Das blaue Wunder

Als Benjamin Brunner, späterer Erfinder des Wodkas «Blauer St.Galler», zum ersten Mal Kartoffelstock aus blauen St.Galler Kartoffeln sah, war er fasziniert. «Meine Mutter machte zum Spass diesen blauen Kartoffelstock», erinnert sich Brunner an den Ursprung seiner «Schnapsidee». Das Mittagessen war der Beginn eines aussergewöhnlichen Projekts: Ein Wodka, der aus den blauen St.Galler Kartoffeln destilliert wird, einem lokalen Produkt, das nur in der Region St.Gallen angebaut wird.
Die Idee war auch mutig, weil anachronistisch: Die «Wodka-Welle» der 2000er-Jahre war durch. Wodka galt inzwischen eher als gewöhnlich, langweilig und geschmacksarm. Wenn, dann soll er einfach Süssgetränke alkoholisieren; bei der Markenwahl entscheidet oft der Preis. «Der Trend ging immer stärker zum Gin mit seinen vielfältigen und interessanten Aromen», weiss Brunner. Er war sich sicher: «Günstig will ich nicht – aber auch nicht langweilig und geschmacklos.» Es musste etwas Besonderes sein. Die blauen St.Galler Kartoffeln interessierten Brunner nicht nur wegen ihrer ungewöhnlichen Farbe, sondern auch wegen ihres Geschmacks.
«Es musste etwas Besonderes sein.»
Vom Kartoffelfeld in Staubhausen
Mit dem «Blauer St.Galler» setzt die Destillerie Brunner ein Zeichen für einen Wodka aus kontrollierter Schweizer Herkunft. Der Herstellungsprozess des blauen Wodkas ist durch und durch regional. Bei den Rohstoffen geht das junge Unternehmen den Weg von Spitzenköchen. Die blaue St.Galler Kartoffel trägt das Prädikat «Pro Specie rara» und steht unter Kontrolle der St.Gallischen Saatzuchtgenossenschaft. Diese steht für nachhaltige und hochwertige Anbaumethoden. In Staubhausen ist einer der wenigen Höfe, die die Kartoffel anbauen. Aufgrund ihrer Farbe muss sie von Hand geerntet werden, Maschinen halten sie für Steine. Die Knolle ist nur saisonal und streng limitiert erhältlich. Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass sie oft in Gourmethäusern anzutreffen ist. Sie erzielt einen Marktpreis vom bis zum Siebenfachen einer normalen Speisekartoffel. Daraus Schnaps zu brennen, ist … speziell.
Heute bewirtschaftet der Staubhauser Hof ein eigenes Kartoffelfeld für Brunners Wodka. 1,5 Tonnen werden jährlich ausgepflanzt. Brunner nimmt jährlich einige Tonnen ab. Die Ernte ist nicht immer gleich. Zudem braucht es eine Balance zwischen Abnahme sowie den Knollen, die als Saatgut zurückbehalten werden, um die junge Zucht aufrechtzuerhalten und nicht zu gefährden. Deshalb destillierte Brunner zu Beginn eine doppelte Jahresmenge an Kartoffeln. Nun lagert und reift immer eine Charge für ein Jahr lang im Stahltank. Im Falle einer schlechten Kartoffelernte könnte Brunner notfalls einen Teil seiner Kartoffeln zurück ans Saatgut geben. Im Folgejahr würden die Tanks dann wieder mit einer doppelten Charge gefüllt. «Das langsame Prozedere mit der Reifezeit kommt dem Geschmacksprofil zugute», ist Brunner überzeugt. Normalerweise werden Kartoffeln nach drei Wochen Lagerung destilliert, nach weiteren drei werden sie abgefüllt und verkauft. Die Reifung des «Blauer St.Galler» sorgt für ein harmonischeres und milderes Geschmacksprofil. «Der Wodka brennt nicht beim Schlucken.»
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«Man schmeckt die Kartoffel förmlich raus.»
Ein Symbol für die Region
Geschmacklich hebt sich der «Blauer St.Galler» deutlich von der Masse ab. Er besticht durch seine fruchtig-cremige Textur mit leicht würziger Note. «Man schmeckt die Kartoffel förmlich heraus», beschreibt ihn Brunner stolz. Die natürlichen blauen Anthocyane der Kartoffeln verleihen auch dem Wodka nach der Destillation eine tiefblaue Färbung. Bei der Zugabe von Zitrone oder Tonic verfärbt er sich rosa – ein echter Hingucker! Brunner empfiehlt jedoch, das edle Getränk «on the rocks», also auf Eis, mit etwas Zitronenzeste zu geniessen.
«Der ‹Blauer St.Galler› ist mehr als ein regionales Produkt – er ist ein Kulturgut», sagt Brunner selbstbewusst. Sein Ziel ist, den Wodka als AOP-Produkt (Appellation d’Origine Protégée) zu etablieren. Die geschützte Herkunftsbezeichnung garantiert einheimische Kartoffeln als Rohstoff und die Verwurzelung in St.Galler Tradition. Das Streben nach Perfektion und Nachhaltigkeit spiegelt sich auch in Brunners Vision für die Zukunft wider: Er will seinen Wodka zu einem Symbol für die Region machen – ein Produkt, das über Grenzen hinaus für Qualität und Tradition steht, ein Stück St.Galler Tradition in einer Flasche. «Wie Zuger Kirsch!», ruft es aus ihm heraus.
Vom Konditor zum Destillerie-Unternehmer
Die Destillerie Brunner wurde 2019 von Benjamin Brunner gegründet. In seiner Konditorlehre holte er sich Lebensmittel-Know-how und das sensorische Rüstzeug. Gewürze und Kräuter faszinierten ihn früh. Mit zwanzig lehnte Brunner die Übernahme eines Bäckereibetriebs ab. Das Biber-Rezept des pensionierten Bäckers nahm er aber dankbar an – es sollte ihm noch dienlich werden. Nach der Erwachsenen-Matura absolvierte er ein Biomedizin-Studium an der Universität Zürich. Dort machte er sich mit Labor- und Destillationsprozessen vertraut. Während einer Auszeit – und nach dem Genuss erlesener Schweizer Gins mit ihrer reichhaltigen Aromenvielfalt – reifte die Idee, einen Gin mit Biber-Ingredienzen zu entwickeln: Der «Old Tom Biber Gin» wird in eine schwarze Flasche abgefüllt, darauf glänzt ein St.Galler Bär in 24-Karat-Gold-Druck. 2019 erfolgte die Gründung der Destillerie Brunner in St.Gallen mit dem klassischen «Bibergin». Die Produktion im Vorort Haggen verlassen heute jährlich 6000 bis 7000 Liter Destillate. Lager und Logistik sind inzwischen an die Kreuzbleiche verlegt, nahe an die Autobahn. Gins, Wodkas und Liköre sind nicht nur bei regionalen Fachhändlern und der Gastronomie erhältlich, sondern teils auch bei Coop Ostschweiz im Sortiment.
Text: Pascal Tschamper
Bild: Anna-Tina Eberhard, zVg.