«Lokaljournalismus ist essenziell für die Demokratie»
150 Jahre, 5000 Exemplare
Der Volksfreund wird genossenschaftlich verlegt und ist seit 148 Jahren tief in der Innerrhoder Bevölkerung verwurzelt. Gegründet wurde die Genossenschaft 1876 mit dem Ziel, eine eigene Zeitung herauszugeben. Und dies hat sich in all den Jahren nicht geändert. Der Appenzeller Volksfreund erscheint viermal wöchentlich (Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Samstag) in erster Linie in Appenzell Innerrhoden und erreicht eine Auflage von 4978 Exemplaren bei rund 16´000 Einwohnern. Bis heute hat sich die Zeitung ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit bewahren können. «Die Genossenschaftsstrukturen, aber auch die Tradition und die Verbundenheit mit den hiesigen Menschen helfen uns, langfristig zu bestehen», sagt Christof Chapuis, Geschäftsführer der Druckerei Appenzeller Volksfreund (DAV), welche die Zeitung herausgibt.
Expansion nach Ausserrhoden
Chapuis ist seit eineinhalb Jahren verantwortlich für die DAV, zu der auch die Appenzeller Druckerei AG gehört. Zuvor hatte Chapuis das Marketing und den Verkauf im Haus geleitet und war bereits drei Jahre Mitglied der Geschäftsleitung. Sein Vorgänger Markus Rusch hatte das Unternehmen während 22 Jahren geführt, bevor er im September 2022 in Pension ging.
Die Appenzeller Druckerei AG ist 2015 aus dem Zusammenschluss der Akzidenzdruckbereiche mehrerer Traditionshäuser entstanden und hat ihren Sitz in Herisau. Der Medienteil ist in Appenzell geblieben, gedruckt wird die Zeitung allerdings seit 2021 bei der Somedia Partner AG im Druckzentrum Haag. Die DAV führt einen Verlag und – unter dem Dach der Appenzeller Druckerei AG – die Webagentur Anderthalb.ch, den Grossformat-Digitaldruckbereich Printlounge sowie die Filiale Toggenburger Druckerei in Wattwil. Am Standort Appenzell werden neben dem Volksfreund auch das «Anzeigeblatt Gais Bühler» verlegt sowie News für das Online-Portal appenzell24.ch aufbereitet. In Herisau gibt die Appenzeller Druckerei AG das Monatsmagazin «de Herisauer» für Herisau und Umgebung heraus.
Wichtig für die Meinungsbildung
Der Appenzeller Volksfreund ist, wie der Geschäftsführer sagt, sehr nahe an den Menschen. «Wir berichten auf unseren Lokalseiten über Veranstaltungen oder Ereignisse, die anderen Medien keine 30 Zeilen wert sind.» Die Agenda ist das Gerüst, das Rückgrat der Berichterstattung. «Wir bilden das Leben in Innerrhoden und in der umliegenden Region ab», sagt Chefredaktor Tommaso Manzin. So finden sich auf den vier bis fünf «Innerrhoden»-Seiten und ein bis zwei Seiten «Appenzellerland» etwa Berichte über die Schulprojekttage in Gonten, die Erstkommunionsfeier in Schwende oder die Hauptversammlung der Musikgesellschaft Brülisau.
Auch politische Themen haben ihren Platz im Volksfreund und werden kommentiert. «Für die Meinungsbildung sind Kommentare unverzichtbar», sagt der Chefredaktor, der diesen Posten vor gut zwei Jahren übernommen hat und mittlerweile ein sechsköpfiges Team führt. «Kommentare sind ein Prüfstein für die Unabhängigkeit der Zeitung in ihrer Funktion als Wächter über den Institutionen. Lokaljournalismus ist essenziell für die Demokratie.»
