Kurze Wege und familiärer Spirit
Petr Šiman, viele Regionalspitäler stehen vor einer ungewissen Zukunft. Dem Spital Schiers ist es aber gelungen, sich in der Spitallandschaft zu behaupten. Was machen Sie anders als Regionalspitäler, die schliessen mussten oder müssen?
Wir sind auf den Grundlagen eines alten, traditionellen Regionalspitals gewachsen, das besonders im Prättigau einen sehr guten Ruf geniesst. Dahinter steht die tägliche harte Arbeit vom ganzen Spitalteam. Damit meine ich nicht nur das Team der Ärzte und der Pflege, sondern auch aller Professionen, deren Tätigkeit der Patient vielleicht nicht auf den ersten Blick sieht.
Was macht denn Spital Schiers besonders?
Unser Haus ist ein kleines, modernes Spital, das neben der Grundversorgung in den traditionellen Bereichen wie Chirurgie und Innere Medizin sowie Geburtshilfe und Gynäkologie auch viele andere Fachgebiete betreibt und weiterentwickelt. Als Beispiel kann ich Orthopädie und Sporttraumatologie, Angiologie und Gefässchirurgie sowie Gastroenterologie und Neurochirurgie nennen. Sie sehen also: Trotz unserer bescheidenen Grösse bieten wir ein umfassendes Angebot «unter einem Dach» an.
Gibt es einen weiteren Mehrwert für die Patienten?
Ja. Ein Mehrwert für die Patienten – im Vergleich zu einem grossen Spital – besteht auch darin, dass die Wege bei uns üblicherweise sehr kurz und übersichtlich sind. Die Wartezeiten für eine Konsultation oder für eine Operation sind sehr kurz, und die Patienten haben immer einen direkten Kontakt mit dem Kaderarzt. Das ist in einem Zentrumsspital selten der Fall. Somit können wir hoch kompetente Medizin in einem freundlichen und fast familiären Niveau anbieten.
Hohe Fallzahlen werden oft mit einer hohen Qualität assoziiert. Ist das wirklich so?
Jein. Sie können eine Operation 100 Mal durchführen und davon 99 Mal falsch. Fachkompetenz, Erfahrung, Talent und permanente Weiterbildung des Operateurs sind für eine erfolgreiche operative Tätigkeit deutlich wichtiger als blosse Fallzahlen. Natürlich ist es wichtig, genügend Operationen pro Jahr durchzuführen, um die Skills nicht zu verlieren. Für mich sind vor allem die Resultate und die Zufriedenheit des Patienten wichtig, nicht unbedingt nur die Fallzahlen.
Sie sind Leitender Arzt der Orthopädie und befassen sich mit Erkrankungen und Traumafolgen des Bewegungsapparates. Auf welche Krankheitsbilder stossen Sie besonders häufig?
Das Prättigau ist ein beliebtes Urlaubsziel. Natürlich haben wir am meisten zu tun während der Skisaison, wo wir Patienten mit sämtlichen Frakturen und Gelenksverletzungen wie am Fliessband auf unserer Notfallstation begrüssen und behandeln. Es handelt sich dabei vor allem um Verletzungen des Kniegelenkes – typischerweise Kreuzbandläsionen und gelenknahe Frakturen. Im Bereich der Gelenkchirurgie operieren wir arthroskopisch, und die Frakturen werden nach neusten Standards mit modernstem Material behandelt.
Im Bereich der Sportmedizin fokussieren Sie auf eine minimal-invasive Behandlung mittels arthroskopischen Techniken. Warum?
Das ist ein Mega-Trend, und das zu Recht: Minimal-invasive Behandlungen mittels arthroskopischen Techniken ermöglichen heutzutage praktisch eine komplette operative Versorgung der grossen Gelenke vor allem bei Verletzungen der Bänder, Sehnen oder Menisken. Vorteile sind unter anderem kleinere Zugänge (Hautschnitt), kleinere Operationswunden sowie keine Verletzungen der Muskulatur. Daraus resultieren eine deutlich bessere Heilung und eine schnellere physiotherapeutische Nachbehandlung.
PD Dr. med. Frédéric Baumann, Sie sind seit einem Jahr Chefarzt der Gefässmedizin. Vorher waren Sie im USZ tätig. Was macht für Sie der Reiz eines Regionalspitals aus, gerade im Vergleich mit einem Universitätsspital?
