Bilaterale III: Das grosse Ganze zählt
Text: Fabian Pernstich
Ende Dezember präsentierte der Bundesrat ein Mandat für erneute Verhandlungen mit der EU. Damit wird der Weg für eine überfällige Weiterentwicklung der bilateralen Beziehungen geebnet. Klar ist, dass am Ende das Verhandlungsresultat in einer Gesamtbetrachtung bewertet werden muss. Dennoch ist es aus Sicht der Ostschweizer Wirtschaft aus mindestens drei Gründen begrüssenswert, dass eine Lösung mit der EU zeitnah gefunden wird.
1. Die EU ist und bleibt die wichtigste Partnerin
Die Beziehungen zur EU sind für die Ostschweiz von besonderer Bedeutung. Die hiesige Wirtschaft zeichnet sich durch ihre starke Industriebasis und eine hohe Exportaktivität aus. Dazu kommt die enge Verflechtung mit den europäischen Nachbarregionen. In den Ostschweizer Kantonen sind über 15'000 Beschäftigte aus Deutschland und Österreich tätig. Knapp zwei Drittel der regionalen Warenexporte gehen in die EU, rund drei Viertel der Warenimporte stammen aus der EU.
Somit bleibt die EU auf absehbare Zeit die wichtigste Handelspartnerin der Schweiz, selbst wenn der Handel mit anderen Weltregionen an Bedeutung gewinnt. Jérôme Müggler, Direktor der IHK Thurgau, ist überzeugt: «Rechtssichere Beziehungen zum europäischen Ausland bleiben ein zentraler Pfeiler unseres Wohlstands. Diese Rechtssicherheit ist im Status quo durch die schleichende Erosion der Bilateralen jedoch ungenügend sichergestellt.»
2. Der bilaterale Weg bleibt die bevorzugte Option
Bei der Organisation der Aussenwirtschaftsbeziehungen zur EU hat die Schweiz drei realistische Alternativen: den Rückschritt auf ein Freihandelsabkommen, die Fortführung des bilateralen Wegs oder eine Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen im Rahmen eines EWR- oder EU-Beitritts. Die IHK St.Gallen-Appenzell und die IHK Thurgau haben sich eingehend mit diesen möglichen Handlungsoptionen auseinandergesetzt. Aus Sicht der Wirtschaft bleibt dabei der bilaterale Weg die bevorzugte Option: Dort, wo es im Interesse der Schweiz ist, kann sie sektoriell am europäischen Binnenmarkt teilnehmen, ohne weitergehende politische Integration.[1]
3. Weitere Abkommen sind auch im Interesse der Schweiz
Nicht zuletzt umfasst das Verhandlungspaket neue Binnenmarktabkommen in den Bereichen Strom und Lebensmittelsicherheit. «Insbesondere die Energieversorgung kann nur in Kooperation unter den kontinentaleuropäischen Ländern gewährleistet werden», betont Markus Bänziger, Direktor der IHK St.Gallen-Appenzell. «Die unausweichliche Ablösung der fossilen Energieträger ist für die Schweiz ohne Anstieg von Stromimporten nicht leistbar. Gleichzeitig kann die Schweiz mit der Wasserkraft Verhandlungskraft einbringen.» Daneben würde der Schweiz auch die Teilnahme an bedeutenden Assoziierungsprogrammen ermöglicht, etwa am Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe und dessen Nachfolgern.
Das wirtschaftliche Gewicht der EU, der bilaterale Weg als bevorzugte Option und vorteilhafte, neue Abkommen für die Ostschweizer Wirtschaft: Unter diesen Aspekten ist das Vorgehen des Bundesrats positiv zu werten. In diesem Sinne ist zu erwarten, dass die Verhandlungen mit der EU zeitnah abgeschlossen werden und der bilaterale Weg damit auf eine zukunftsfähige Basis gestellt werden kann.
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Gemeinsame Konsultationsantwort der Ostschweizer Handelskammern
Die IHK Thurgau und die IHK St.Gallen-Appenzell beteiligten sich mit einer gemeinsamen Stellungnahme an der Konsultation zum Entwurf des Verhandlungsmandats. Die Konsultationsantwort kann unter www.ihk.ch/vernehmlassungen abgerufen werden.
Mit einer gemeinsamen Medienmitteilung mit über 50 weiteren Parteien, Verbänden und Unternehmen unterstützten die beiden IHK zudem unlängst den Bundesrat im eingeschlagenen Weg (MM: «Breite Allianz für Bilaterale III: Die Zeit ist reif für Verhandlungen»).
[1] Vgl. EcoOst Vademecum «Wie weiter in der Europapolitik? Handlungsbedarf und Alternativen» (August 2022)