Ist der Thurgau bald eine Klima-Knautschzone?
Text: Christof Lampart
Während Ingenieure es zunehmend gewohnt sind, die immer häufiger auftretenden Naturkatastrophen und Wetterextreme in ihre Planungen miteinzubeziehen, ist es mit dem Bewusstsein für die Dringlichkeit eines klimafreundlichen Bauens und Planens bei den Bauherren, Architekten und Planern noch nicht allzu weit her.
Deshalb lancierte der SIA Thurgau unter der Federführung von Roland Hollenstein nun die vierteilige Vortragsreihe «Klima und Bauen», die am Montag bei der Raiffeisenbank in Weinfelden Premiere hatte.
Während Sharon Satz von der kantonalen Koordinationsstelle Klima darüber informierte, wie sich Extremereignisse im Thurgau entwickeln und welche Auswirkungen diese aufs Bauen haben könnten, sprach Dörte Aller, Verantwortliche für den Bereich Klima/Naturgefahren bei der SIA Schweiz, übers Entwerfen und Planen mit Regen, Hagel und Hitze.
Bis zu 32 Hitzetage im Jahr
Sharon Satz betonte, dass der Bau «einen grossen Hebel» bezüglich des Einsparens von CO2-Emissionen besitze, seien doch 28 Prozent davon auf die Bau- und Gebäudewirtschaft zurückzuführen. Neben einem aktiven Klimaschutz sei aber auch eine Anpassung an den Klimawandel vonnöten, «wenn wir in 40 Jahren noch gut hier leben wollen», erklärte Satz.
Scheitere die Menschheit beim Erreichen der Klimaschutzziele, so seien die Konsequenzen fatal. Denn beim ungebremsten Klimawandel stiege die Jahresmitteltemperatur im Mittelland bis ins Jahr 2060 um bis zu drei Grad Celsius an. Die Sommer würden trockener und die Häufigkeit, Intensität und Dauer von Klimaextremen nehme zu.
«Die Schweiz hätte gleich viel Niederschlag wie heute, aber dieser würde sich ganz anders übers Jahr verteilen», so Satz. Berechnungsmodelle zeigten, dass die Schweiz im Jahr 2060 sowohl am Rand eines Trockenheitsgürtels über dem Mittelmeerraum zu liegen kommen und zugleich unter dem Einfluss von Stark- und Extremniederschlägen aus Nordeuropa leiden könnte.
«Vielleicht liegt der Thurgau schon bald in einer Art Klima-Knautschzone. Wir werden dann trockene Sommer und schneearme Winter haben und bis zu 32 Hitzetage im Jahr mit 30 Grad Celsius oder mehr; heute haben wir fünf bis sechs solcher Tage im Jahr», so Satz.
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Emissionen auf null bringen
Stärkere Niederschläge und grössere Hitzeperioden würden Menschen, Tieren und der Infrastruktur massiv zusetzen, weshalb Satz anmahnte: «Die Raum- und Siedlungsentwicklung muss so gesteuert werden, dass das Risiko- und das Schadenpotenzial nicht zunimmt.»
Während beim Umsetzen der baulichen Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel der Kanton Thurgau sicherlich auch mit finanziellen Anreizen für Bauherren arbeiten werde, sah Satz beim Klimaschutz davon ab, eine Kosten-/Nutzenrechnung aufzustellen, denn «hier geht es nicht mehr um die Kosten-/Nutzenfrage, sondern darum, dass man die Emissionen auf null bringt».
Wie das gehen könnte, zeigte Dörte Aller auf. Es werde immer wichtiger, dass sich alle Bauherren, schon vor Planungsbeginn drei Fragen beantworteten: Was kann passieren? Was darf passieren? Was ist zu tun? Nur wer ein integrales Risikomanagement betreibe, werde von den zukünftig gehäuft auftretenden Wetterextremen verschont.
Aller zeigte auf, dass ein sogenanntes 300jähriges Wetterereignis bei einem Gebäude, dessen Lebensdauer auf 50 Jahre angelegt sei, eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 17 Prozent habe. Gehe man vom 100jährigen Ereignis aus, so belaufe sich die Wahrscheinlichkeit eines Ereigniseintrittes bereits bei 40 Prozent. Aller prognostizierte deshalb: «Die Anforderungen an Bauherrschaft und Nutzer werden in den nächsten Jahren steigen.»