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Die Wiedergeburt der Schweizer Schuhindustrie: Zwischen Tradition, Krise und mutigem Neuanfang

Die Wiedergeburt der Schweizer Schuhindustrie: Zwischen Tradition, Krise und mutigem Neuanfang
Aus der Kandahar-Produktion in Sennwald
Lesezeit: 4 Minuten

Die Übernahme der Traditionsmarke Kandahar durch die Kybun-Joya-Gruppe markiert einen Wendepunkt in der bedrohten Schweizer Schuhproduktion. Dank der Investitionen in moderne Technologien und handwerkliche Exzellenz hat Kandahar ihren Platz im Luxussegment zurückerobert, doch die Zukunft der Branche bleibt ungewiss.

Text: PD/stz.

Die Marke Kandahar, 1932 im malerischen Mürren gegründet, war einst ein Synonym für exklusive, warme und glamouröse Winterschuhe. Mit ihrem unverwechselbaren Stil brachte Kandahar alpine Romantik und Eleganz in die Modewelt und begeisterte Persönlichkeiten wie Charlie Chaplin und Herbert von Karajan. Schweizer Schuhe genossen weltweit einen exzellenten Ruf – ein Erbe, das mit der Zeit jedoch an Strahlkraft verlor.

Der Niedergang einer stolzen Industrie

Die Schweiz war einst weltberühmt für ihr erstklassiges Schuhhandwerk. Traditionsmarken wie Bally, Raichle und Fretz Men standen für zeitlose Eleganz, Schweizer Qualität und modischen Stil. In ihrer Blütezeit wurden jährlich bis zu fünf Millionen Paar Schuhe in der Schweiz gefertigt. Doch heute steht dieses stolze Erbe am Rande des Verschwindens, und das heimische Schuhhandwerk ist vom Aussterben bedroht.

In den 1970er-Jahren geriet die Schweizer Schuhindustrie zunehmend unter Druck. Produktionsstätten wurden ins Ausland verlagert, traditionelle Handwerkskunst verlor an Bedeutung, und das jahrhundertealte Erbe drohte zu verschwinden. Nach dem Abgang von Bally und dem Ende von Raichle mussten jüngst auch weitere Traditionsmarken wie Fretz Men (2023) ihre Türen schliessen. Kürzlich kündigte auch die renommierte Marke Künzli an, den Betrieb einzustellen.

Mit jedem verlorenen Unternehmen verblasst ein Stück Schweizer Identität und Handwerkskunst – ein tragischer Verlust für das einst so gefeierte Schuhhandwerk des Landes.

Charlie Chaplin mit der Schauspielerin Petula Clark (und Kandahar-Schuhen)
Charlie Chaplin mit der Schauspielerin Petula Clark (und Kandahar-Schuhen)

Parallelen zur Uhrenindustrie

Der Niedergang der Schweizer Schuhindustrie weckt Erinnerungen an die Krise der Uhrenbranche in den 1970er-Jahren, als Quarzuhren den Markt dominierten. Doch ein Wendepunkt folgte: Nicolas Hayek belebte die Branche mit der Einführung der Marke Swatch und führte die Schweiz zurück an die Weltspitze.

Ähnlich wie Hayek ergriff auch Karl Müller senior, Gründer von MBT (Masai Barefoot Technology), die Initiative, um das Schweizer Schuhhandwerk vor dem Aussterben zu bewahren.

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Karl Müllers Vision: Die Renaissance des Schweizer Schuhhandwerks

Nach dem Verkauf seiner Schuhmarke MBT und den dazugehörigen Fabriken in Asien mit über 5'000 Mitarbeitenden verfolgte Karl Müller eine ehrgeizige Vision: die Wiederbelebung des Schweizer Schuhhandwerks. Mit der Gründung von Kybun schuf er eine moderne Schuhproduktion, die fest in der Schweiz verwurzelt bleiben sollte.

Doch der Anfang war alles andere als einfach – die Produktionskosten überstiegen die Verkaufspreise deutlich. Ein zentraler Grund dafür lag in der aufwendigen Handarbeit, die bei vielen Schritten in der Schuhproduktion erforderlich war. Diese präzise Handwerkskunst zu erlernen, benötigte Geduld und Ausdauer, was die Suche nach qualifizierten Mitarbeitenden erschwerte.

Trotz des immensen Drucks, die Produktion zu automatisieren und Kosten zu senken, blieb Müller seinem Anspruch treu. Er investierte intensiv in die Ausbildung von Fachkräften, die auf den speziell für den Schweizer Standort entwickelten Maschinen arbeiten. Durch kontinuierliche Automatisierung der Anlagen wurde ein Niveau erreicht, das es ermöglicht, Schuhe von höchster Qualität in der Schweiz zu fertigen – und dabei das traditionelle Handwerk mit modernen Innovationen zu verbinden.

Das aktuelle Kandahar-Modell Cresta Green
Das aktuelle Kandahar-Modell Cresta Green

Rettung von Kandahar und die Wiederbelebung der Schweizer Schuhindustrie

Ein entscheidender Meilenstein für die Schweizer Schuhindustrie war die Übernahme der Traditionsmarke Kandahar durch die Kybun-Joya-Gruppe im Jahr 2021. Die Marke, die vor einer ungewissen Zukunft stand, konnte durch die Übernahme am Leben erhalten werden.

«Wir hatten das Privileg, Kandahar zu übernehmen und durch bedeutende Investitionen in Maschinen, Marketing und den Aufbau von über 80 Verkaufsstandorten in der Schweiz die Marke wiederzubeleben», erklärt Karl Müller junior, Co-CEO der Kybun-Joya-Gruppe.

Mit Flagship-Stores im renommierten Hotel Kulm in St.Moritz und im Pesko-Sportgeschäft in Lenzerheide erlangte Kandahar nicht nur neues Ansehen, sondern festigte auch ihre Position im Luxussegment.

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Eine unsichere Zukunft: Kann das Schuhhandwerk überleben?

Trotz aller Erfolge bleibt die Zukunft der Schweizer Schuhindustrie ungewiss. «Derzeit existieren nur noch zwei Produktionsstätten: eine hochmoderne Fabrik in Sennwald, wo neben Kybun auch Kandahar-Schuhe gefertigt werden, und der Betrieb von Vadret & Schneiter in Thun, der die Marken Helvesko, Lienhard und Cybrus herstellt», erläutert Claudio Minder, Co-CEO der Kybun-Joya-Gruppe.

In der Schweiz werden heute jährlich noch knapp 300'000 Paar Schuhe produziert. Das traditionelle Handwerk steht unter Druck. «Die Eigenversorgung unseres Landes ist von zentraler Bedeutung. Wir dürfen nicht versäumen, das Erbe der Schweizer Schuhproduktion weiterzuführen», ergänzt Karl Müller.

Die in Sennwald hergestellten Kandahar-Schuhe gehen nun in ihre dritte Wintersaison. Das Ziel für dieses Jahr ist, die Produktion weiter zu perfektionieren, um im kommenden Jahr die Internationalisierung in Luxus-Boutiquen weltweit voranzutreiben. Wird dieser ambitionierte Plan aufgehen, und werden Kandahar-Schuhe bald wieder auf den roten Teppichen der Welt von den grössten Filmstars und VIPs präsentiert?

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