Fokus Energie 2021

Die Richtung stimmt, das Tempo nicht

Die Richtung stimmt, das Tempo nicht
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Die Internationale Bodensee-Konferenz  hat den Klimaschutz fest im Blick. In diesem Zusammenhang fordert Jürg Senn, Vorsitzender der IBK-Plattform Klimaschutz und Energie, eine Abkehr von Öl und Gas als fossile Heizquellen.

Jürg Senn, was genau macht die IBK-Plattform Klimaschutz und Energie?
Die Plattform, die der IBK Kommission Umwelt zugeordnet ist, dient dem Informations- und Erfahrungsaustausch im IBK-Raum. Sie greift dazu verschiedene Themen im Energie- und Klimabereich auf und vertieft diese über die Grenzen hinweg. So beispielsweise mit dem kürzlich abgeschlossene Projekt «Low-Tech-Gebäude». Es zeigt sich auch, dass dieser Austausch immer wichtiger wird, weil Klimaschutz vor den Grenzen bekanntlich nicht Halt macht. Die Erfahrung zeigt, dass es wichtig ist, gewisse Parameter grenzüberschreitend zu vergleichen und bei Massnahmenumsetzungen voneinander zu lernen.

Wäre das CO2-Gesetz angenommen worden, müsste die Schweiz von Ölheizungen nach und nach wegkommen. Dem ist aber nicht so. Was bedeutet das Nein zum CO2-Gesetz nun für das nachhaltige Heizen?
Jedes Land hat seine Geschwindigkeit bei der Massnahmenumsetzung. Massnahmen zur Reduktion der CO2-Emissionen benötigen einen breiten Konsens für eine erfolgreiche Umsetzung. Anders geht es nicht. Es wird deshalb weitere Anstrengungen mit einem etwas anderen Ansatz brauchen, um die gesetzten Ziele zu erreichen.

Sie haben im Juni gesagt, dass es einen Strukturwandel in den Heizkellern braucht, um die Treibhausgasemissionen bis 2030 zu halbieren. Was heisst das konkret?
Um die Treibhausgasemissionen massgeblich zu reduzieren, müssen die fossil betriebenen Heizungen ersetzt werden. Im Gebäudebereich kann durch Wechsel des Wärmeerzeugers die Transformation hin zu erneuerbaren Heizungen beschleunigt werden. Für eine derartig schnelle Transformation braucht es einerseits attraktive technische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen wie Förderprogramme und andererseits natürlich auch den politischen Willen zur Festlegung verbindlicher Standards.

 

Zunkft auf Schweizer Strassen  neho  

Das wird vermutlich nicht einfach. Herr und  Frau Schweizer scheinen ihre Ölheizungen  zu lieben. Es gibt weltweit kaum ein Land mit einer höheren Dichte an Ölheizungen. Wie will man die Leute davon überzeugen, dass es Zeit ist, umzustellen?
Ich glaube, dass die meisten Leute keine Ölheizungen mehr wollen. Das zeigt die Statistik bei den Neubauten ganz klar. Auch bei den bestehenden Bauten setzt sich die Einsicht durch, dass fossile Heizungen langfristig keine gute Wahl sind. Spätestens beim Ersatz einer Heizung müssen bessere Lösungen aufgezeigt werden. Es ist unsere Aufgabe, den Menschen die Vorteile moderner Heizsysteme noch besser aufzuzeigen. Setzt man auf Wärmepumpen hat man viele Vorteile: Kein Tankraum, keine Abgase, kein Kaminfeger und die Möglichkeit, einen Teil des benötigten Stromes selber auf dem Dach zu produzieren.

Die CO2-Emissionen der Schweizer Gebäude sind im internationalen Vergleich sehr hoch.  Somit ist klar, dass wir die Ölheizungen so oder so in absehbarer Zeit durch klimaverträgliche Alternativen ersetzen müssen. Welche bieten sich an und weshalb?
Man kann es im Prinzip ganz einfach einteilen: Wo immer möglich soll in Kernzonen an Nah- oder Fernwärmeversorgungen angeschlossen werden. Im ländlichen Raum bieten sich Wärmepumpenlösungen an. Nah- und Fernwärmenetze bieten die Möglichkeit, mit verschiedenen Energieträgern beheizt zu werden. Das ist vor allem vor dem Hintergrund eines Sommerüberschusses oder einer Winterlücke beim Strom von Vorteil. Im Sommer können Stromüberschüsse das Netz via Wärmepumpen beheizen und in kritischen Situationen im Winter kann gut speicherbares Holz oder ein anderer speicherbarer Energieträger die Versorgung sicherstellen. Es besteht auch die Option, die Wärmenetze mit KWK-Anlagen zu ergänzen. So könnte in der Winterlücke zusätzlicher Strom für die dezentralen Wärmepumpen einspeist werden.

Sind diese Alternativen auch erschwinglich für alle? Oder muss man bei älteren Gebäuden  beispielsweise mit hohen Umbaukosten rechnen?
Die Alternativen sind da und in fast allen Fällen auch erschwinglich. Die Überprüfung der Wärmedämmung ist sinnvoll und bei älteren Gebäuden zu verbessern. Aber generell ist es auch bei älteren Gebäuden meist einfacher und günstiger, als man denkt.

 

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Smarte Technologie, wie sie auch in nachhaltigen Heizsystemen vorkommt, ist bekannt dafür, dass sie Kosten senken kann. Welche finanziellen Vorteile gegenüber Gas und Öl hat nachhaltiges Heizen?
Erneuerbar Heizen, zum Beispiel mit Wärmepumpen hat klar den Vorteil, dass ein Teil der Energie mit der eigenen Photovoltaikanlage bereitgestellt werden kann. Zudem hat eine solche Lösung keine Emissionen und sorgt für saubere Atemluft. Das wichtigste Argument ist, dass ein Käufer einer Liegenschaft eine erneuerbare Lösung meist positiv bewertet. Das hebt letztlich den Verkaufspreis und ist darum eine werthaltige Investition.

Gemäss IBK hat die Bodenseeregion diesbezüglich grosses Potenzial und könnte sogar europäische Musterregion werden. Was hat denn die Region, was andere nicht haben?
Die IBK-Region hat auf engem Raum ganz unterschiedliche Ansätze und Regulierungen. Jedes System hat seine Vor- und Nachteile. Das tönt kompliziert, aber wir können so auch voneinander lernen. Die IBK-Region verfügt über vergleichsweise hohe finanzielle Mittel, Innovationskraft und einen hohen Industrialisierungsgrad. Praktisch jedes denkbare technische oder regulatorische Problem muss irgendwo gelöst werden. Sei es im Zusammenhang mit dem See, dem ländlichen Raum, der Stadt oder den Bergregionen. Aber auch im Zusammenhang mit Fragen der Zugehörigkeit oder auch Nicht-Mitgliedschaft in Wirtschaftsräumen wie der EU oder dem EWR. Das macht die Region zu einem einmaligen Standort für die Lösungsfindung der drängenden Klimaprobleme. Durch die Vielzahl der nötigen Lösungen ist es deshalb auch wahrscheinlich, dass in der Region Lösungen entwickelt werden, die wiederum exportiert werden können.

Wie sehen Sie es persönlich: Schaffen wir den Strukturwandel in nützlicher Frist?
Es ist wichtig, bei allen Schwierigkeiten daran zu glauben und den richtigen Weg weiterzugehen. Ich sehe das persönlich als spannende Herausforderung. Wichtig ist, dass die Richtung stimmt.

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