Fokus MEM

«Wertewandel verstehen, akzeptieren und nutzen»

«Wertewandel verstehen, akzeptieren und nutzen»
Martin Meier, Franziska Tschudi Sauber
Lesezeit: 4 Minuten

Mit rund 320’000 Beschäftigten und jährlichen Exporten von 63 Milliarden Franken ist die Schweizerische Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie eine Schlüsselbranche der Schweizer Volkswirtschaft. Doch auch sie kämpft mit fehlendem Nachwuchs. Was dagegen getan wird, erklären Franziska Tschudi Sauber, Vorstandsmitglied Swissmem und Verwaltungsratspräsidentin der Weidmann Holding AG aus Rapperswil-Jona, sowie Martin Meier, Mitglied der Weidmann-Geschäftsleitung und Personalverantwortlicher Global.

Wie würden Sie die aktuelle Situation bezüglich des Nachwuchses in der MEM-Industrie beschreiben – sowohl gesamtschweizerisch als auch in Bezug auf die Ostschweiz?
Franziska Tschudi Sauber: Der Nachwuchskräftemangel ist weiterhin spürbar und etwa gleichbleibend hoch. Und auch die demografische Entwicklung schreitet weiter voran. Mehr ältere Mitarbeitende gehen in Pension und weniger junge Fachkräfte treten in den Arbeitsmarkt ein.
Martin Meier: Bei Weidmann ist es beispielsweise in folgenden Bereichen speziell schwierig, Mitarbeitende zu rekrutieren: Automatiker, Mechaniker, Logistiker und Kunststofftechnologen.

Welche Herausforderungen sehen Sie in Bezug auf die Rekrutierung und Ausbildung von Nachwuchskräften in der MEM-Branche?
FT: Die Trends der demografischen Entwicklung und der schleichenden Akademisierung werden sich fortsetzen und negativ auf den verfügbaren Pool von Nachwuchskräften auswirken. Lernende auszubilden und im Unternehmen zu halten, wird deshalb noch wichtiger werden. Dafür muss der Wertewandel der jüngeren Generation verstanden, akzeptiert und genutzt werden. Auch neue Ausbildungsprofile wie Mediamatiker sollten in Unternehmen angeboten werden, da sie dem Interesse der Jungen, sowie auch dem Bedarf vieler Firmen entspricht.

 

«Swissmem setzt sich dafür ein, dass die Grundbildung für Jugendliche attraktiv bleibt.»

Welche Massnahmen hat Swissmem ergriffen, um den Mangel an qualifizierten Fachkräften in der Branche anzugehen
MM: Die Swissmem hat sich z. B. für die flächendeckende Einführung des Lehrplans 21 eingesetzt, da er nicht zuletzt auch die berufliche Orientierung und die MINT-Fächer stärkt. Die Swissmem setzt sich stark dafür ein, dass die berufliche Grundbildung für Jugendliche attraktiv bleibt. Mit «Swissmem Berufsbildung» verfügt sie zudem über ein Kompetenz- und Dienstleistungszentrum für die Berufsbildung der Schweizer MEM-Industrie. Die Fachstelle entwickelt zahlreiche Lernmaterialien für Ausbildungsbetriebe, überbetriebliche Kurszentren und Berufsfachschulen.
FT: Generell sind wir politisch aktiv zur Stärkung des dualen Bildungssystems und zur Positionierung der MEM-Industrie als zukunfts- und karrierefähige Branche in der Schweiz – was sie war, ist und auch in Zukunft sein wird.

Wie können Unternehmen innerhalb der MEM-Industrie junge Talente für sich gewinnen und langfristig binden?
MM: Die Unternehmen sollten sich an MINT-Tagen von Schulen (Besuche von Schülern in Firmen) engagieren sowie attraktive «Zukunftstage» gestalten, um auch längerfristige Massnahmen zu unterstützen. Lehren und Schnuppertage anzubieten, gehört ebenfalls zu den Grundwerkzeugen, welche vorhanden sein sollten. Auch die Aus- und Weiterbildung von Betreuenden der Lernenden darf nicht vernachlässigt werden, denn sie bilden eine Art «Brückenkopf» zur jungen Generation.

 

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«Aus- und Weiterbildung in der Lernenden-Betreuung bilden eine Art ‹Brückenkopf› zur jungen Generation.»

