Gast-Kommentar

Der Teddybär und die Langsamkeit

Der Teddybär und die Langsamkeit
Text: Louis Grosjean (Bild), Partner altrimo
Lesezeit: 2 Minuten

In einem gut gefüllten Leader-Alltag fehlt oft eins: Langsamkeit. Dabei ist die Abwechslung zwischen Tempo und Entschleunigung ein inniges Bedürfnis der Menschen. Louis Grosjean schaut sich in unserer Serie «LEADER-Philosophie» mit Odo Marquard an, wie wir dieses Bedürfnis erfüllen und was das mit Teddybären zu tun hat.

Ich wette darauf: Die überwiegende Mehrheit der Leader-Leserschaft sehnt sich nach Langsamkeit.

Kaum warten wir auf den Zug oder sitzen im Bus, zücken wir unser Handy. Das Wochenende ist Alternativprogramm zur Woche: «Quality Time» mit der Familie oder Freunden. Es ist aber nicht wirklich so, wie es in der Bibel steht: «Am siebten Tag sollst du ruhen.» Unser Alltag und die Freizeit sind gut gefüllt. Die Technik hilft uns dabei.

Wir brauchen es nicht zu wiederholen: Der technologische Fortschritt entwickelt sich nicht linear, sondern exponentiell. Damit entwickeln sich auch unsere potenziellen Möglichkeiten. Um ein möglichst erfülltes Leben zu führen, versuchen wir, möglichst viele dieser Möglichkeiten zu verwirklichen. Das erzeugt Stress und ein hohes Tempo. Und gerade weil wir diesem Tempo unterzogen sind, sehnen wir uns – als Ausgleich – nach Langsamkeit.

Wie kompensiert man Tempo?
Eine berührende Erklärung kommt vom Philosophen Odo Marquard (1928-2015). Im Sammelwerk «Endlichkeitsphilosophisches» geht er auf dieses Phänomen der Schnelligkeit und der Sehnsucht nach Langsamkeit ein. Einige Auszüge finde ich besonders gelungen.

«Die endlichen Menschen brauchen zum guten Leben auch Langsamkeit: alte Lebensformen, Vertrautheit, Traditionen, welche die wachsende Schnelligkeit kompensieren.»

«Ein sinnenfälliges Beispiel, wie man die eigene Langsamkeit ins Schnelle mitnimmt, liefern uns die ganz jungen Kinder. Sie – für die die Wirklichkeit unermesslich neu und fremd ist – tragen ihre eiserne Ration an Vertrautem ständig bei sich und überall mit sich herum: ihren Teddybären. Kinder kompensieren ihr Vertrautheitsdefizit durch Dauerpräsenz des Vertrauten: durch – wie Freud das nannte – ein Übergangsobjekt, beispielsweise durch ihren Teddybären.»

«Selbst die Jugendkultur, in der eine ungeheure Geschwindigkeit vorherrscht, kennt den Urlaub vom Feiern – das Flanieren, das Chillen.»

Langsamkeitserscheinungen
Jetzt sprudeln die mehr oder weniger trendigen Formen der Vertrautheit und der Entschleunigung im Geist der Leserschaft: von der Offline-Detox-Woche über Kloster-Retreats hin zu Yoga-Seminaren. Es gibt aber auch die weniger modernen Tätigkeiten: Wir Ausserrhoder kennen das Silvesterchlausen, mit der Traditionspflege, der Handarbeit und den seelenberührenden Zäuerli. Eine Bekannte von mir geht jeden Sommer auf die Alp zur gleichen Bauernfamilie. Selbsterzwungene Langsamkeit, Vertrautheit durch Ritual. Das tut der Seele gut.

Im Alltag begleiten uns eher kleinere Rituale und Objekte: die Familienbilder auf dem Pult neben dem Bildschirm, die gemeinsame Pause, das Morgenritual.

Den Teddybären bewusst mit sich führen
Langsamkeit ist eines unserer innigsten Bedürfnisse. Gerade für Leader, die einen sehr gefüllten Alltag mit ständig wechselnden Themen haben: Der Teddybär der Kinder, das Chillen der Jugendlichen gehört in die eigene Ressourcensteuerung. Als Ausgleich zur Geschwindigkeit ist es notwendig. Und mit ein bisschen bewusster Überlegung spart man sich nicht nur den Burnout, sondern auch die teure Detox-Yoga-Kloster-Kur.

Ich wünsche allen Lesern einen Sommerurlaub voller Vertrautheit und Langsamkeit. Und wenn Sie ein «Übergangsobjekt» – ob Teddybär oder etwas anderes – aus dem Urlaub mit nach Hause nehmen, ist das nicht nur schön, sondern auch philosophisch begründet.

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