Fuchs, Herz und Agenda
Text: Louis Grosjean, Partner altrimo
Diesen Artikel schreibe ich am ersten Tag meiner Sommerferien. Körperlich müde, und emotional aufgrund des üblichen Vorferien-Stresses noch ziemlich verschlossen.
Als Erstes habe ich heute Morgen den «kleinen Prinzen» von Saint-Exupéry gelesen. Wenn Sie es noch nicht oder – wie ich – vor langer Zeit gelesen haben: Tun Sie es. In einer Stunde sind Sie durch. Und Ihr Herz hat sich geöffnet wie die Muskeln nach einer Stunde Massage.
Des Fuchses Weisheit …
Wenn ich an die letzten Wochen denke, so darf ich auf recht effizient und äusserst erfolgreich durchgeführte Kundenprojekte zurückblicken. Gerade die letzten Tage waren streng getaktet. Noch am letzten Tag konnten zwei Geschäfte zum Abschluss gebracht werden. Jetzt sind die Ferien verdient. Könnte man meinen.
Das Gegenteil ist der Fall: In diesen letzten Wochen hatte ich wenig Zeit und keine emotionale Aufmerksamkeit für meine Mitmenschen. Einigen von ihnen ging es dabei nicht besonders gut. Sie hätten ein besseres Recht auf meine Zuwendung als all die Verträge und Zahlungsflüsse gehabt. Meine heutige Lektüre hat es mir ins Gesicht gehauen wie eine Ohrfeige.
«Klar sieht man nur mit dem Herzen. Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.» Der Fuchs bringt dem kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry bei, wie emotionale Beziehungen zwischen Lebewesen zustande kommen.
… und des Prinzen Fürsorge
Der kleine Prinz macht sich wegen seiner Rose Sorgen, die er auf seinem Asteroiden pflegt und zu der er eine liebevolle Beziehung aufgebaut hat. Der Fuchs sagt ihm: «Es ist die Zeit, die du für deine Rose aufgewendet hat, die sie so bedeutungsvoll für dich macht.» Er dürfe seine Fürsorgepflicht, seine Verantwortung für die Rose nie vergessen.
Dabei kann es trotz aller Bemühungen traurig werden: Die Rose ist vergänglich, und auch der kleine Prinz. Wichtig sind nicht Bemühungen, die über alle Ewigkeit Bestand haben; es sind leuchtende Momente der Fürsorge und Zuwendung.
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Liebe Effizienz: Auf ein Wort!
Ich bin ziemlich wütend auf mich. Was Saint-Exupéry schreibt, ist nicht neu. Das Zitat des Fuchses ist weltbekannt.
Warum tappen wir dann immer wieder in die Effizienzfalle? Weil Effizienz Ressourcen freimacht, die dann sofort wieder eingesetzt werden und so die Produktion erhöhen. Das mag zu mehr materiellem Wohlstand führen, aber sicher nicht zu einem lebenswerten Leben. Wofür steht dann der kleine Prinz am Morgen auf, wenn seine Rose nicht mehr ist?
Nachdem die Wut wieder etwas abgeebbt ist, schreibe ich den Artikel fertig. Und nehme mir Folgendes vor.
- Agenda wieder so gestalten, dass mehr Pufferzeiten für einen kleinen Schwatz vorhanden sind.
- Sich von der Vorstellung entfernen, dass der Leader abwicklungseffizient zu arbeiten hat. Die primäre Leader-Aufgabe besteht darin, die Energie in seinem Einflussbereich zu fördern und zu lenken. Diesem Ziel sind persönliche Effizienz-Ziele unterzuordnen.
- Zeit für Emotionales reservieren: privat, aber auch im geschäftlichen und öffentlichen Umfeld. Nicht nur das Hirn, auch das Herz braucht seinen Platz in der Agenda.
Ich wünsche allen einen guten Start nach den Sommerferien und freue mich, wenn viele Leader den kleinen Prinzen von Saint-Exupéry wieder in die Hand nehmen.