«Das grösste Energieversagen der jüngeren Geschichte»
Benedikt Würth, Ständerat SG (Die Mitte):
Die Energieversorgungssicherheit gehört zu den wichtigsten Herausforderungen für die Schweiz. Bis 2050 will das Land klimaneutral werden, doch rund 60 Prozent unseres Energiemixes basieren immer noch auf fossilen Energieträgern. Die Dekarbonisierung erfordert eine fundamentale Transformation und einen deutlich höheren Strombedarf. Doch der Ausbau erneuerbarer Energien reicht bei weitem nicht aus, um diesen Bedarf zu decken. Besonders im Winter benötigen wir sogenannte Bandenergie, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Es gibt ein massives Problem beim Tempo des Ausbaus erneuerbarer Energien, insbesondere in den Bereichen Wasserkraft, Solarenergie und Windenergie, die seit Jahren bekämpft werden – oft von grünen Kreisen. Kurzfristig benötigen wir einen massiven Ausbau erneuerbarer Energien, um die Winterstromlücke zu schliessen. Da derzeit kein technologischer Quantensprung in der Speicherung von Energie zu erwarten ist, müssen wir die Option Kernkraft wieder ernsthaft diskutieren. Das bedeutet, dass das Kernenergiegesetz angepasst werden muss. Diese Debatte muss in Zusammenarbeit mit den grossen Energieunternehmen geführt werden, denn sie treffen die Investitionsentscheidungen. Die Faktenlage ist eindeutig: Der Ausstieg aus der Kernkraft bedeutet den Verlust von 14 TWh Strom. Die Dekarbonisierung bis 2050 würde zudem 24 TWh fossiler Energie ersetzen müssen, und wir müssen unsere Importabhängigkeit im Winter um 5 TWh reduzieren. Auch die Neukonzessionierung der Wasserkraftanlagen wird durch Gewässerschutzvorschriften erschwert. Die Dringlichkeit dieser Themen ist offensichtlich, und es ist entscheidend, dass alle Akteure faktenbasiert arbeiten und ideologische Scheuklappen ablegen.
Jakob Stark, Ständerat TG (SVP):
Am 9. Juni 2023 hat das Schweizer Volk das Stromgesetz mit 68,7 Prozent JA-Stimmen deutlich angenommen. Dieses Gesetz stellt einen wichtigen Erfolg dar und bietet einen ausgewogenen Kompromiss zwischen den Interessen der Stromversorgungssicherheit und dem Natur- und Landschaftsschutz. Es stellt eine notwendige Korrektur der ursprünglichen Energiestrategie 2050 dar, die stark auf Winterstromimporte gesetzt hatte. Dies erwies sich jedoch als riskant, da der Prozess des Ausstiegs aus fossilen Energien in ganz Europa voranschreitet, wodurch die Schweiz zunehmend ihre Fähigkeit verliert, Strom zu importieren.
Für die Sicherheit und Unabhängigkeit der Schweiz ist es daher von entscheidender Bedeutung, die Importabhängigkeit zu verringern und mehr inländischen Strom zu erzeugen. Das Stromgesetz sieht eine deutliche Erhöhung der Winterstromproduktion vor, insbesondere durch Wasserkraft und alpine Solaranlagen.
Die Energiestrategie 2050 hatte den Strombedarf zu tief eingeschätzt, doch heute ist klar, dass der Stromverbrauch bis 2050 von heute rund 60 TWh auf etwa 90 TWh ansteigen wird. Die im Stromgesetz verankerte gleitende Marktprämie sorgt dafür, dass Gewinne bei hohen Strompreisen an die Konsumenten zurückfliessen. Eine weitere wichtige Korrektur betrifft die Aufhebung des Bauverbots für neue Kernkraftwerke. Gösgen und Leibstadt müssen langfristig weiterbetrieben werden, um die CO2-freie Stromproduktion zu sichern. Auf lange Sicht bleibt die Kernkraft eine notwendige Option zur Sicherung der Stromversorgung in der Schweiz.
Franziska Ryser, Nationalrätin SG (Grüne):
Die Energiestrategie 2050 zielt darauf ab, eine grüne, sichere und ausreichende Energieversorgung für die Schweiz zu schaffen. Bis 2050 wird ein Grossteil des Stroms aus Wasserkraft und Solarenergie stammen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Solarnutzung stark ausgeweitet werden. Die Solarinitiative der Grünen ist ein wichtiger Schritt, um die Energiewende voranzutreiben und den wachsenden Strombedarf zu decken.
Ein grosser Teil der Herausforderung besteht jedoch nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Speicherung von Energie. Erneuerbare Energien können nur dann effizient genutzt werden, wenn sie gespeichert und in Zeiten hoher Nachfrage, wie am Abend oder im Winter, zur Verfügung gestellt werden können. Hier müssen Technologien zur Speicherung von Strom entwickelt werden, sei es in saisonalen Speichern, Quartierspeichern oder durch die Nutzung von E-Auto-Batterien als flexible Speicherlösung.
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Gleichzeitig müssen wir den Energieverbrauch effizienter gestalten. Effizienzgewinne wurden in den vergangenen Jahren durch grössere und schnellere Anlagen oft wieder zunichtegemacht. Es gibt noch enormes Potenzial, den Energieverbrauch zu reduzieren, insbesondere durch die Optimierung von Gebäuden und Geräten. Neben der nationalen Strategie ist auch eine enge Zusammenarbeit mit Europa unerlässlich. Ein gemeinsames europäisches Stromnetz, in dem Windkraft aus dem Norden, Solarenergie aus dem Süden und Wasserkraft aus der Schweiz zusammengeführt werden, ist der Schlüssel zu einer effizienten und sicheren Energieversorgung.
