«Schweiz ist kein ÖV-Land, sondern eine Auto-Nation»

Text: Fabian Alexander Meyer
Den Anfang machte Roland Ochsner, CEO von Bus Ostschweiz. Mit dem Fahrplanwechsel kam letztes Jahr auch eine deutliche Verbesserung sowie ein dringend benötigter Ausbau ins Rheintal.
Clevere Lösungen für die Fahrgäste seien wichtig. Und der Kundenstamm müsse erweitert werden. Nicht zuletzt hierfür war auch dieser Abend gedacht.
Klaus Brammertz, AGV-Präsident, blies in das gleiche Horn. Er berichtete aus Sicht der Wirtschaft. «Im Rheintal haben wir viele Grenzgänger. Allen voran natürlich das Vorarlberg, aber auch Deutsche Staatsbürger kommen bei uns zur Arbeit.» Daher seien die Arbeitgeber in der Pflicht, «den Arbeitnehmern das ÖV-Angebot näherzubringen. Schliesslich wurde dieses ja ausgebaut und erweitert.»
ÖV als Dauerbrenner-Thema
Auf das kurze Spiel von Brammertz folgte die Geschäftsführerin des Vereins St.Galler Rheintal: Sabina Saggioro. «Die Umgebung ist für einen solchen Anlass sehr ungewohnt», sagte sie und meinte damit die Tatsache, dass der Dialog im Busdepot von Bus Ostschweiz in Altstätten stattfand. «Aber zurück zum Thema. Wir sind alle auf einer Reise, die vor 20 Jahren begann.» Das Thema ÖV ist ein Dauerbrenner im Rheintal.
Das merkte man besonders in Altstätten, als immer wieder Figuren des Gaiserbähnli gestohlen wurden. «Das führte dazu, dass wir Schlüsselanhänger mit Gaiserbähnlis aufgehängt und zum Mitnehmen angeboten haben. Give Away statt Take Away.» Der ÖV beschäftigt das Rheintal also sehr. Seien es Langfinger oder Pendler.
Kompetenzen ausspielen
Darauf folgte ein Vortrag von Regierungsrat Beat Tinner. «Die Zukunft des ÖV beginnt im Rheintal. Wir im grenznahen Raum haben viele Grenzgänger, wodurch ebendiese eine grosse Anspruchsgruppe bedienen.» Daher lege man den Fokus auf ebendiese Anspruchsgruppe. «Hier gibt es besonders viel Potenzial.»
Im Rheintal seien bereits jetzt die grössten Ausbauvorhaben abgeschlossen, weshalb man sich auf die Bespielung und die Optimierung der bestehenden Strecken fokussieren könne. Künftig sollen St.Gallen, Vorarlberg und auch der Thurgau noch besser bedient werden, was auch der Wirtschaft zugute kommt
Ein Beispiel: «Derzeit läuft eine Studie, wie wir zwischen Winterthur und St.Margrethen drei Minuten Zeit gewinnen können. Die Achse zwischen St.Margrethen und St.Gallen ist besonders vielversprechend.» Noch steckt das aber in den Kinderschuhen. Diese Zeitersparnis würde letztendlich nicht nur Kosten sparen, sondern auch positive Stimmung unter den Arbeitnehmern verbreiten.
«Es braucht gute Lösungen»
Michael Pfirter, Geschäftsführer von Ostwind, führte aus: «In der Ostschweiz befinden wir uns in einer sehr ländlichen Region mit einem Streckennetz von rund 4000 Kilometern.» Dieses zu bespielen, sei nicht einfach. «Es braucht einen einfachen Zugang und gute Lösungen für den ÖV.»
Dabei geriet man doch gerade erst in die Medien; so sollen die Entwertungskarten abgeschafft werden. Angst davor hat man beim Ostwind allerdings nicht. «Wir sehen das relativ entspannt, da wir bereits jetzt digitale Lösungen anbieten.»
Den ÖV näherbringen
Digital ging es weiter. So sei auf der Website ein «Productfinder» installiert, mit welchem die Kunden komplett ohne persönliche Beratung das richtige Abo finden sollen.
«Zudem bieten wir die sogenannten Entdeckungsreisen an. Schulen können sich ein Set kaufen und den Kindern damit spielerisch beibringen, wie man sich im ÖV bewegt. Und um die Strecke tatsächlich abzufahren, sind auch Tickets dabei.» All das diene dazu, den Menschen das Konzept ÖV näherzubringen.