Doch gerade hier kann die Stärke des Volksfreunds – seine Nähe zu Volk und Institutionen – zur Schwäche werden. «Es gibt Tage, an denen wir um jeden Zentimeter Medienfreiheit kämpfen», sagt Manzin. «Irgendwo geistert immer noch der Gedanke herum, dass der Volksfreund dafür da sei, positiv über Innerrhoden zu berichten. Und dass eine Art Recht auf Replik bestehe, sobald man sich von einem Kommentar, egal, wie diffus er ist, betroffen fühlt.»
Der Volksfreund hat nur einen Freund
In der Vergangenheit musste sich der Volksfreund auch schon den Vorwurf gefallen lassen, zu regierungsnahe zu sein, also zu wenig kritisch gegenüber der Regierung zu berichten. Und heute? «Es kostet viel Arbeit, sich von diesem Image zu lösen», gesteht der Chefredaktor. «Man kennt sich in Innerrhoden, man ist per Du. Das ist sympathisch und öffnet viele Türen, doch in einer Konfliktsituation kann es in Erwartungsdruck umschlagen.»
Aber, fügt Tommaso Manzin an, der Volksfreund habe nur einen Freund: das Volk. Das Image beruht seiner Meinung nach teilweise auch auf einer Fehlinterpretation. «Wir sind ein amtliches Publikationsorgan. Das heisst aber nur, dass wir amtliche Publikationen abdrucken – wir sind frei, diese zu kommentieren oder nachzuhaken. Und das tun wir. Wir haben seit einiger Zeit bewusst einen Schwerpunkt auf Kommentare gesetzt.»
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Weniger Abos, weniger Inserate
Der Appenzeller Volksfreund geniesst einen hohen Stellenwert in der Innerrhoder Bevölkerung. Etwa 70 Prozent der Haushalte im Kanton haben die Zeitung abonniert. Eine Zahl, von der die meisten Medienhäuser nur träumen können. «Wir bewegen uns in einem sehr speziellen lokalen Markt», sagt Geschäftsführer Chapuis. Die aussergewöhnliche Treue sei primär der Kleinräumigkeit und der Tradition geschuldet. Allerdings spürten auch sie den Wandel in der Medienbranche. «Die Zahl der Abonnenten ist in den vergangenen Jahren leicht zurückgegangen», sagt er. Auch die Inserate-Akquise sei schwieriger geworden. «Ich würde nicht von einem Inserate-Einbruch sprechen, aber die Werbeeinnahmen sind geringer als früher.»
Ein wichtiges Ziel für die nächsten Jahre ist denn auch, die Abo- und Inserate-Zahlen zu stabilisieren oder wieder leicht zu erhöhen. Dies wollen die Verantwortlichen unter anderem mit einem Ausbau des digitalen Angebots erreichen. Denn bis anhin gibt es keinen Online-Auftritt der Zeitung mit deren Inhalten, sondern lediglich eine digitale Ausgabe. «Wir wollen noch aktueller und schneller werden», sagt der Geschäftsführer. Dies jedoch in einem Rahmen, in dem die gedruckte Zeitung nicht konkurrenziert werde; der Inhalt und die Art der Berichterstattung bleiben. «Die Menschen, die ein Abonnent haben, sollen sich in der Zeitung wiederfinden», so Chapuis. «Das ist wichtig für uns und für die Verankerung, davon leben wir.»
Christof Chapuis und der Chefredaktor sind sich einig: Den Appenzeller Volksfreund wird es auch in zehn Jahren noch geben. «Wir werden weiterhin das Leben in Innerrhoden und der Umgebung abbilden, wie es sonst niemand tut», sagt Manzin. «Auf welchen Kanälen und Medien das sein wird, ist eine Entdeckungsreise, auf die wir uns nun vorbereiten.»
Die grösste Herausforderung ist für ihn zurzeit, junge, talentierte Journalisten in der Region zu finden. «Lokaljournalismus hat einen schlechten Ruf, dabei könnte er die Königsdisziplin sein. Denn: Demokratie lebt oder stirbt im Lokalen.»
Text: Marion Loher
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer