit Eigelb-Crème und Speck-Espuma gereicht – «eine Hommage an Andreas», kommentiert Germann später. Ebenso unvergesslich ist der am Tisch erhitzte Krustentiersud, dessen Dampf noch einmal durch Meeresfrüchte, Champignons und Gemüse aufsteigt, bevor er im Krug aufgefangen und im Tee-Tässchen serviert wird – zur Languste.

 

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Alpin, aber weltoffen

«Nicht alles muss regional sein», sagt Germann. Kulinarisch bewegt sich der Mammertsberg hauptsächlich im alpinen Raum, also von Südfrankreich bis hierhin. «Zudem bringe ich Erfahrungen aus Brasilien, Schweden oder Spanien mit. Das gehört zu mir.» Das Segreto-Stück vom Iberico-Schwein lässt grüssen. Es liegt auf Bohnenpesto, obendrauf gibt’s grillierten Lattich. Der Side Dish: Spareribs mit Pilz- und Specksud. Alpin, aber punktuell weltoffen, heisst die verlockende Devise. Sie bestimmt auch die Weinkarte: Thurgau und Ostschweiz sind sehr präsent, aber auch die Azoren haben ihren Auftritt – und natürlich alle Klassiker von Weltformat. Gleichzeitig lobt Germann die Region in höchsten Tönen: «Viele Ostschweizer Produzenten tragen hier zum einzigartigen Erlebnis bei. Dafür sind wir dankbar.»

Für Germann ist es entscheidend, nicht nur die Produkte, sondern auch die Menschen dahinter zu kennen. «Ich bin erst am Anfang meiner Entdeckungen.» Diese erkundet er gern mit dem E-Bike, wenn er nicht im Mammertsberg empfängt.

 

Respekt und Sorge

Bei den Hauptgängen traut sich Germann auch, eine geschmorte Karotte in Szene zu setzen – in Chili mariniert, mit einer Hollandaise vom schwarzen Knoblauch und Estragon-Buttermilchsauce aufgetischt. «Mehr davon!», möchte man dem Service nachrufen. Germann musste zu Beginn auch Kritik einstecken. Nicht jedem Traditionalisten gefällt der neue kulinarische Groove im Mammertsberg – mit seinem Team in sportlichen Kleidern und Turnschuhen, dem nordischen Interieur, der coolen Musik. «Wir müssen unsere eigene Schiene fahren. Man kann nicht allen gefallen. Kopieren geht nicht», sagt Germann bestimmt. Dabei sprüht er vor Ideen, was man noch tun könnte – etwa einen Gang in der gläsernen Küche servieren. Dort herrscht erstaunlich konzentrierte Ruhe. Bei jungen Köchen steht Germann mit seiner Art hoch im Kurs. Während andere Fachkräftemangel beklagen, stehen die Küchentalente bei ihm Schlange.

«Respekt ist das A und O», sagt Germann, «vor Menschen generell, vor Mitarbeitern, vor Rohmaterialien, vor den Hortensien im Garten und den Stühlen im Saal.» Alles besitze Wert hier. Das sollen alle im Team wissen. Damit will er ein Vorbild sein: Sorge tragen! Dank des Caminada-Netzwerks kann er Jungen Perspektiven bieten: Wer arbeitet nicht gern mal im Igniv Bangkok? Im Team setzt Germann auf Vertrauen. Dafür sind viele Schlüsselpositionen mit Caminada-Zöglingen besetzt, die wissen, worum es geht. So überträgt er, der Koch, auch dem Service Mitverantwortung. Einige Speisen werden am Tisch zu Ende bereitet. Das braucht mehr als freundliche «Tellerträger».

Das Vor-Dessert, ein Milch-Rahm-Glacé mit Heu-Note, leitet zum süssen – aber nicht übersüssen – Finale über: Das Himbeer-Shizo-Sorbet auf Malzboden mit Randen-Chips und Joghurt-Crème bleibt ganz sicher unvergessen.

www.mammertsberg.ch

Text: Pascal Tschamper

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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