Diana Gutjahr, Nationalrätin TG (SVP):
Die Energiestrategie 2050 war ein Ausstieg ohne Umstieg und stellt das grösste Energieversagen der Schweiz dar. Dem Volk wurde sie als günstige Abkehr von der Atomenergie verkauft, doch in der Praxis hat sich gezeigt, dass sie uns in eine Energielücke geführt hat. Die Annahme, dass der Energiekonsum abnehmen würde, war falsch, und der Ausstieg aus der Atomenergie bedeutet, dass uns in zehn Jahren ein Drittel der heutigen Stromproduktion fehlen wird.
Wir stehen nun vor der Herausforderung, diesen Verlust zu kompensieren, doch die Reservekraftwerke, die gebaut werden, zeigen, dass die Energiestrategie nicht nachhaltig ist. Sie basieren grösstenteils auf konservativen Energieträgern, da der Ausbau erneuerbarer Energien nicht in dem nötigen Tempo erfolgt ist. Dies bedeutet, dass wir eine Übergangslösung benötigen, die uns die benötigte Energie liefert, während gleichzeitig der Ausbau der erneuerbaren Energien vorangetrieben wird. Als Unternehmerin in der Stahlindustrie bin ich stark auf CO2-freie Energie angewiesen, insbesondere im Recyclingprozess von Stahlschrott. Diese Prozesse sind energieintensiv, doch gleichzeitig effizient in der Einsparung von CO2. Der einzige Weg, diesen Bedarf zu decken, ist ein Ausbau der Kernkraft.
Eine nachhaltige Energiestrategie muss dies berücksichtigen und auch die Konsumenten in die Finanzierung einbeziehen. Es ist jedoch abzulehnen, dass die Kosten ausschliesslich von den Grossverbrauchern getragen werden, da dies die Wettbewerbsfähigkeit gefährden würde. Die Blackout-Initiative ist ein wichtiger Schritt, um die Lücken in der Energieversorgung zu schliessen und den Übergang zur Netto-Null zu ermöglichen.
Thomas Rechsteiner, Nationalrat AI (Die Mitte):
Die Energiestrategie 2050 ist ein guter Anfang, aber es sind noch weitere Massnahmen notwendig, um die ambitionierten Ziele zu erreichen. Eine wichtige Herausforderung ist die Einsparung von Energie, da der wachsende Strombedarf häufig unterschätzt wird. Neue Technologien wie E-Autos und E-Bikes tragen erheblich zum Anstieg des Energieverbrauchs bei. Auch der zunehmende Wohlstand und das energieintensive Freizeitverhalten sind treibende Kräfte hinter diesem Anstieg.
Ein weiteres grosses Problem ist der langsame Ausbau erneuerbarer Energien, der durch bürokratische Hürden und Einspracheverfahren verzögert wird. Genehmigungsverfahren für Wasserkraftanlagen, Windparks und Solaranlagen müssen vereinfacht und beschleunigt werden, um die Energieziele zu erreichen. Zusätzlich müssen wir Speicherlösungen entwickeln, um den überschüssigen Sommerstrom für die Wintermonate nutzbar zu machen. Es gibt bereits Ansätze, um Strom in Grossanlagen oder in privaten Photovoltaikanlagen zu speichern, doch die Technologie muss weiterentwickelt werden Die Kernenergie bleibt ein Thema, das in der Zukunft nicht tabuisiert werden darf. Sie könnte eine wichtige Rolle bei der Sicherstellung der Stromversorgung spielen. Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien sollten wir auch den Energieverbrauch effizienter gestalten. Einsparungen im Alltag und die intelligente Steuerung des Stromverbrauchs sind wichtige Schritte, um die Energiestrategie 2050 erfolgreich umzusetzen.
Susanne Vincenz-Stauffacher, Nationalrätin SG (FDP):
Mit der Annahme des Klima- und Innovationsgesetzes im Juni 2023 wurde das Netto-Null-Ziel 2050 gesetzlich verankert. Dieses Ziel ist ambitioniert, aber es muss mit einer stabilen Energieversorgung einhergehen. Der Strombedarf wird in den nächsten Jahrzehnten stark ansteigen – von heute rund 60 TWh auf etwa 90 TWh im Jahr 2050. Daher ist der Ausbau erneuerbarer Energien von entscheidender Bedeutung.
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Das im Sommer angenommene Stromgesetz bringt den dringend nötigen Schub für den Ausbau erneuerbarer Energien und stärkt die Unabhängigkeit der Schweiz vom Ausland. Besonders wichtig ist, dass das Gesetz auch den Ausbau des Winterstroms fördert, um die Versorgung in den kalten Monaten sicherzustellen. Dennoch wird der Ausbau erneuerbarer Energien oft durch Einspracheverfahren blockiert, was den Fortschritt verlangsamt. Ironischerweise werden diese Einsprachen häufig von Umweltorganisationen erhoben, die gleichzeitig die Kernkraft ablehnen.
In dieser Debatte muss die Kernkraft eine Rolle spielen. Wenn der Ausbau erneuerbarer Energien weiterhin blockiert wird, bleibt die Kernenergie eine unverzichtbare Option, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Der Erfolg der Energiestrategie 2050 hängt davon ab, dass erneuerbare Energien schneller ausgebaut und die Genehmigungsverfahren vereinfacht werden. Ein stabiler und CO2-freier Strommix ist unerlässlich für die Zukunft der Schweiz und für das Erreichen der Klimaziele.
Text: Fabian Alexander Meyer
Bild: zVg