Und wie sieht es mit dem weiblichen Nachwuchs in der Branche aus?
FT: Um die Attraktivität von MEM-Unternehmen für junge Frauen weiter zu stärken, sollte man weibliche Lernende als Botschafterinnen einsetzen, und Karrieren für Frauen im Industriebereich müssen noch sichtbarer werden.

Welche Rolle spielt die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitenden für die Zukunftsfähigkeit der MEM-Branche, insbesondere im Hinblick auf technologische Entwicklungen?
FT: Eine zentrale Rolle – die interne Aus- und Weiterbildung muss dafür noch weiter und auf allen Ebenen verstärkt werden. Überhaupt muss Weiterbildung über das ganze Berufsleben gefordert und gefördert werden, was der Branche und den Mitarbeitenden gleichermassen zugutekommt.
MM: Die Jobprofile innerhalb der Firmen wandeln sich heutzutage bekanntlich rasch, dieser Wandel wird aber nur sehr langsam durch neue Lern-/Ausbildungsprofile abgedeckt. Nehmen wir etwa den Logistikbereich. Dort hat sich aufgrund von Automatisierung und Digitalisierung in den vergangenen zehn Jahren vieles grundlegend verändert. Waren früher noch «Staplerfahren» und «Tätigkeiten manuell erledigen» wichtig, ist heutzutage ein Prozess-, Automatisierungs- oder Digitalisierungsverständnis von zentraler Bedeutung.

 

«Im Logistikbereich haben sich Jobprofile aufgrund von Automatisierung und Digitalisierung grundlegend verändert.»

Inwiefern hat sich der Bedarf an spezialisierten Fähigkeiten und Kenntnissen in der MEM-Branche in den vergangenen Jahren verändert, und wie reagieren Unternehmen darauf?
FT: Der Bedarf hat sich nach meiner Wahrnehmung von den Anforderungen her die letzten Jahre nicht sehr stark verändert, aber der Mangel hat sich verstärkt. Ansatzpunkte gibt es v. a. bei den Nachwuchskräften, bei den Frauen und den älteren Mitarbeitenden.

Was kann hier konkret getan werden?
FT: Frauen für Technikberufe begeistern, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern, Diversity-Massnahmen unterstützen oder die Positionierung der Industrie als sinnstiftende Branche sind nur einige Beispiele.
MM: In Bezug auf die älteren Mitarbeitenden sind die Firmen gefordert, ihre Rekrutierungspraktiken anzupassen, was wir bei Weidmann aktiv umgesetzt haben. 

Das heisst?
MM: Auch Mitarbeitende über 50 oder 55 einzustellen und ihnen v. a. auch ermöglichen, über das Referenzalter (65/64) hinaus zu arbeiten. Aber auch die Schaffung von Bogenkarrieren (z. B. schrittweise Reduzierung des Pensums und/oder weniger Verantwortung im Alter) kann ein attraktives Angebot für ältere Mitarbeitende sein. Das hilft Unternehmen auch dabei, langjähriges Know-how länger im Betrieb zu halten. Win-Win also …

 

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Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen der MEM-Industrie und Bildungseinrichtungen aus, um sicherzustellen, dass die Ausbildung von Nachwuchskräften den Anforderungen der Industrie entspricht?
FT: Wir arbeiten mit vielen Bildungseinrichtungen und Partnern zusammen. Dazu gehören unter anderem die Schweizerische Kommission für Berufsentwicklung und Qualität der MEM-Branche, die Swissmem Berufsbildungskommission BBK oder «focusMEM», der Berufsbildungsverein der MEM-Industrie. Auf nationaler Ebene sind wir zudem mit nationalen Gremien und Kommissionen wie der Schweizerische Berufsbildungsämter-Konferenz, der Tripartiten Berufsbildungskonferenz oder der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren EDK in Kontakt. Auf kantonaler Ebene pflegen wir zudem unser Netzwerk mit Unternehmen, Berufsfachschulen und Anbietern von überbetrieblichen Kursen.

Was machen Sie persönlich als Swissmem-Vorstandsmitglied zur Förderung und Entwicklung des MEM-Nachwuchses?
FT: Sobald ein Kind in meiner familiären Umgebung einigermassen alt genug ist, gehe ich mit ihm ins Technorama nach Winterthur. Nicht einmal, immer wieder. Und das macht erfahrungsgemäss allen grossen Spass. Natürlich auch mir …

Text: Patrick Stämpfli

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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