Ostschweiz

Psychische Belastungen am Arbeitsplatz: Genau hinschauen

Psychische Belastungen am Arbeitsplatz: Genau hinschauen
Stephan Melliger: «Wenn belastende Situationen – seien es ungelöste Konflikte, Überforderung am Arbeitsplatz oder psychosoziale Probleme – nicht angemessen bearbeitet werden, können sie häufig zu Krankschreibungen führen.»
Lesezeit: 4 Minuten

Psychische Belastungen gehören zu den häufigsten Ursachen für Arbeitsausfälle: Tendenz steigend. Unternehmen und insbesondere Führungskräfte können massgeblich dazu beitragen, das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu steigern und Langzeitabsenzen zu verhindern. Stephan Melliger, Leiter des CAS Case Management an der OST – Ostschweizer Fachhochschule, ist Experte für betriebliches Gesundheitsmanagement. Im Interview spricht er über Warnsignale, «gesunde Führung» und die indirekten Kosten von Arbeitsausfällen.

Text: PD/stz.

Stephan Melliger, was kann darauf hindeuten, dass ein Arbeitnehmer aufgrund von psychischem Stress Gefahr läuft, für längere Zeit auszufallen?
Die Anzeichen für psychische Belastungen, die zu längeren Fehlzeiten führen können, sind oft subtil und nicht sofort erkennbar. Aus meiner Erfahrung im Case Management weiss ich, dass viele Betroffene trotz hoher Belastung versuchen, gegenüber Vorgesetzten und Team eine Fassade aufrechtzuerhalten. Dennoch gibt es Warnsignale. Zum Beispiel, wenn einer Person gehäuft Fehler unterlaufen oder ein allgemeiner Leistungsabfall zu beobachten ist. Auch das Verhalten kann Hinweise liefern. Etwa, wenn jemand öfter gereizt ist und sich sozial zurückzieht und Pausen mit Kollegen vermeidet. Manchmal zeigt sich aber auch im Äusseren, dass es einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer nicht gut geht. Beispielsweise, wenn die oder der Betroffene auffällig viel Gewicht verliert oder immer weniger Wert auf ein gepflegtes Erscheinungsbild legt.

Wie sollten Führungskräfte bei solchen Anzeichen reagieren?
Führungskräfte haben eine Schlüsselfunktion. Entscheidend ist, dass sie genau hinschauen, Beobachtungen ansprechen und Unterstützung anbieten, bevor die Situation eskaliert. Eine zentrale Massnahme dabei ist das offene Gespräch. Es ist wichtig, um Interesse und Wertschätzung zu zeigen und die Ursachen der Überlastung zu ergründen. Denn man muss unterscheiden, ob es sich um einen betrieblich bedingten Stress handelt, ob psychosoziale Gründe wie familiäre oder finanzielle Probleme dafür verantwortlich sind oder ob es sich um eine Kombination aus beidem handelt. Anschliessend können unterstützende Massnahmen eingeleitet oder Anlaufstellen vermittelt werden. Wenn belastende Situationen – seien es ungelöste Konflikte, Überforderung am Arbeitsplatz oder psychosoziale Probleme – nicht angemessen bearbeitet werden, können sie häufig zu Krankschreibungen führen.

Welche Rolle spielt der Führungsstil bei der Entstehung und Prävention von stressbedingten Erkrankungen beziehungsweise Langzeitausfällen?
Der Führungsstil hat einen grossen Einfluss auf das Arbeitsklima, die Arbeitsbelastung und das Wohlbefinden der Mitarbeiter. Mit ihrem Verhalten prägen Führungskräfte die Teamkultur massgeblich. Studien zeigen, dass Faktoren wie geringe Wertschätzung, Unklarheit, mangelnde Kommunikation und ständige Unterbrechungen das Stresserleben bei den Arbeitnehmern verstärken können. Ein gesundheitsorientierter Führungsstil hingegen – oft auch als «gesunde Führung» bezeichnet – zielt darauf ab, Stress zu reduzieren, die Motivation zu stärken und gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen zu schaffen. Ein solcher Führungsstil fördert die Work-Life-Balance und unterstützt ein respektvolles Miteinander. Dies wirkt sich positiv auf das gesamte Team aus und kann dazu beitragen, stressbedingte Langzeitausfälle zu vermeiden. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass Führungskräfte nicht allein für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter verantwortlich sind. Ein umfassendes betriebliches Gesundheitsmanagement, das von der Unternehmensleitung getragen wird, ist unerlässlich.

