Gast-Kommentar

Null Zins

Null Zins
Alessandro Sgro
Lesezeit: 4 Minuten

Sie hat es wieder getan: Die Schweiz. Nationalbank hat jüngst ihren Leitzins erneut überraschend um weitere 25 Basispunkte auf 1,25 Prozent gesenkt. Die Zinswende nach unten ist eingeleitet – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Folgen bald wieder Negativzinsen und was bedeutet die Entwicklung für die Anlegerinnen und Anleger? Antworten hat Alessandro Sgro in der LEADER-Finanzkolumne «Inside financial markets».

Text: Alessandro Sgro, Chief Investment Officer Cronberg AG

Es ist noch nicht lange her, konnte die in vielerlei Hinsicht ungesunde Phase der Negativzinsen beendet werden. Im Juni 2022 erhöhte die Schweizerische Nationalbank (SNB) nach über 7 Jahren erstmals wieder ihren Leitzins – von -0.75% auf -0.25%. Danach folgten im Schnellzugstempo bis im Juli 2023 vier weitere Leitzinserhöhungen auf 1.75%.

Diese Zinsschritte erfolgten nicht etwa aus Goodwill, um den Sparerinnen und Sparer endlich wieder einen positiven Zins oder den Anlegerinnen und Anlegern höhere Obligationenrenditen bieten zu können. Der Grund der geldpolitischen Straffung lag – wie hinlänglich bekannt – in den weltweit historisch stark gestiegenen Inflationsraten. Sie galt es rasch wieder in den Griff und in den Bereich der nachhaltigen Preisstabilität zu bekommen. Der Weg dorthin war vehement. Starke Richtungsänderungen mögen Anlegerinnen und Anleger nicht.

Hier spielt einmal mehr auch die Psychologie. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Verändert sich etwas im System, irritiert das und kann zu grosser Verunsicherung oder gar Panik führen. Gerade wenn es ums eigene Geld geht, kommt die Existenzangst. Weil der Zins in der Bewertung von nahezu allen Anlageklassen die zentrale Rolle spielt, führte dies im Jahr 2022 zu einschneidenden, historisch starken Bewertungskorrekturen. Menschliche Reaktionen verstärkten die negative Bewegung. Manch einer zeigte sich geschockt und enttäuscht ab der negativen Entwicklung. Doch auch von diesem Schock erholten sich die Finanzmärkte wie meist in der Geschichte erstaunlich rasch.

Mit Zinsen über dem Nullpunkt boten sich auch wieder mehr Möglichkeiten in der Gestaltung der Wertschriftenportfolios. Das zeigt sich auch in der quartalsweise durch die SNB erhobenen Daten zur Finanzierungsrechnung der Schweiz. Die Straffung der Geldpolitik in den Jahren 2022 und 2023 führte bei den privaten Haushalten in der Schweiz zu Umschichtungen der Sichteinlagen (Konti) zu Termingeldanlagen sowie Obligationen. So kauften die privaten Haushalte im Jahr 2023 kontinuierlich in allen Quartalen Schuldtitel im Wert von 20 Mrd. Franken. Das ist der höchste Betrag seit Beobachtungsbeginn dieser Statistik im Jahr 1999. Bei Aktien und anderen Anteilsrechte ist die Entwicklung im Jahr 2023 uneinheitlich.

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Neue Richtungsänderung mit Folgen

Mit den zwei Zinsschritten der SNB nach unten folgt nun erneut eine Richtungsänderung. Sie führt dazu, dass einerseits die Zinssätze der Sparkonti, die von den Banken ohnehin nur zögerlich und mit einem Abschlag zum Leitzins erhöht wurden, wieder sinken und andererseits Obligationen ebenfalls wieder mit einem tieferen Coupon als noch vor einem Jahr emittiert werden. Gerade Letzteres schränkt den Spielraum in der Ausgestaltung eines robusten Wertschriftenportfolios wieder spürbar ein.

Obligationen sind aus zwei Gründen wichtig. Erstens leisten sie einen Renditebeitrag und zweitens – in der Praxis der wichtigere Grund – unterstützen sie eine bessere Steuerung des Portfoliorisikos. Diesen Diversifikationseffekt zeigten sie unter anderem im letzten Börsenjahr wieder eindrücklich. Als an den Aktienmärkten kurzfristige Preiskorrekturen erfolgten, wirkten Obligationen dämpfend.

Viele Anlegerinnen und Anleger fragen sich nun zu Recht, was die jüngste Zinswende nach unten bedeutet? Folgen weitere Zinsschritte gegen unten? Kommt es bald wieder zu Negativzinsen? Die SNB selbst erachtet die aktuellen monetären Bedingungen als angemessen, um mittelfristig Preisstabilität zu gewährleisten. Die Wahrscheinlichkeit, dass in diesem Jahr nochmals ein Zinsschritt nach unten folgt, besteht, ist aber eher tief. Ein erneutes TINA-Regime (There is no alternative to equities – also die Alternativlosigkeit von Aktien) ist noch nicht eingetreten. Trotz des tieferen Renditeniveaus bleiben Obligationen als Stabilisator im Portfolio ein wichtiger Baustein.

Das Fenster für höhere Renditen hat sich mit der Richtungsänderung der SNB zwar schneller wieder geschlossen als erhofft. Mit dem aktuellen Zinsniveau bleibt es allerdings noch einen kleinen Spalt offen. Jedoch zeigen die jüngsten Entwicklungen die Bedeutung des richtigen Mix für den langfristigen Anlageerfolg.

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Welcher Mix passt zur persönlichen Ausgangslage?

Neben Obligationen existieren weitere Anlageklassen, in die investiert werden können. Jede Anlageklasse hat ihre eigenen Risiko-/Rendite-Eigenschaften und ihre eigene Funktion im Portfolio. Ein robustes Portfolio besteht klassisch aus Obligationen, Aktien, Immobilien und Gold. Je nach Risikofähigkeit und -bereitschaft werden die einzelnen Anlageklassen entsprechend stärker oder weniger stark gewichtet.

Sofern es die eigene Risikofähigkeit zulässt, bieten die Finanzmärkte auch für konservative Anleger Möglichkeiten, langfristig gegenüber dem reinen Kontosparen einen Mehrwert zu generieren. Denn eine ausgewogene Anlagestrategie, die mehrere Anlageklassen berücksichtigt, kann ebenso robust sein wie ein reines Obligationenportfolio, jedoch eine höhere Performance ermöglichen. Durch die Kombination verschiedener Anlageklassen profitieren Anleger von diversifizierten Renditequellen und reduziertem Risiko.

Zinseszinseffekt: Ausgewogene Anlagestrategie bietet gegenüber dem Konto-Sparen einen deutlichen Mehrwert
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Welcher Mix zur persönlichen Situation und den Lebenszielen passt, ist so vielfältig wie es unterschiedliche Wünsche und Ziele gibt und kann nicht allgemein beantwortet werden. Doch die Frage nach dem Mix ist für den langfristigen Anlageerfolg und damit die Erreichung der Ziele die wichtigste und bedingt eine seriöse Beratung und Begleitung im Strategieprozess. Guter Rat: Genügend Zeit investieren sowie eine seriöse und kompetente Begleitung auswählen.

Ob die Zinsen weiter gegen null oder gar unter null tendieren, erscheint aktuell eher unwahrscheinlich. Klar ist: Langfristig zahlt sich eine robuste, ausgewogene Anlagestrategie gegenüber dem klassischen Kontosparen aus.

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