St.Gallen

Frei verabschiedet sich mit bewegender Abschiedsvorlesung

Frei verabschiedet sich mit bewegender Abschiedsvorlesung
Christoph Frei
Lesezeit: 4 Minuten

Mit Christoph Frei wurde am 19. Dezember 2024 ein HSG-Professor altershalber emeritiert, der von Studenten und der Öffentlichkeit gleichermassen geschätzt wird. Über 600 Gäste besuchten seine ausgebuchte Abschiedsvorlesung nach zwei Jahrzehnten an der Universität St.Gallen.

Text: stz.

«Christoph Frei hat sich immer für unsere Studenten eingesetzt», betonte Rektor Prof. Manuel Ammann. Frei habe die HSG massgeblich geprägt und dabei «mehr gegeben als genommen».

Dirk Lehmkuhl, Dekan der School of Economics and Political Science (SEPS-HSG), würdigte ihn als «wortgewandt und weltgewandt» und hob Freis beeindruckendes Wirken hervor.

In seiner Abschiedsvorlesung mit dem Titel «Die offene Gesellschaft und ihre Feinde» sprach Frei über zentrale Themen wie Autonomie und Einschränkungen der Freiheit, bürgerschaftliches Engagement und die Erosion zivilgesellschaftlichen Zusammenhalts, Lernfähigkeit und Selbstkritik. «Geschichte ist offen, auch im Kleinsten. Jeder Einzelne steht in der Pflicht, sie mitzugestalten», schloss Frei unter stehenden Ovationen, dankend an alle, die ihn auf seinem Weg begleitet haben.

Im unten stehen HSG-Interview blickt Christoph Frei auf seine 20 Jahre an der HSG zurück. «Im Umgang mit Studenten lernte ich, dass man auch in einem Hierarchieverhältnis den Austausch auf Augenhöhe pflegen muss, um die optimale Lernatmosphäre zu schaffen», erklärte er.

Zugleich schaut Frei zuversichtlich in die Zukunft. Im Herbstsemester 2025 wird er mit einem reduzierten Pensum zurück in die Lehre kehren. Zudem plant er, sich im St.Gallen Collegium zu engagieren. «Auch darum verspüre ich heute nicht Trauer, sondern Freude. Ich darf meine Leidenschaft weiterhin leben», so Frei.

«Die HSG hat mir viele Chancen eröffnet»

Geprägt haben ihn Franziskanermönche und seine Mutter, die fünf Kinder alleine grosszog. Und er hat seine Habilitation nie eingereicht, weil sie aus seiner Sicht zu wenig gut war: Christoph Frei, der seit 2005 an der HSG Politikwissenschaften und internationale Beziehungen lehrt, ist im akademischen Betrieb ein Exot – und dabei sehr populär: «Von Studenten wird er geliebt», schrieb etwa das Studentenmagazin Prisma 2015. Mehrere Auszeichnungen, die er an der HSG für seine exzellente Lehre erhielt, unterstreichen das. Frei wird auch regelmässig von nationalen Medien interviewt und füllt mit seinen Veranstaltungen die Ränge der öffentlichen HSG-Vorlesungen. Nun wird Christoph Frei altershalber emeritiert.

Christoph Frei, Sie werden in einem Moment emeritiert, in dem die Welt von Krisen geprägt ist. Wie blicken Sie in die Zukunft?
In den 1990er-Jahren gab es die Überzeugung vom «Ende der Geschichte», den Glauben an eine weltweite Tendenz hin zu westlich-liberalen Demokratien. Davon ist heute kaum noch die Rede, es sind unruhige Zeiten. Auch nationalstaatliche Selbstbezogenheit ist wieder allgegenwärtig. Donald Trump ist kein Einzelfall. Schliesslich holen uns ungelöste Konflikte ein, wie das Beispiel Nahost zeigt. Aber ich will nicht dramatisieren. Geschichte ist offen.

Sie wuchsen in der Ostschweiz auf und haben lange im Ausland gelebt. Was hat Sie in Ihrem Leben geprägt?
Am stärksten wohl meine Mutter. Der Vater starb, als ich zwei Jahre alt war, die Mutter zog alleine fünf Kinder gross. Sie war unglaublich stark, ist allen Menschen mit Respekt begegnet. Im Alter von 12 bis 19 Jahren besuchte ich die Klosterschule in Appenzell, wurde dort von Franziskanermönchen unterrichtet. Wir lasen viel, thematisierten Philosophie und Geschichte, Griechisch lernte ich im Einzelunterricht. Von dieser breiten, soliden Grundausbildung profitiere ich bis heute. Dann ging es nach St.Gallen. Das Studium der Staatswissenschaften war (und ist noch heute) interdisziplinär, es verbindet Politik, Recht und Wirtschaft. Auch dieser Zugang zur Welt hat mich geprägt.

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Wie ging es für Sie nach dem HSG-Studium weiter?
Mit dem Doktorat unter Alois Riklin. Dabei hielt ich mich zu Forschungszwecken im Ausland, vorab in den USA auf. Im Zeitraum 1990 bis 1995 kehrte ich an die HSG zurück, durfte erste Vorlesungen halten und fand Freude am lebendigen Austausch im Hörsaal. Für das Habilitationsprojekt, eine Geschichte der französischen Demokratie, ging es dann erneut ins Ausland.

Wohin gingen Sie?

Nach Paris. Von 1995 bis 2002 versenkte ich mich tief in die Archive. Am EHESS (École des hautes études en sciences sociales) traf ich auf den Historiker François Furet. Er erklärte die französische Geschichte mit unglaublicher Klarsicht. Die Habil habe ich nie eingereicht – sie schien mir unfertig, genügte den eigenen, überrissenen Ansprüchen nicht. Hier wartet ein Projekt, das ich gerne noch beenden will, auch wenn niemand darauf wartet. Nach Paris und einem dreijährigen Zwischenspiel in Budapest kam der Ruf, die Leitung des Studiengangs International Affairs an der HSG zu übernehmen. Ein gänzlich unerwartetes Glück: Obschon formal ohne Habil, durfte ich die Lehre wie auch den Studiengang prägend mitgestalten.

Was gefällt Ihnen daran, im Hörsaal zu stehen und im Austausch mit Studenten zu sein?
Im Umgang mit Studenten lernte ich, dass man auch in einem Hierarchieverhältnis den Austausch auf Augenhöhe pflegen muss, um die optimale Lernatmosphäre zu schaffen.  Ich will ja, dass Studierende Fragen stellen, widersprechen. Das Miteinander ist bis heute bereichernd.

Was empfinden Sie nun bei Ihrem Abschied von der HSG?
Viel Dankbarkeit – gegenüber den Studenten, die mir in diesen 20 Jahren viel gegeben haben, aber auch vis-à-vis der Universität, die neue Chancen und Räume bot. Unvergessen bleiben Anlässe und Moderationen mit Persönlichkeiten wie Kofi Annan, Niall Ferguson, Timothy Garton Ash oder Peter Sloterdijk – und Kaminfeuergespräche mit Bundesräten.

Was sind Ihre Pläne für die kommende Zeit?
Ab Januar verschwinde ich für acht Monate mehr oder weniger von der Bildfläche, besuche Länder und Freunde. Im Herbstsemester 2025 geht es mit einem kleinen Pensum zurück in die Lehre. Im St.Gallen Collegium, einer Plattform für interdisziplinären Austausch, werde ich überdies die dortigen Forscher in Gruppenprozessen unterstützen. Auch darum verspüre ich heute nicht Trauer, sondern Freude. Ich darf meine Leidenschaft weiterhin leben.

Quelle: HSG.

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