Medienlandschaft Ostschweiz

Der Blätterwald lichtet sich

Der Blätterwald lichtet sich
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Das grösste Ostschweizer Medienhaus ist Teil des nationalen Players CH Media und wird von Aarau aus kontrolliert. Trotz jahrzehntelanger Medienkonzentration gibt es neben dem Platzhirsch eine durchaus noch lebendige Medienlandschaft. In diesem Schwerpunkt werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige exemplarische Ostschweizer Medien unter die Lupe genommen.

Wo soll man mit einer Mediengeschichte beginnen? Sind prähistorische Höhlenzeichnungen vielleicht die erste Nachrichtenübermittlung der Menschheit? Eine Zäsur war jedenfalls die Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern von Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg, um 1450. Damit schuf er die Grundlage für die ersten Massenmedien. Im Grundsatz funktionierte diese Technologie für nächsten 500 Jahre. Überall in Europa entstanden lokale Zeitungen, die meistens aus einer politisch-ideologischen Motivation heraus gegründet wurden, aber früh schon kommerzielle Anzeigen transportierten.

Auch in der Ostschweiz etablierte sich eine Zeitungslandschaft mit vielen Titeln, die in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts dann zunehmend in Bewegung geriet. Lange bevor neue Player das Internet nutzten, um in der Ostschweizer Medienlandschaft mitzumischen.

Ein bunter Blätterwald

«Noch vor 30 Jahren war die Ostschweizer Zeitungslandschaft ein bunt durchmischter Blätterwald», formulierte es Reto Voneschen kürzlich im Magazin Saiten. Im Artikel «Zuerst ein Erdbeben, dann ein schleichender Abbau» betrachtet Voneschen die letzten 30 Jahre Mediengeschichte auf dem Platz St.Gallen – der 2022 pensionierte Lokaljournalist war als langjähriger Redaktor des Tagblatts wie zuvor der Ostschweiz und der Agentur SPK selbst ein markanter Teil davon.

In seinem Text beschreibt Voneschen unter anderem die Vorgänge, die 1997/98 die Grundstruktur für die heutige Medienlandschaft legten – ein «Zeitungsdomino», wie er es nennt. «Ursache der überraschenden Fusionswelle, die dem St.Galler Tagblatt per Anfang 1998 zu seiner bis heute dominierenden Stellung verhalf, war die schlimmste wirtschaftliche Talfahrt seit dem Zweiten Weltkrieg.»

Der gemeinsame Inseratepool der drei Zeitungen Die Ostschweiz, Appenzeller Zeitung und Wiler Zeitung/Flawiler Volksfreund verzeichnete einen empfindlichen Ertragsrückgang. Ein Versuch der Druckerei Flawil AG, die Zeitungen näher zusammenrücken zu lassen, scheiterte, also lehnte sie sich mit Wiler Zeitung/Flawiler Volksfreund beim Konkurrenten St.Galler Tagblatt an. Die Konsequenz: «Wie Dominosteine fielen die Appenzeller Zeitung und Die Ostschweiz»: Die Appenzeller Zeitung klopfte ebenfalls beim Tagblatt an, Die Ostschweiz wurde eingestellt.

Weiteren Blättern wie dem Rheintaler und dem Toggenburger, die von der Appenzeller Zeitung Mantelseiten bezogen hatten, blieb als Partner ebenfalls nur das St.Galler Tagblatt. «Dieses wurde nicht nur auflagenmässig gestärkt, sondern stand in einigen Regionen, darunter in der Kantonshauptstadt, plötzlich auch ohne direkte Konkurrenz da», schreibt Voneschen.

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Der letzte redaktionelle Ausbau

Das Tagblatt wurde zu jener Zeit redaktionell ausgebaut; 2008 wurden ein Newsroom und eine eigene Onlineredaktion eingeführt. Nach einem Relaunch hatten die Abonnenten bis zu sieben Zeitungsbünde im Briefkasten: Vier Bünde mit Hintergrund und Meinungen, Inland, Ausland, Wirtschaft und Sport, ein oder zwei Lokalbünde (dem Stadtteil wurden die früher eigenständigen Ausgaben Gossau und Rorschach eingegliedert) und schliesslich als tägliches Magazin das neue Ressort Focus mit Kultur, Gesellschaft und Wissen in einem eigenen Layout. Ein opulentes Angebot, das schon 2009 ein erstes Mal zurückgestutzt wurde.

Speziell am seinerzeitigen Tagblatt-Konstrukt war, dass etliche Regionalausgaben (Appenzell Ausserrhoden, Wil,  Toggenburg) anderen Unternehmen gehörten und erst mit der Zeit übernommen oder konsolidiert werden konnten. Bis heute ein unabhängiger Titel im Tagblatt-Verbund ist der Rheintaler (im Besitz der Galledia).

