Wenn Autohersteller husten, hat die Ostschweiz Fieber

Kann man eine Wirtschaftskrise herbeireden? Nun, wenn jemand durch seine nicht ganz unwichtige Funktion die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit geniesst, haben bestimmte Aussagen durchaus einen Impact. Wenn also Donald J. Trump laut darüber nachdenkt, welchen Handelspartner er heute mit neuen Zöllen piesacken könnte, dann reagiert die weltweite Wirtschaft nervös. Wenn er dann – wie anfangs April – praktisch die ganze Welt tatsächlich mit abenteuerlich berechneten Strafzöllen überzieht, macht die grosse Verärgerung rasch allgemeiner Ratlosigkeit Platz. Ökonomen scheinen jedenfalls in Washington kein Gehör mehr zu finden.
Die Achterbahnfahrten an den Börsen in aller Welt kann man durchaus dem selbsternannten grössten Präsidenten aller Zeiten anlasten. Für gewisse Trends kann aber nicht einmal der MAGA-Master etwas: Dass in der Automobilindustrie ein tiefgreifender technologischer Wandel für einen beschleunigten Strukturwandel sorgt, hat wenig mit Dekreten aus dem Weissen Haus zu tun. Im Gegenteil: Donald Trump propagiert zwar zwischendurch das Elektroauto seines Buddys Elon Musk, aber seine eigentliche Mission lautet «drill, Baby, drill!» – Trump will forciert nach fossilen Brennstoffen bohren. Klimawandel? Das ist woker Blödsinn aus dem Programm der Demokraten, den Losern also.
Eine Krise der Autoindustrie trifft auch die Schweiz unmittelbar.
Deutsche Autobauer aus der Spur
Loser sind aktuell auch die stolzen deutschen Autobauer, deren ökonomischer Spurhalteassistent schon länger defekt zu sein scheint. Die Volkswagen AG wird von den Familien Porsche und Piëch gesteuert, doch das Land Niedersachsen ist mit 20 Prozent beteiligt, der Staatsfonds des Emirats Katar mit 17 Prozent. Der gleiche Fonds ist auch beim Formel-1-Team von Audi mit an Bord.
Die Wechselwirkung zwischen deutscher Industrie und deutscher Politik sowie die Mitsprache eines Golf-Emirats sind nicht gerade die idealen Voraussetzungen, um einen radikalen technologischen Wandel zu forcieren – weg vom Verbrennungsmotor, hin zur Elektromobilität. Wozu auch? «Das alte Geschäftsmodell war sehr erfolgreich», erklärt der Direktor des Instituts für Mobilität an der HSG, Andreas Herrmann, im nachfolgenden Interview. Mit der traditionellen Ausrichtung habe die deutsche Industrie lange «enorm viel Geld verdient».
Auch andere renommierte deutsche Marken wie BMW oder Mercedes haben – wie die meisten europäischen Konzerne – Elektromobilität lange als Nische und dann als Mittel zum Zweck betrachtet: Man sollte ja ein paar emissionsfreie Fahrzeuge an den Mann bringen, um den von der EU festgelegten durchschnittlichen CO2-Ausstoss der Flotte einigermassen zu erreichen. Was kaum ein Hersteller schafft: Der CEO von Renault, Luca de Meo, rechnete im französischen Radio vor, dass die europäischen Hersteller deswegen bis zu 15 Milliarden Euro an Bussen zahlen müssten. Das trifft eine Industrie, die ohnehin in der Krise ist und mit Absatzproblemen sowohl bei klassischen Verbrennern wie auch bei Elektrofahrzeugen kämpft, ins Mark.
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Starke Autoindustrie in der Schweiz
Eine Krise der Autoindustrie trifft auch die Schweiz unmittelbar: Gemäss Branchenverband Swissmem beschäftigt die Automobilzulieferindustrie in der Schweiz 34’000 Mitarbeiter in 574 Unternehmen – eine Zahl, in der vermutlich viele kleinere Unternehmen im Elektronikbereich noch gar nicht erfasst sind.
In der Ostschweiz hat die MEM-Branche, zu der auch die meisten Automobilzulieferer gehören, eine überdurchschnittliche Bedeutung. Und dieser Branche geht es aktuell nicht gut, wie der in Weinfelden ansässige Verband Swissmechanic, der die KMU der MEM-Branche vertritt, meldet: Fast ein Drittel der Betriebe hat Kurzarbeit eingeführt. Die ganze MEM-Branche spüre Herausforderungen, die Automobilzulieferer stünden aber besonders unter Druck, legt Swissmechanic-Präsident Nicola Tettamanti in diesem Schwerpunkt dar.
Leere Auftragsbücher
«Die schwache Nachfrage aus dem Ausland schlägt sich in den leeren Auftragsbüchern der Ostschweizer Industrie nieder», führt die St.Galler Kantonalbank in ihrem aktuellen Anlegermagazin aus. «Vor allem die wirtschaftliche Schwäche in Deutschland – insbesondere in der wichtigen Automobilindustrie – macht den Ostschweizer Unternehmen zu schaffen.» Der wirtschaftliche Ausblick ist gemäss SGKB-Strategieanalystin Céline Koster mit grossen Unsicherheiten behaftet. «Insbesondere die weitere Entwicklung im Zollbereich und die geopolitische Lage bleiben ein Risikofaktor für die Weltwirtschaft und damit auch für die exportorientierten Ostschweizer Unternehmen.»
Text: Philipp Landmark
Bild: Freepik