Wirtschaft

«Pragmatismus ist wichtiger als Ideologie»

«Pragmatismus ist wichtiger als Ideologie»
Alexander Hagemann
Lesezeit: 4 Minuten

Die Cicor-Gruppe aus Bronschhofen verlagert die Dünnschicht-Produktion von Ulm in Deutschland nach Wangs. Damit wird eines von insgesamt fünf Werken im «grossen Kanton» geschlossen. Woher kommt der Standortwechsel und was für Veränderungen bringt er mit sich? CEO Alexander Hagemann kennt die Antworten und hat für den LEADER extra seine Thailand-Reise unterbrochen.

Lange Zeit war es so, dass Schweizer Firmen ihre Produktionen in das nahe Ausland verlagern. Die wirtschaftliche Attraktivität war verlockend. Derzeit ist jedoch ein gegensätzlicher Trend zu beobachten. Viele Unternehmen verlagern ihre Standorte ganz oder zumindest teilweise wieder in die Schweiz. Weg vom grossen Kanton und zurück in den Wirtschaftsstandort Ostschweiz ist die Devise.

Auch die Cicor AG mit Sitz im st.gallischen Bronschhofen zieht ihre Dünnschichtproduktion aus dem deutschen Ulm wieder ab und legt sie in der Ostschweiz in Wangs zusammen. Die anderen vier deutschen Standorte mit insgesamt rund 400 Mitarbeitern bleiben erhalten. Wie kommt dieser Gedankenwechsel? CEO Alexander Hagemann kennt die Antworten.

«Hidden Champions prägen den Erfolg von Cicor.»

Hohe Investitionen in der Schweiz bündeln

«Cicor ist der europäische Marktführer für High-end-Substrate, die mit der sogenannten Dünnschichttechnologie hergestellt werden», erklärt er. Diese Technologie spiele unter anderem für Anwendungen in der Medizintechnik eine grosse Rolle und sei wortwörtlich «matchentscheidend», um die Worte von Hagemann zu benutzen.

«Man denke beispielsweise an Implantate zur Neurostimulation oder an Geräte für hochauflösende Bildgebung. Hierfür sind hohe Investitionen erforderlich, die wir zukünftig in der Schweiz bündeln.» So begründet Hagemann den Standortwechsel, betont aber gleichzeitig, dass «die Herausforderungen, die diesen Schritt notwendig gemacht haben, ausschliesslich betrieblicher und strategischer Natur sind. Sie hingen nicht vom Standort ab.» Durch die Zusammenlegung werde des Weiteren auch die Flexibilität gesteigert und durch die besser integrierten Abläufe könne den Kunden eine nochmals gesteigerte Lieferzuverlässigkeit geboten werden. Da die Cicor ein Hightech-Unternehmen ist, haben politische Effizienz, Energiepreise und Regulatorien keinen Einfluss auf die Entscheidung zum Umzug gehabt. Der Energieeinsatz sei niedrig und es habe auch keine Probleme mit dem Einhalten der Regulatorien gegeben. «Wir betreiben auch in Zukunft vier Betriebsstätten in Deutschland mit über 400 Mitarbeitern und sind sehr zufrieden mit der Performance und dem Wachstum dieser Standorte», klärt Hagemann weiter auf.

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«Die Schweiz hat fast alles richtig gemacht.»

Von der Schweiz in die Welt

Dies wirft aber die Frage auf, warum dann überhaupt gewechselt wurde; schliesslich scheint am bestehenden Standort ja alles bestens zu funktionieren? «Nun, die Ostschweiz verfügt über wahre Hidden Champions, die mit Fleiss und Erfindergeist über viele Jahrzehnte ihre Stärke im Weltmarkt aufgebaut haben. Das prägt die Kultur und fördert auch den Erfolg von Cicor.» Auch der Flughafen und damit das Tor zur Welt sowie zur weltweit drittgrössten Volkswirtschaft schaffen Absatzmärkte, von denen die hiesigen Unternehmen profitieren. «Das waren Gründe, die für einen Standortwechsel gesprochen haben.»

Die Cicor ist mit diesem Gedanken beileibe nicht allein. Ein Blick in den LEADER und andere renommierte Branchenblätter zeichnet ein klares Bild: Die Unternehmen wollen vom Ausland zurück in die Schweiz.