Seit 1991 von der NZZ kontrolliert

Das St.Galler Tagblatt war seit 1991 bereits Teil der NZZ-Mediengruppe, die ihre regionalen Aktivitäten 2017 in das Joint Venture CH Media mit den AZ Medien einbrachte. Das dominante Ostschweizer Medienhaus umfasste neben der Tageszeitung mit Regionalausgaben in drei Kantonen auch den Fernsehsender TVO, Radio FM1 und die Onlineplattform FM1 today. Der Druck von Gratiszeitungen wie dem Anzeiger und auch der 2013 gegründeten Ostschweiz am Sonntag wurde zu jener Zeit eingestellt. Die überregionale Redaktion des Tagblatts wurde verkleinert und mit jener der Luzerner Zeitung zusammengelegt; wenig später, unter der Regie von CH Media, wurde die Mantelredaktion gänzlich aufgelöst. Alle überregionalen Inhalte werden heute in Aarau redigiert.

«Einzelne NZZ-Aktionäre rümpften die Nase, dass die Goldküste gegen Apfelplantagen eingetauscht werde.»

Tagi schnappt Thurgauer Zeitung

Aus Ostschweizer Sicht ein bedeutender Eintrag in der jüngeren Mediengeschichte ist die Integration der Thurgauer Zeitung in den Tagblatt-Verbund. Schon 2005 schien dieses Ziel des St.Galler Medienhauses zum Greifen nahe, doch die Tamedia (Tages-Anzeiger) schnappte der NZZ den Frauenfelder Verlag Huber & Co vor der Nase weg. 2010 dann kam es zum grossen «Zeitungstausch»: Die NZZ überliess der Tamedia ihre Anteile an Zürcher Regionalzeitungen wie der Zürichsee-Zeitung (mit der Linth Zeitung als Ausgabe in den st.gallischen Bezirken See und Gaster) oder dem Zürcher Oberländer. Tamedia gab der NZZ ihrerseits die Thurgauer Zeitung, die in den Jahren zuvor de facto als Regionalausgabe des Winterthurer Landboten erschien.

Einzelne NZZ-Aktionäre rümpften zwar die Nase, dass «die Goldküste gegen Apfelplantagen» eingetauscht werde; für die Tagblatt-Medien und damit auch die NZZ war der ökonomische Mehrwert jedoch offensichtlich. Per 2011 konnte die TZ in den Tagblatt-Verbund integriert werden, dessen Auflage von zuvor unter 100´000 auf über 125´000 Exemplare stieg.

Die Linth Zeitung entstand 1993 aus der Fusion der freisinnigen Rapperswiler Die Linth und dem katholisch-konservativen St.Galler Volksblatt aus Uznach; die Zürichsee-Zeitung war mit einer Minderheitsbeteiligung Geburtshelfer. Schliesslich boten sich die beiden Blätter über hundert Jahre lang einen herzlichen Kulturkampf.

Ein Gegner blieb  der neuen Linth Zeitung: Anfänglich stand sie in scharfer Konkurrenz zu einem Blatt basierend auf dem ehemaligen Gasterländer, der von der heutigen Somedia zu Dumpingpreisen in den Markt gedrückt wurde. Aus der Linth Zeitung wurde später die Zürichsee-Zeitung Ausgabe Obersee, inzwischen gibt wieder eine Linth Zeitung – als gemeinsames Produkt von Somedia und Tamedia.

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Kleine Zeitungen in grosser Dichte

Auch im Kanton Thurgau gab es lange Zeit so etwas wie einen «bunten Blätterwald». Eine prägende Figur in der vielfältigen Thurgauer Zeitungslandschaft war der 2012 verstorbene Verleger Paul Ruckstuhl. Er druckte schon anfangs der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts die Tageszeitungen Thurgauer Tagblatt, Thurgauer Volksfreund und Schweizerische Bodenseezeitung.

