Kampf dem Fachkräftemangel

Talente wollen gefunden werden

Talente wollen gefunden werden
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Der anhaltende Fachkräftemangel macht Arbeitgeber zu Bewerbern und Arbeitskräfte zu Umgarnten. Unternehmen müssen viel mehr investieren, um offene Stellen zu besetzen, insbesondere in Recruiting 4.0, der Personalsuche im digitalen Zeitalter.

Die Schweizer Wirtschaft brummt, doch darf man sich noch vorbehaltlos darüber freuen? Der Arbeitsmarkt im Lande ist ausgetrocknet, der Import von Arbeitskraft in Verruf geraten. Vor einem halben Jahrhundert kamen in der Hochkonjunktur fast eine halbe Million Italiener in die Schweiz, James Schwarzenbach scharte mit seiner «Überfremdungsinitiative» mehr als nur nationalkonservative Kreise hinter sich. Heute spricht die SVP von der «Zehn-Millionen-Schweiz» als Schreckgespenst.

Keine Jobs mehr schaffen?

Tatsächlich wächst die Schweiz Jahr für Jahr netto ungefähr um eine Stadt St.Gallen, und unlängst erschreckte ETH-Ökonom Michael Siegenthaler in einem Interview in der NZZ mit der Aussage, dass dieser Prozess bis zu einem gewissen Grad selbstverstärkend sei. «Die Leute, die der Arbeit wegen in die Schweiz kommen, sind zum Teil hervorragend qualifiziert, haben ein hohes Einkommen und geben entsprechend Geld aus. Sie wollen wohnen, einkaufen, benötigen vielleicht Kinderbetreuung, einen Busfahrer und andere Dienstleistungen» sagte Siegenthaler, und fügte an: «Es gibt Schätzungen, dass ein sehr gut qualifizierter Zuwanderer einen oder zwei weitere nachzieht.»

Wolle man den Zuzug von Arbeitskräften substanziell bremsen, dann müsse man bereit sein, das Beschäftigungswachstum zu bremsen, erkläre Siegenthaler weiter. «Das heisst, man muss die Firmen dazu bringen, dass sie künftig zum Beispiel im Ausland und nicht mehr in der Schweiz Jobs schaffen.»

Der Gedanke ist unerhört und blieb auch nicht unwidersprochen: Schweizer Firmen, bitte schafft keine Jobs in der Schweiz? Doch bei näherer Betrachtung gibt es zumindest eine Tendenz, tatsächlich nicht mehr auf Teufel-komm-raus Arbeitsplätze zu schaffen. Insbesondere die Ansiedlungsbemühungen der öffentlichen Hand wurden dezenter und haben sich auf qualitatives Wachstum fokussiert.

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«Viele gefragte Talente sind nicht aktiv auf Jobsuche.»

Mehr Pensionierte als Nachwuchs

Aber auch bei einem gesunden, nachhaltigen Wachstum gehen der Schweiz die Arbeitskräfte aus. Weil nun Jahr für Jahr mehr Babyboomer pensioniert werden, als junge Leute in den Arbeitsmarkt eintreten, und weil viele gut ausgebildete Junge es ganz okay finden, deutlich weniger als 100 Prozent zu arbeiten.

Was schon länger etwas martialisch als «War for Talents» umschrieben wird, akzentuiert sich noch. Die Suche nach geeigneten Arbeitskräften intensiviert sich, weshalb auch die Methoden verfeinert und die Bemühungen verstärkt werden – es wird aufgerüstet. Frei nach dem Motto: Wenn da draussen im Markt nur eine Fachkraft zu haben ist, dann muss ich eben schneller und attraktiver sein als meine Konkurrenten.

Kandidaten aufspüren

Der Begriff Recruiting 4.0 fasst diese Aufrüstung zusammen und steht für konsequent digitale Rekrutierungsprozesse. Der wichtigste Schritt ist der erste: Den Kontakt mit potenziellen Kandidaten herstellen. Die Krux dabei ist: Diese Leute sehen sich nicht als Bewerber.

Das St.Galler Unternehmen KS Selection, das Talente und Spezialisten mit einer eigenen Online-Suchtechnologie aufspürt, schreibt in einem Blog-Beitrag: «Die Generation Y sucht nicht, sondern will gefunden werden! Das heisst für Unternehmen, dass sie sich aktiv auf die Suche machen und bei den Talenten und Fachkräften online präsent sein müssen.»

Deshalb muss viel mehr unternommen werden als nur die Stellenanzeige auf der eigenen Website zu platzieren und sie allenfalls in Social-Media-Kanälen zu teilen. Spezialisierte Unternehmen versuchen, mit Active Sourcing für ihre Kunden die passenden potenziellen Mitarbeiter zu finden, indem sie unter anderem Verhaltensweisen in Social-Media-Kanälen analysieren. «Viele gefragte Talente, gerade in Branchen mit Fachkräftemangel, sind nicht aktiv auf Jobsuche, sondern – wenn überhaupt – zu einem Wechsel bereit, falls sie aktiv angesprochen werden», so KS Selection.

Auch wenn ein erster Kontakt hergestellt wurde, setzen die HR-Abteilungen zunehmend digitale Tools ein. Dabei prüfen Algorithmen nicht nur, ob Bewerber die gewünschten Skills mitbringen, sondern auch, ob der «cultural fit» stimmt. Gleichzeitig will man die seltenen Kandidaten dem Unternehmen gegenüber positiv gestimmt wissen; der Bewerbungsprozess muss für sie angenehm und effizient sein, sonst werden sie vergrault. Das kann sich heute kein Unternehmen mehr leisten.

Text: Philipp Landmark

Bild: Pixabay

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