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Was beinhaltet ein betriebliches Gesundheitsmanagement und was bewirkt es?
Ein strukturiertes und ganzheitliches betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) bildet die Grundlage für ein gesundes Betriebsklima und die frühzeitige Unterstützung der Mitarbeiter. Es umfasst präventive Massnahmen wie Gesundheitskampagnen sowie unterstützende Angebote wie Führungskräftetrainings, betriebliche Sozialberatung und Anlaufstellen für Themen wie sexuelle Belästigung und Mobbing. Ein gutes BGM trägt dazu bei, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Mitarbeiter sich wohlfühlen und sich trauen, Probleme anzusprechen. Zur Früherkennung von Belastungen ist ein gut funktionierendes Absenzenmanagement zentral, ebenso wie ein strukturiertes Case Management, das die berufliche Wiedereingliederung bei längerfristigen Abwesenheiten begleitet. Ein solches System vermittelt Arbeitnehmern auch das Gefühl, dass ihre Gesundheit ernst genommen wird und ermutigt sie, rechtzeitig Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Welche Best Practices gibt es für gelungene Gesundheitsmanagement-Strategien und Präventionsmassnahmen?
Die Arbeitgeberstudie Compasso 2024 bringt es auf den Punkt: Absenzenmanagement ist das grundlegendste Präventionsinstrument zur Früherkennung von Belastungen und das zentrale Instrument, das mit einer nachhaltigen Wirkungskontrolle verbunden sein sollte. Konkret bedeutet das, dass ein interner Prozess vorhanden ist, der das genaue Vorgehen bei Kurz- und Langzeitabsenzen sowie die Verantwortlichkeiten aller Beteiligten regelt. Führungskräfte spielen eine zentrale Rolle, insbesondere bei Rückkehrgesprächen. Bei Langzeitabwesenheiten sind mehrere Parteien mit jeweils eigenen Bedürfnissen involviert. Hier kommt der Case Manager oder die Case Managerin ins Spiel. Er oder sie versucht, die unterschiedlichen Anforderungen – sowohl gesundheitliche als auch betriebliche – in Einklang zu bringen. Ziel ist die berufliche Integration der betroffenen Person.

Welche langfristigen Vorteile hat es für Unternehmen, in die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu investieren?
In Zeiten von Fachkräftemangel und hohen Personalausfallkosten lohnt es sich für Unternehmen besonders, präventiv in die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu investieren. Mitarbeiter, die nicht nur arbeitsfähig, sondern auch gesund und motiviert sind, stellen langfristig einen Gewinn fürs Unternehmen dar. Neben den direkten Absenzkosten werden vor allem die indirekten Kosten oft unterschätzt. Sie können bis zu fünfmal höher sein als die direkten Kosten. Zu diesen indirekten Kosten gehören etwa die ständige Umplanung von Ressourcen, Überstunden, daraus resultierende Teamkonflikte sowie zusätzliche Ausfälle oder Unfälle durch die Mehrbelastung des Teams. Weitere Kostenfaktoren sind die Suche und Einarbeitung von Zeitarbeitskräften, Qualitätseinbussen, Produktionsausfälle, zusätzlicher Verwaltungsaufwand und erhöhte Versicherungskosten. Durch Prävention und gesundheitsfördernde Massnahmen können Unternehmen diese direkten und indirekten Kosten reduzieren, die Produktivität und das Wohlbefinden der Mitarbeiter steigern und damit langfristig ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern.

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