Ostschweiz präsentiert sich im besten Licht

Diese Aufbruchstimmung ist aber kein Grund zur Sorge – und auch wenn es in Deutschland derzeit gerade drunter und drüber geht (man denke an den Bruch der Ampel-Regierung und die Entlassung von Finanzminister Christian Lindner), solle man als Unternehmer keine voreiligen Schlüsse ziehen. «Lassen Sie sich als Unternehmer von der schlechten Stimmung nicht herunterziehen. Deutschland ist und bleibt einer der führenden Produktionsstandorte und ich warne vor übereilten Schlüssen.»

Und dennoch kann sich kaum jemand der Strahlkraft der Ostschweiz erwehren; unser Wirtschaftsstandort präsentiert sich wie ein frisch poliertes Auto. Das kommt nicht von ungefähr. «Die Schweiz hat in den vergangenen Jahrzehnten fast alles richtig gemacht. Wir haben exzellente Bildungseinrichtungen und Infrastruktur, eine effiziente Verwaltung und eine gute Sozialpartnerschaft.»

Andere Volkswirtschaften können dies nicht bieten – daher sei die Schweiz mit dem Wirtschaftsstandort Ostschweiz sehr attraktiv. «Bei uns zählt Pragmatismus mehr als die Ideologie – und die Kraft des Einzelnen mehr als die staatliche Führung. Dennoch sollten wir uns fragen, ob wir nicht dabei sind, diese über eine lange Zeit aufgebauten Vorteile wieder zu verspielen.»

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«Herausforderungen waren ausschliesslich betrieblicher und strategischer Natur.»

Wirtschaft in Deutschland unter Druck

Macht der grosse Kanton also etwas falsch, dass immer wieder Unternehmen ganz oder teilweise wegziehen? «Ich halte nichts davon, den Standort Deutschland schlechtzureden», findet Hagemann klare Worte. «Es stimmt, dass die wirtschaftliche Lage in Deutschland derzeit sehr angespannt ist – stärker als in anderen Volkswirtschaften.» Die Folge davon seien hohe Strompreise, Rückstände in der Digitalisierung und eine vollkommen überbordende Bürokratie. «Richtig ist aber auch, dass der Mittelstand in Deutschland trotz der Herausforderungen resilient und Deutschland ein Standort exzellenter Forschungseinrichtungen und Start-ups sowie Deep-Tech-Unternehmen ist.»

Die Schweiz gilt gemeinhin als ein Magnet für Technologieunternehmen und Spitzenforschung. Davon profitieren Hightech-Start-ups ebenso wie Grosskonzerne. «Ich stelle jedoch auch die Frage, inwieweit die vielen KMU in der Schweiz davon profitieren, ob man nicht mehr tun könnte, um auch dem Mittelstand die Türen zur Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit noch weiter zu öffnen.» Hagemann spricht dabei aus Erfahrung; kann die Cicor doch ein beachtliches Portfolio an Hightech-Standorten aufweisen. «Wir betreiben wichtige Hightech-Standorte in der Schweiz. Konkret in Boudry NE, Bronschhofen SG und Wangs SG. Diese sind auch Schwerpunkte unserer Investitionstätigkeit mit einer Investitionsquote von 6,3 Prozent des Umsatzes im laufenden Jahr.»

Umzug bringt grosse Veränderungen

Jetzt steht als Nächstes der Umzug ins Haus an. Betroffen davon sind rund 30 Mitarbeiter. Deren Arbeitsverhältnisse werden per 30.06.2025 beendet. Sie alle bekommen die Möglichkeit, an den neuen Standort in Wangs zu wechseln. In Einzelfällen wird auch eine Tätigkeit im Vertrieb in Ulm angeboten.  Die Restrukturierung wird die Cicor mit einem sechsstelligen Betrag belasten. Man erhofft sich damit eine deutliche Ergebnisverbesserung des Geschäftsbereiches.

«Die Guidance 2024 und die Mittelfristziele werden durch diese Massnahmen aber nicht beeinflusst.» Hagemann ist optimistisch: «Wir haben sämtliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Verlagerung geschaffen. Mit einem soliden Projektmanagement wird das gut kommen.»

Text: Fabian Alexander Meyer

Bild: zVg

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