Kenne deine Zielgruppe
Text: Stephan Ziegler
Raphael Schönenberger, der Fachkräftemangel müsste Ihnen als Rekrutierungsspezialist zupasskommen. Wie läuft das Geschäft?
Es ist in der Tat so, dass viele Unternehmen und speziell auch KMU in der Ostschweiz den Fachkräftemangel spüren. Dabei setzen sie sich differenziert mit der Thematik auseinander und prüfen häufiger auch die Zusammenarbeit mit einem externen HR-Spezialisten wie uns.
Wo spüren Sie den grössten Unterschied zu den Zeiten, als der Fachkräftemangel noch nicht so ausgeprägt war?
Es ist die Zeitdauer einer erfolgreichen Stellenbesetzung, die ich über alle Branchen- und Funktionsstufen betrachtet als die den grössten Unterschied ansehe. Unternehmen, und natürlich auch wir, benötigen mehr Zeit, bis eine Rekrutierung erfolgreich abgeschlossen ist. Dazu kommt: Auch das Rollenverständnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hat sich über die letzten Jahre stark verändert. Die Parteien begegnen sich zusehends auf Augenhöhe und bewerben und beurteilen einander. Damit veränderten sich auch die Rekrutierungsstrategien, wie erfolgreich Menschen für Unternehmen gefunden werden. Mit Active Sourcing gehen wir initiativ auf potenzielle Kandidaten zu und warten nicht ab, bis sich jemand auf eine Ausschreibung meldet. Ein gutes Verständnis der Zielgruppe bildet dabei die Grundlage.
Aus welchen Branchen und Berufsfeldern erhalten Sie derzeit die meisten Anfragen aufgrund von Fachkräftemangel?
Das kann ich so pauschal nicht beantworten. Der Fachkräftemangel ist branchenübergreifend existent und beschränkt sich nicht mehr auf Ingenieur- oder IT-Positionen. Auch in kaufmännischen Berufsfeldern gestaltet sich die Suche nach qualifizierten Mitarbeitenden zusehends herausfordernder.
Also anders gefragt: Wo haben Sie am meisten Mühe, geeignetes Personal zu finden?
Spezialisten-Positionen sind am schwierigsten zu besetzen. Es gibt Profile, von denen es speziell in der Ostschweiz einfach zu wenig gibt. Je kleiner die Zielgruppe, umso anspruchsvoller gestaltet es sich, die richtige Person zu finden. Führungspositionen stossen tendenziell auf grösseres Interesse auf dem Arbeitsmarkt; da erhalten wir nach wie vor viele Bewerbungen. Hier besteht die Herausforderung darin, die richtige Person zu selektionieren. Ich würde sagen, wir haben definitiv einen Fachkräfte-, aber keinen Führungskräftemangel.
Wie reagieren Unternehmen auf den Fachkräftemangel in Bezug auf Gehälter, Arbeitsbedingungen und Employer Branding?
Viele Unternehmen haben in den vergangenen Jahren grosse Investitionen in die Arbeitsbedingungen getätigt, um als Arbeit geber attraktiv wahrgenommen zu werden. Homeoffice, Teilzeit-Pensen, flexible Arbeitsstundenmodelle oder die Möglichkeit, zusätzliche Ferientage zu «kaufen», gehören in vielen Unternehmen zu einem attraktiven Anstellungsangebot. Eine isolierte Steigerung der Arbeitgeberattraktivität aufgrund des Gehalts beobachten wir selten; wir glauben auch nicht an deren langfristige Wirksamkeit. Unternehmen sollten authentisch auftreten und keine Versprechungen machen, die nicht eingehalten werden können. Dies würde zu einer erhöhten Frustration und Fluktuation führen.
Welche Rolle spielen soziale Medien und digitale Plattformen bei der Suche und Vermittlung von Fachkräften heute?
Social Media und digitale Plattformen sind heute in der Rekrutierung allgegenwärtig. Eine Rekrutierung ohne den Einsatz von Social Media haben wir schon lange nicht mehr begleitet. Allerdings ist es wie erwähnt stark von der Zielgruppe abhängig, wo wir passende Menschen für Unternehmen finden können. Es sind zusätzliche Netzwerke, die traditionelle ergänzen, aber nicht ersetzen. Als wichtiges Puzzleteil einer erfolgreichen Rekrutierung sind Social Media und digitale Plattformen somit nicht wegzudenken; als Allheilmittel würde ich sie aber nicht bezeichnen.
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Wie gehen Sie als Kader-Personalberatung mit der wachsenden Konkurrenz durch Jobbörsen, Karrierewebsites und direkte Arbeitgeberbranding-Massnahmen um?
Neue Angebote auf einem Markt zeigen, dass es eine Nachfrage nach innovativen Lösungen gibt. Wir betrachten viele Innovationen nicht als Konkurrenz, sondern als Tools, die wir einsetzen, damit wir unsere Arbeit noch besser machen können. Unsere oberste Aufgabe ist es, Menschen zusammenzubringen. Dazu braucht es immer stärkere Beratung, die menschliche Fähigkeiten erfordert.
Gibt es bestimmte Qualifikationen oder Soft Skills, die besonders gefragt sind und die Kandidaten im aktuellen Arbeitsmarkt von Vorteil sein könnten?
Ich erachte drei Soft Skills als besonders wichtig im aktuellen Arbeitsmarkt: die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, Kommunikationsfähigkeiten – und die Fähigkeit, vernetzt zu denken und Systeme zu verstehen. Die Gründe dafür sehe ich in erster Linie in der steigenden Komplexität der Aufgabengebiete.
Zum Schluss: Welchen Rat würden Sie Arbeitgebern geben, die Schwierigkeiten haben, qualifizierte Mitarbeiter zu finden und zu halten?
Viele Unternehmen haben spannende Positionen zu besetzen, die einzigartig sind und ein abwechslungsreiches Aufgabengebiet beinhalten. Dies gilt es herauszustreichen und entsprechend zu kommunizieren. Dazu bedarf es eines Zwischenschritts, sich darüber Gedanken zu machen, wer die richtige Zielgruppe ist. Zuletzt braucht es einen aktiv geführten Rekrutierungsprozess, der eine professionelle Kandidaten-Experience garantiert.
Text: Stephan Ziegler
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer