Wirtschaft

Neue IHK-Präsidentin setzt auf Fakten und Brückenbau

Neue IHK-Präsidentin setzt auf Fakten und Brückenbau
Andrea Berlinger
Lesezeit: 4 Minuten

Im Juni wurde Andrea Berlinger als erste Frau zur Präsidentin der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell gewählt. Im Interview spricht die Ganterschwiler Unternehmerin (Berlinger Group; Healthcare/Antidoping) über ihre Visionen, Herausforderungen und Prioritäten für die IHK und die wirtschaftliche Entwicklung der Region.

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl zur Präsidentin der IHK St.Gallen-Appenzell! Was bedeutet diese Position für Sie persönlich und beruflich?
Ich freue mich sehr auf dieses Amt, weil es wunderbar mein Interesse an der Gesellschaft, der Wirtschaft und Politik zusammenfügt. In meiner aktuellen Lebenssituation und Lebensphase habe ich nun auch den notwendigen Spielraum, mich für ein solches Amt zu engagieren. Das war nicht immer der Fall.

Woran lag das?
Als Mutter und Geschäftsfrau war ich es gewohnt, die Prioritäten konsequent auf diese zwei Säulen zu setzen. Nun sind meine Kinder erwachsen und machen erfolgreich ihren eigenen Weg. Beruflich bin ich neben meiner eigenen Firma vor allem in verschiedenen spannenden Verwaltungsratsmandaten involviert. Das gibt mir ein breites Spektrum und ich denke, damit bin ich auch sehr nahe am Puls der Unternehmer in unserer Region – und generell in der Schweiz.

Welche Prioritäten haben Sie sich für Ihre Amtszeit als Präsidentin gesetzt?
Nach vier Jahren im Vorstand der IHK St.Gallen-Appenzell will ich als Präsidentin die erfolgreiche Arbeit der IHK fortsetzen und für Kontinuität sorgen. Die IHK soll weiterhin eine starke und glaubwürdige Stimme der Ostschweizer Unternehmenslandschaft sein, die sich für eine wettbewerbsfähige und umweltverträgliche Marktwirtschaft sowie für den freien Aussenhandel einsetzt. Wichtig ist mir auch, dass die IHK eine sachliche, faktenbezogene Beurteilung der relevanten wirtschaftspolitischen Themen für die Ostschweizer Unternehmen bietet.

 

«Zuhören und nach gemeinsamen Lösungen suchen ist unserer polarisierten Gesellschaft entscheidend.»

Gibt es dabei spezifische Projekte, die Ihnen besonders am Herzen liegen?
Wir wollen und werden die grenzübergreifende Zusammenarbeit in Infrastrukturfragen wie Verkehr und Energie weiter vorantreiben, insbesondere den Zugang der Ostschweiz zu Wasserstoff. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der kantonsübergreifenden Zusammenarbeit im Gesundheits- und Bildungswesen. Ausserdem wollen wir SwissSkills als gemeinschaftliches Projekt der Ostschweiz nach St.Gallen holen.

Wie sehen Sie die aktuelle wirtschaftliche Lage in der Ostschweiz wie ordnen Sie die kommenden Jahre ein?
Die wirtschaftliche Lage in der Ostschweiz ist aktuell getrübt, hauptsächlich wegen schwacher Auslandsnachfrage in der exportorientierten Industrie. Positiv sind jedoch einige Signale in Subbranchen wie Maschinen- und Fahrzeugbau. Die Binnenwirtschaft, insbesondere der Detailhandel und die Baubranche, zeigt sich stabil. Die Inflation liegt im Zielband der SNB, doch der starke Franken belastet exportorientierte Unternehmen. Zukünftige Herausforderungen umfassen die Sicherung der Energieversorgung und den Fachkräftemangel, da die Erwerbsbevölkerung schrumpft. Chancen liegen in der Stärkung der wertschöpfungsintensiven Exportwirtschaft, Innovation durch den Switzerland Innovation Park Ost, Zusammenarbeit zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Bildungsinstitutionen sowie der Diversifizierung des Energieportfolios durch Wasserstoff, Wind und Solar.