Und wie können sich Arbeitgeber das ÖV-Netz zunutze machen?
Das weiss Marc Stoffel, Mitgründer von 42hacks. «Ich bin ein ganz schlimmer Finger. Lange Zeit bin ich ausschliesslich Auto gefahren und Flugzeug geflogen. ÖV kam für mich nicht in den Sinn.» Als er sich dann aber überlegt habe, was er wohl seiner Tochter sagen würde, wenn die Klimakrise noch schlimmer werde, setzte er sich fortan für den ÖV ein.
«Die Schweiz ist keine ÖV-Nation, sondern ein Autoland. Daher müssen wir uns überlegen, wie wir diejenigen, die noch im Auto statt im Bus sind, vom ÖV überzeugen.» Um dies zu ermitteln, spannte sein Unternehmen mit Swisscom zusammen und wertete Handydaten aus.
«Dadurch konnten wir feststellen, wo sich die Hotspots befinden und mit welchen Verkehrsmitteln die Leute unterwegs sind. Ganz nach dem Pareto-Prinzip können wir hier den Hebel ansetzen.»
Auch interessant
Mobilität attraktiver machen
Ein gutes Beispiel ist die Firma Bühler. Sie überarbeitete das Mobilitätskonzept und konnte schon kurz darauf verzeichnen, dass der Anteil an Pendlern um 30% zugenommen hat.
«Wenn wir an den Hotspots die Hebel ansetzen, können wir fortlaufend die Anzahl der Pendler erhöhen.» Dafür müssen allerdings auch die Firmen mitmachen und sich eventuell umstellen. Beispielsweise mit dem Arbeiten im Zug oder der Vergabe von Velos für die letzte Meile vom Bahnhof bis hin zur Firma.
«Derzeit kocht jeder noch sein eigenes Süppchen. Also der ÖV, die Firma und die wechselwilligen Autofahrer. Könnten wir hier alle zusammenspannen und ein einzigartiges Konzept für jede Firma ausarbeiten, würde dies die Mobilität attraktiver machen.»
Dies könnte beispielsweise so aussehen, dass die Firma den Arbeitgebern erlaubt, im Zug zu arbeiten, Fahrräder zur Verfügung stellt, Shuttle-Busse organisiert, etc. Es gibt in dem Sinne keine richtige Vorgehensweise, sondern nur eine, die auf das Unternehmen und dessen Bedürfnisse passt.
Tickets und Eco-Points
Ein gutes Beispiel hierfür ist die Firma Blum aus Vorarlberg. Sie hat bereits ein Mobilitätskonzept umgesetzt. Katharina Schön, Projektleiterin Nachhaltigkeitsmanagement von Blum, sagte dazu: «Wenn ich will, dass sich Menschen verändern, müssen sie das von sich aus entscheiden.»
Daher schubste man die Mitarbeiter als Arbeitgeber einfach in die richtige Richtung, indem «wir ihnen die ÖV-Tickets bezahlen und wir bereits im ersten Monat ÖV-Schnupperabos beilegen.» Zusätzlich gibt es auch Eco-Points. «Wer mit dem ÖV zur Arbeit kommt, kriegt Punkte, die gegen Preise oder Spenden eingetauscht werden können.
Anschliessender Hackathon
Um die ganzen besprochenen Punkte in die Tat umzusetzen, wurden sodann mehrere Gruppen gebildet. Gemeinsam bauten die Gruppen aus Legosteinen verschiedene Figuren zu verschiedenen Themen und bauten diese abschliessend zu einem grossen «Mobilitätskonzept» zusammen. Dadurch wurden die Denkprozesse und das kreative Finden einer Lösung angeregt.
Der Gewinner am Schluss gewann Anerkennung. Dabei wurden Punkte aufgeworfen wie beispielsweise ein Shuttlebus, Drohnen, die die Mitarbeiter zur Arbeit bringen, ein Metro-Anschluss direkt an die Firma und noch vieles mehr. Wie realistisch dies jetzt ist, sei dahingestellt. Aber auf jeden Fall verliessen die Führungskräfte an diesem Abend den Vortrag mit neuen Ideen im Kopf. Und vielleicht wird die Eine oder Andere in die Tat umgesetzt.