Wissenschaft und Politik diskutieren das Wachstum
Text: PD/stz.
«Wirtschaft ohne Wachstum: Nachhaltig oder blauäugig?» Diese Frage steht auf dem Banner, das am Podiumstisch hängt. Sie ist das Thema des Diskussionsabends – und interessiert. Immer mehr, vor allem junge Menschen strömen am Mittwochabend, 13. November 2024, ins Palace in St.Gallen, sodass kurz vor Veranstaltungsbeginn zusätzliche Stühle aufgestellt werden.
Zu Gast ist zum einen Niko Paech, Professor im Bereich Plurale Ökonomik an der Universität Siegen. Er ist einer der profiliertesten Wachstumskritiker Europas und wurde mit seinem Buch «Befreiung vom Überfluss» zum Vordenker der Postwachstumsökonomie im deutschsprachigen Raum.
Zum anderen nehmen Franziska Ryser, Nationalrätin der Grünen, und Mitte-Ständerat Benedikt Würth mit kurzen Repliken und im anschliessenden Gespräch Stellung zu Paechs Thesen. Die Veranstaltung ist Teil der öffentlichen Vortragsreihe Focus PHSG und in Kooperation mit der Erfreulichen Universität entstanden. Moderiert wird das Podium von Rolf Bossart, Dozent an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen (PHSG).
Fundamentaler Wandel gefordert
Die Postwachstumsökonomie ist ein Gegenentwurf zur wachstumsorientierten Wirtschaft mit dem Ziel, die Wachstumsfixierung hinter sich zu lassen.
Paech beschreibt in seinem Referat die traditionelle Wirtschaftswissenschaft als eine Disziplin, die zu einer «reinen Dogmatik erstarrt», weil sie Wachstum und technische Effizienz zu alleinigen Zielen erhebe, während Werte wie soziale Gerechtigkeit, Resilienz, Klimaschutz und Nachhaltigkeit vernachlässigt würden. «In der Pluralökonomie gehen wir davon aus, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und nicht, wie ein wandelnder Computer, immer nur seinen Nutzen maximiert.»
Paech betont, dass ein grundlegender kultureller Wandel nötig sei: «Nur wenn wir unsere Ansprüche so reduzieren, dass wir mit weniger Energie auskommen, ist es möglich, innerhalb ökologischer Grenzen ein gutes Leben zu führen.» Postwachstumsökonomie setzt daher auf Suffizienz und fordert, «Ballast abzuwerfen, der unser Leben verstopft», statt auf Konsum und Effizienzsteigerung zu setzen. Gleichzeitig sollen handwerkliche Fähigkeiten und Gemeinschaftssinn gestärkt werden, um die Abhängigkeit von globalen Versorgungsketten zu reduzieren.
Der Referent plädiert dafür, die Lebensarbeitszeit zu verringern und das Arbeitspensum durch die Einführung einer 20-Stunden-Woche solidarisch zu teilen. Zuletzt appelliert er an die Eigenverantwortung und das zivilgesellschaftliche Engagement: «Ein Überlebensprogramm für die Menschheit sieht so aus, dass wir lernen, selbst Hand anzulegen, zu reparieren und zu bewahren.» Nur so werde eine nachhaltige und sozial gerechte Wirtschaft in einer endlichen Welt möglich, ist Paech überzeugt.
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Politik in der Verantwortung
Franziska Ryser sagt, dass «endloses Wachstum auf einem endlichen Planeten» tatsächlich eine schwierige Ausgangslage sei. «Aber mit grünem Wachstum wie erneuerbaren Energien und Kreislaufwirtschaft kann wenigstens in einem ersten Schritt eine Gesellschaft, die weniger Ressourcen verbraucht, erreicht werden.» Die Nationalrätin sieht die Politik diesbezüglich in der Verantwortung, jetzt zu handeln, «nach dem Motto ‹change by design› und nicht ‹change by disaster›».
Ryser bringt auch Vorschläge, die in Richtung einer Wirtschaft gehen, die weniger auf Wachstum basieren. Dazu gehört beispielsweise, das Bruttoinlandprodukt nicht mehr als die wirtschaftliche Zielgrösse anzusehen, stärker auf nicht-wachstumsgetriebene Arbeit wie Care-Arbeit zu setzen und wieder mehr Dinge zu tauschen, selbst zu reparieren oder auszuleihen.
Benedikt Würth hingegen kann Paechs Ideen nur wenig abgewinnen. «Wir können die industrielle Revolution nicht zurückdrehen», sagt er. Globale Fortschritte wie der Zugang zu sauberem Wasser oder die Senkung der Kindersterblichkeit seien durch wirtschaftliche Entwicklung erzielt worden. «Ein nachhaltiges Konzept muss neben Ökologie und Ökonomie auch die soziale Kohäsion berücksichtigten.»
Man könne zwar theoretische Konstrukte formulieren, aber man müsse auch bedenken, wie die Menschen mitgenommen werden könnten und wie dieser Vorschlag umzusetzen sei. Solche Massnahmen könnten fast nur mit planwirtschaftlichen Ansätzen umgesetzt werden – mit den bekannten problematischen Nebeneffekten.