In welchen Bereichen sehen Sie das grösste Potenzial für Wachstum in der Region St.Gallen-Appenzell?
Grosse Chancen sehe ich in den Bereichen Health Innovation, Sensor Innovation und Business Innovation. Diese Bereiche lassen sich aus den Forschungsinstitutionen und Unternehmen ableiten, die in der Kernregion St.Gallen-Appenzell angesiedelt sind. Dazu gehören etwa die Empa, das Kantonsspital St.Gallen, die OST – Ostschweizer Fachhochschule, Rhysearch oder die Universität St.Gallen. Der Switzerland Innovation Park Ost bietet zudem eine hervorragende Plattform, damit sich die Region in diesen Schlüsselbereichen weiterentwickeln und wachsen kann. 

 

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«Wir wollen die SwissSkills als gemeinschaftliches Projekt der Ostschweiz nach St.Gallen holen.»

Und mit welchen Massnahmen will die IHK die regionale Wirtschaft stärken und auf globale Veränderungen reagieren?
Um die Versorgungssicherheit auch in Zukunft zu gewährleisten und die Klimaziele zu erreichen, müssen neue Energiequellen erschlossen werden. Wasserstoff ist ein wichtiger Baustein im Energieportfolio. Die Ostschweiz als Werkplatz der Schweiz muss in der aktuell vom Bund erarbeiteten Wasserstoffstrategie Eingang finden. Rechtssichere Beziehungen und der hürdenfreie Zugang zum europäischen Markt sind für die Ostschweizer Exportindustrie entscheidend. Unsere Unternehmen müssen digital und im individuellen und öffentlichen Verkehr noch besser angebunden sein: Wir setzen uns deshalb für zahlreiche Mobilitäts- und Infrastrukturprojekte ein, wie die Engpassbeseitigung St.Gallen oder den Zubringer Appenzellerland. Ein weiteres wichtiges Anliegen ist es, keine sozialpolitischen Experimente auf Kosten der kommenden Generationen zuzulassen, wie etwa die 13. AHV-Rente. 

Sie sind erfolgreiche Unternehmerin. Welche Erfahrungen aus Ihrer beruflichen Laufbahn möchten Sie in Ihre neue Rolle als Präsidentin einbringen?
Ich bringe meine Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit vielen interessanten und erfahrenen Persönlichkeiten ein sowie meine natürliche Neugierde und die Fähigkeit, gut zu-zuhören. Zuhören und nach gemeinsamen Lösungen suchen ist unserer polarisierten Gesellschaft entscheidend. Faktenbasierte Entscheidungen sind mir besonders wichtig, um die IHK als aufklärende Brückenbauerin zu führen, die klar ihre Werte vertritt.

Apropos wichtig: Wie wichtig ist Ihnen die Förderung von KMU in der Region?
Kleine und mittlere Unternehmen prägen die Ostschweizer Wirtschaftslandschaft und bilden das Fundament der weitverzweigten industriellen Lieferkette unserer Industrieregion. Die Anforderungen an die Mitarbeiter von KMU verändern sich rasch, weshalb eine zielgerichtete Aus- und Weiterbildung der Belegschaft immer wichtiger wird. Darum haben wir das Ausbildungsangebot über die etablierten und stets ausgebuchten Exportseminare stark erweitert.

 

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Das heisst konkret?
Die IHK bietet neu eine auf KMU zugeschnittene Seminarpalette in den Bereichen Unternehmenskommunikation, Medienauftritte, Arbeits- und Vertragsrecht, Anwendung von künstlicher Intelligenz im Arbeitsalltag und vor allem Führung an. Unabdingbare Kompetenzen für eine erfolgreiche Zukunft im KMU.

Zum Schluss: Welche Vision haben Sie für die Zukunft der IHK St.Gallen-Appenzell und die wirtschaftliche Entwicklung unserer Region?
Ich engagiere mich dafür, dass die IHK St.Gallen-Appenzell als führender Wirtschaftsverband der Ostschweiz eine kritisch-konstruktive Stimme bleibt und durch einen maximal diversifizierten Vorstand bezüglich Branchen, Regionen und Unternehmensgrössen nach aussen auftritt. Die IHK soll als Brückenbauerin Unternehmen, Institutionen, Kantone und Gesellschaft verbinden. Wir wollen durch unsere fundierte Aufbereitung von Zahlen und Fakten sowie den daraus resultierenden Vorschlägen einen Mehrwert für die regionalen Unternehmen schaffen. Dadurch wollen wir unterstützen, dass Unternehmen die richtigen Schlüsse für eine erfolgreiche Zukunft möglichst am Standort Schweiz – insbesondere der Ostschweiz – ziehen können.

Text: Patrick Stämpfli

Bild: Thomas Hary

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