Das Regionalspital lebt von seiner überschaubaren Grösse. Wir kennen uns alle persönlich, was im Alltag kurze, schnelle und unkomplizierte Wege ebenso ermöglicht wie eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit. In der Folge besteht eine enorme gegenseitige Hilfsbereitschaft – es herrscht ein gesunder Team-Spirit! Unsere Patienten profitieren somit von einer hohen Flexibilität und einer auf die Bedürfnisse angepasste, motivierte Spital-Struktur. Das erlaubt uns, eine qualitativ hochstehende Medizin und kurze Wartezeiten anbieten zu können.
Das Spital Schiers ist dem Angioviva-Gefässmedizin-Netzwerk angeschlossen, das Sie gegründet haben. Was bedeutet das für die Patienten?
Das Ziel von Angioviva ist, eine qualitativ hochstehende Gefässmedizin an verschiedenen Standorten im Kanton Graubünden anzubieten. Wohnortsnah wollen wir in Zusammenarbeit mit Kollegen wie Hausarztmedizinern, Physiotherapeuten und anderen Fachspezialisten eine umfassende Diagnostik vor Ort anbieten. Für stationäre Behandlungsmodalitäten (gefässchirurgische Behandlungen, Katheterinterventionen etc.) dient uns das Spital Schiers als Hub. Wir wollen unsere Patienten so gut als möglich wohnortsnah mit unserem Angebot abholen, sodass diese auf eine weite Anreise verzichten können.
Gefässerkrankungen sind in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Wieso?
Einerseits aufgrund der demografischen Entwicklung, denn wir werden alle immer älter. Hinzu kommt unser Lebensstil, der nicht immer so gesund ist, wie er sollte: Gesellschaftskrankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes, Cholesterin, Rauchen oder Übergewicht nehmen zu. Diese stellen allesamt Probleme für unsere Gefässe dar. Hinzu kommt, dass wir mehr und mehr danach bestrebt sind, bis ins hohe Alter fit und selbstständig zu sein. In der Folge haben Anspruch und Fokus auf gesunde Gefässe zugenommen.
Was kann der Einzelne tun, um hier vorzubeugen?
Da kann ich drei Ratschläge geben: Viel Bewegung, jeden Tag lachen – und massvoll leben.
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Zu den häufigsten Arterienerkrankungen zählt die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) – im Volksmund oft «Raucherbein» genannt. Wie viele «Raucherbeine» behandeln Sie jährlich?
Wir sehen jährlich sicher 250 solcher Patienten. Aber nicht jeder von ihnen benötigt ein aktives (chirurgisches/katheterinterventionelles) Vorgehen. Bei einem Teil davon kommt es beispielsweise auf konservativem Wege (gutes Wundmanagement, medikamentöse Behandlung) zum Abheilen einer trophischen Läsion, sodass wir auf einen Eingriff (Revaskularisation) verzichten können. Auch wenn sich die Medizin in den vergangenen Jahrzehnten technologisch bemerkenswert fortentwickelt hat, so ist und bleibt jede Operation dennoch mit einem kleinen Risiko für Komplikationen verbunden. Konkret: Wir machen aktuell etwa 100 arterielle Katheterinterventionen bei Patienten mit einem klassischen «Raucherbein» – was etwa zwei Drittel unserer Interventionen ausmacht.
Und wie hoch ist die Erfolgsquote?
Hier profitieren wir in unserem Ärzteteam allesamt von unserem Background. Dr. Daniela Reutter und ich kennen uns vom Universitätsspital in Zürich, wo wir viele Jahre unser Handwerk erlernen durften. Auch unsere Gefässchirurgen Dr. Jürg Traber und Dr. Peter Looser vom Venenzentrum Kreuzlingen bringen jahrzehntelange Erfahrung aus dem Unterland in den Kanton. Entsprechend sind unsere Erfolgsraten hoch – über 95 Prozent – und unsere Komplikationen sehr niedrig.
Apropos Erfolge: Welche Ziele strebt das Spital Schiers in naher und mittlerer Zukunft an?
Für Schiers ist es sehr wichtig, dass wir diese Angebote weiter ausbauen, um weiterhin mit Spezialitäten das Fundament für unser Spital breiter abzustützen.
Und für die Gefässmedizin?
Wir halten nach weiteren Kooperationen Ausschau, um im Team unseren Patienten eine hochwertige und breite Gefässmedizin anbieten zu können – über die Region Prättigau hinaus.
Text: Miryam Koc