Gast-Kommentar

Das abgeschlossene Werk

Das abgeschlossene Werk
Louis Grosjean
Lesezeit: 3 Minuten

Vollblutunternehmer hadern oft mit ihrer Nachfolge: Sie haben Angst vor dem Vakuum. Wie die existenzialistische Philosophie von Sartre eine hilfreiche Perspektive bieten kann, um diese Angst zu überwinden, zeigt Louis Grosjean in unserer Serie «LEADER-Philosophie».

Text: Louis Grosjean, Partner altrimo

Sehr viele Unternehmer definieren sich über ihr Unternehmen. Sie sind jemand, weil ihr Unternehmen bekannt ist. Sie sind erfolgreich, wenn das Unternehmen erfolgreich ist. Kurzum: Der Unternehmer ist sein Unternehmen.

So verhält es sich mit vielen Babyboomern – der Generation, die aktuell in den Ruhestand tritt. Ich glaube nicht, dass die nachfolgenden Generationen so einseitig denken werden. Das können wir aber im Moment offenlassen. In diesem Artikel interessieren uns diejenigen Unternehmer, die sich aktuell darauf vorbereiten, nicht mehr Unternehmer zu sein – und damit ein Problem haben.

Wir kennen alle den physikalischen Aphorismus von Aristoteles: «Die Natur verabscheut das Vakuum». Darunter leidet auch der Pensionär in spe. Unternehmer neigen zur Hyperaktivität: Es muss immer etwas gehen.

Das Problem damit ist: Wenn der Unternehmer das Vakuum nicht akzeptiert, schliesst er mit dem Unternehmen nie ab. Und bleibt bis ins hohe Alter am Ruder. Da die Kräfte mit zunehmendem Alter schwinden, ist das für das Unternehmen oft verheerend. Für potenzielle Nachfolger ist das frustrierend.

Der Mensch als Summe seiner Handlungen

Als ich kürzlich erneut über einen solchen Fall nachdachte, bin ich auf einen altbekannten Spruch vom existenzialistischen Philosophen Jean-Paul Sartre gestossen: «Der Mensch ist nichts anderes als ein Entwurf, er existiert nur in dem Mass, in dem er sich verwirklicht, er ist also nichts anderes als die Gesamtheit seiner Handlungen, nichts anderes als sein Leben.» Oder in abgekürzter Form: «Der Mensch ist die Summe seiner Handlungen.»

Was Sartre zum Ausdruck bringt, ähnelt in meinen Augen sehr stark der einleitend beschriebenen Haltung vieler Unternehmer aus der Babyboomer-Generation. Der Existenzialismus von Sartre entspricht einer unternehmerischen Grundhaltung. Tun, nicht sein, ist das wichtigste Wort im Unternehmertum.

Die Frage ist: Kann der Unternehmer seinen Entwurf rechtzeitig abschliessen? Die Summe seiner Handlungen als abgeschlossen betrachten? Und sich von seinem Unternehmen verabschieden?

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Die Antwort muss «ja» lauten. Mindestens drei Gründe erkenne ich dafür:

Der pensionierte Unternehmer hat erstens ein Privileg, das dem Unternehmer auf Lebzeiten verwehrt bleibt: Er kann sein vollendetes Werk betrachten, wie der Bildhauer sein Kunststück. Er darf Freude daran haben. Er ist mit Stolz erfüllt. Der «ewige» Unternehmer hingegen bleibt bis zum Tode im von Sartre genannten Entwurfsstadium. Er feilt, er agiert, er beeinflusst das Geschehen bis zum Schluss. Und kann dann noch alles kaputtmachen.

Ein weiterer Aspekt ist die altruistische Freude: Als abgetretener Unternehmer sieht man, wie der oder die Nachfolger das Kunstwerk weiter bearbeiten. Das kann mit negativen Gefühlen wie Wehmut, Neid oder gar Verzweiflung verbunden sein, aber der abgetretene Unternehmer hat immerhin anderen eine Chance gegeben, sich unternehmerisch zu betätigen. Der Unternehmer auf Lebzeiten tut das nicht und muss sich dem Vorwurf des Egoismus aussetzen.

Schliesslich kann auch manch ein Babyboomer Unternehmer nach vollzogener Unternehmensnachfolge die weiteren Dimensionen des Lebens in ihrer Fülle entdecken: Familienleben, Freundeskreis, vernachlässigte Hobbys und weitere, vielleicht wohltätige Aktivitäten sind geeignet, das Vakuum zu füllen.

Freude am abgeschlossenen Werk, Altruismus und Neugier gegenüber weiteren Dimensionen des Lebens sind drei gute philosophische Gründe, seine Unternehmensnachfolge rechtzeitig zu vollziehen.

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