Die Bodenseezeitung aus Romanshorn versuchte es dann aber ohne Ruckstuhls Thurgauer Pool; sie wurde später von der Zollikofer AG, also dem St.Galler Tagblatt, übernommen und bis 2010 als Regionalausgabe geführt und dann in die Thurgauer Zeitung integriert. 1988 war Ruckstuhl Teilhaber des neuen Verlags Thurgauer Tagesspiegel AG, der einen Mantelteil für Thurgauer Volksfreund, Thurgauer Tagblatt, Thurgauer Volkszeitung und Bischofszeller Nachrichten sowie für das Neue Wiler Tagblatt produzierte. Dessen Verlagsrechte wurden 1997 an die Druckerei Flawil AG veräussert, die Herausgeberin der Wiler Zeitung. Im Jahr 2000 bildeten der Tagesspiegel und die Huber & Co. AG Frauenfeld die gemeinsame Thurgauer Medien AG, in die alle Zeitungstitel, also auch die Thurgauer Zeitung, eingebracht wurden. Das Thurgauer Tagblatt, der Thurgauer Volksfreund und die Thurgauer Volkszeitung gingen in der TZ auf. 2004 stieg die Tagesspiegel-Seite aus, das alleinige Sagen hatte nun Huber & Co. AG. Deren Aktionäre allerdings verkauften die Frauenfelder Firma bereits 2005 an die Tamedia. Leer ging vorerst die NZZ-Mediengruppe aus, mit der Huber & Co. bereits verschiedene Varianten des Zusammengehens durchgespielt hatten; es gab sogar eine gedruckte Nullnummer einer Thurgauer Zeitung mit Tagblatt-Mantel.

Arbeiter-Zeitungen gingen ein

Sowohl in St.Gallen als auch im Thurgau erschienen im 20. Jahrhundert je eine Arbeiter-Zeitung. Die Thurgauer AZ wurde im «roten Arbon» redigiert; sie wurde in den Achtzigerjahren in eine Wochenzeitung umgewandelt, die auch nicht von Dauer war. Die meisten AZ-Titel in der Schweiz waren zu jener Zeit faktische SP-Blätter und publizistisch aus der Zeit gefallen. Zwar gab es Bestrebungen, Synergien zu nutzen; beispielsweise wurden gemeinsame Mantelseiten publiziert. Der Inserate-Ertrag war aber stets überschaubar, die ökonomischen Perspektiven fehlten.

Die in St.Gallen produzierte Ostschweizer AZ, 1911 als Volksstimme gegründet, wurde 1996 von SP und Gewerkschaften aufgegeben. Immer wieder sinnierten in St.Gallen linke Kreise darüber nach, ob das überraschende Aus der Ostschweiz nur ein Jahr danach der AZ mit einer Auflage von weniger als 2000 Exemplaren hätte Auftrieb geben können – wenn sie denn bis dahin erschienen wäre.

Dennoch gibt es heute ein linkes Medium in der Ostschweiz. Das oben zitierte, in St.Gallen produzierte, elfmal jährlich erscheinende Kulturmagazin Saiten hat auch eine ausgeprägte politische Ader und kommentiert das Ostschweizer Geschehen aus einer dezidiert linken Perspektive.

Wirtschaftsportal  ZbW  

Ableger des nationalen Radios

Die landesweit sieben Regionaljournale führte das damalige Radio DRS 1978 im ersten Programm ein, das auf UKW während dieser Zeit nach Regionen gesplittet wurde – heute können digital überall alle Regionaljournale empfangen werden. Die in St.Gallen ansässige Regionalredaktion berichtet in ihren fünf kurzen Sendungen täglich über wesentliche Vorgänge in den Kantonen St.Gallen, Thurgau, beiden Appenzell und Glarus. Im eigenen Selbstverständnis sei das Regionaljournal «in Regionen, wo es de facto oft nur noch ein privates Medienunternehmen gibt, eine wichtige zweite Stimme und Garant der Medienvielfalt», heisst es auf der SRF-Website. Allerdings gehören Formate wie Kommentare und Einordnungen nicht ins Standardrepertoire. Für die Redaktion St.Gallen wird ein immerhin 16-köpfiges Team ausgewiesen, davon gehören aber zwei Journalisten gleichzeitig der sechsköpfigen Redaktion Graubünden in Chur an.

Blocher als Verleger

Oft etwas unter dem Radar fliegt das Unternehmen Swiss Regio Media, ein Verbund von 24 Gratis-Anzeigern, der im Zusammenschluss mit weiteren sieben Titeln für Werbekunden eine Million Kontakte verspricht. Der Verbund entstand um die Wiler Nachrichten der Familie Zehnder, dazu gehören unter anderem auch die St.Galler Nachrichten und etliche weitere Titel in den Kantonen St.Gallen und Thurgau. 2017 hat Christoph Blocher das Unternehmen mit der damaligen BaZ-Holding, der heutigen Zeitungshaus AG, übernommen. Der SVP-Übervater ist damit auch einer der reichweitenstärksten Verleger des Landes.

Transparenzhinweis: Autor Philipp Landmark war von 2006 bis 2017 für die Tagblatt-Medien tätig, von 2009 bis 2016 als Chefredaktor des St.Galler Tagblatts.

Text: Philipp Landmark

Bild: Pixabay

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