Der Geist von Alan Greenspan ist wieder da

Text: Thomas Stucki, CIO der St.Galler Kantonalbank
Die Inflationsrate ist in den USA auf 3.2% gesunken, liegt damit aber noch in weiter Ferne von den von der Fed angestrebten 2%. Zudem ist der Preisdruck im wichtigen Dienstleistungssektor anhaltend hoch. Gleichzeitig zeigt sich die US-Wirtschaft trotz den bereits stark gestiegenen Zinsen solide.
In den USA werden die Leute in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten normalerweise schneller entlassen als in Europa. Die Arbeitslosenrate ist aber immer noch auf einem sehr tiefen Wert und die Jobmaschine läuft auf Hochtouren. Entsprechend aufmerksam muss die Fed die Lohn- und Inflationsentwicklung im Auge behalten und bei Bedarf ihre Leitzinsen weiter erhöhen.
Keine US-Zinserhöhungen mehr nötig
Die Zinsen in den USA sind aber mit 5.375% bereits auf einem Niveau, welches deutlich über dem konjunkturneutralen Bereich von rund 3% liegt. Auf Dauer dürfen die Zinsen nicht so hoch sein, sonst wird die Wirtschaft über kurz oder lang in Schwierigkeiten geraten. Deshalb ist verständlich, dass die Finanzmärkte im nächsten Jahr bereits mehrere Zinssenkungen von der Fed erwarten.
Wenn die Kunst des «Soft Landings» gelingen soll, wird die Fed bei Anzeichen einer deutlicheren Abschwächung der Wirtschaft den Druck etwas lösen müssen und die Zinsen langsam wieder senken. In welche Richtung es zuerst geht, ist offen.
Ich gehe davon aus, dass eine weitere Zinserhöhung der Fed nicht mehr nötig ist, aber eine zusätzliche Anhebung von 0.25% liegt natürlich drin. Sie würde konjunkturell auch keinen grossen Unterschied machen. Unabhängig davon ist das Ende der Zinserhöhungen nahe. Das zeigt sich auch in der Zinskurve, welche schon seit langem invers ist.
Die Rendite der 10-jährigen US-Treasury Note ist in den letzten Wochen zwar gestiegen, aber mit 4.30% deutlich tiefer als der Geldmarktzins. Dass die langfristigen Zinsen noch etwas ansteigen, wenn sich die Zinssenkungen der Fed verzögern sollten, ist gut möglich. Die Marke von 5% werden sie aber nicht erreichen.
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Ungewissheit bleibt
Was die Fed macht, hat nicht nur auf die Zinsen direkte Auswirkungen, sondern auf die Finanzmärkte als Ganzes. Powell lässt daher auch die Aktienmärkte im Ungewissen, auf was sie sich einstellen müssen. Entsprechend nervös und orientierungslos verläuft momentan der Handel.
Dies kann noch eine Weile anhalten.