Sinn der Arbeit

Text: Louis Grosjean, Partner altrimo
Was ist ein Arbeitsverhältnis? Das Obligationenrecht sagt: die Leistung von Arbeit gegen Lohn. Der primäre Nutzen der Arbeit aus juristischer Sicht ist also, dass der Mitarbeiter einen Lohn erhält.
Beflügelt durch den Fachkräftemangel und die Sirenenrufe der Gen Z Apostel, befasst sich eine ganze Literatur mit einem weiteren Nutzenelement der Arbeit: deren Sinnhaftigkeit.
Ist die Frage nach dem Sinn der Arbeit relevant?
Was ist davon zu halten? Ist es eine Erscheinung der Wohlstandsgesellschaft?
Die Antwort lautet: Ja, wir stehen in einer Wohlstandsgesellschaft, die sich den Luxus leistet, die Sinnfrage in den Vordergrund zu stellen. Wer Hunger hat, fragt sich nicht, warum er arbeitet. Individualbedürfnisse und Selbstbestimmung sind bekanntlich die zwei obersten Stufen der Maslow-Pyramide – und diese kommen auf den Plan, wenn die unteren (Hunger, Sicherheit, soziale Bedürfnisse) befriedigt sind.
Kann sich ein Arbeitgeber diese Sinnfrage nicht ersparen und sich auf das erfolgreiche Wirtschaften konzentrieren?
Auch da ist die Antwort klar: Nein, er kann sich diese Frage nicht ersparen. Sie wird ihm von den raren Bewerbern auf offene Vakanzen gestellt. Von bestehenden Mitarbeitern wird sie vielleicht weniger ausdrücklich gestellt – aber wenn die Mitarbeiter den Sinn hinter ihrer Arbeit nicht mehr sehen, resignieren sie oder kündigen. Beides ist aus Arbeitgeber-Sicht nicht wünschenswert.
Sechs Teilantworten auf die Sinnfrage
Die Sinnfrage stellt sich also. Was ist sinnvolle Arbeit?
Simon Sinek, ein bekannter zeitgenössischer Leadership-Guru, hat die Antwort zum Titel eines seiner Werke gemacht: «Start with why». Die Warum-Frage steht nach seiner Auffassung im Zentrum. Warum arbeiten?
Ich habe über dieses Thema nachgedacht und unterscheide persönlich – nebst der Notwendigkeit, Geld zum Lebensunterhalt zu verdienen – 6 Teilantworten auf die Sinnfrage. Ich werde mich in weiteren Artikeln vertieft mit der einen oder anderen dieser Teilantworten befassen. Ich liste sie aber zuerst einmal auf:
Autonomie: Ich darf bis zu einem gewissen Grad selbst bestimmen, wie ich meine Arbeit gestalte.
Expertise: Ich bin gut in dem, was ich tue.
Wertschaffung: Ich erzeuge einen identifizierbaren Mehrwert für andere.
Soziale Anerkennung: Für meine Tätigkeit werde ich von Dritten wertgeschätzt.
Gemeinschaftsgefühl: Ich fühle mich als Teil einer Gemeinschaft bei der Arbeit.
Gerechtigkeit: Bei der Arbeit werden die Ungerechtigkeiten auf einem tiefen, akzeptablen Niveau gehalten.
Es lohnt sich als Leader, darauf zu achten, dass diese Teilantworten möglichst von allen Mitarbeitern mit Ja beantwortet werden können. Einerseits lohnt sich das aus extrinsischen, utilitaristischen Gründen: Reputation des Unternehmens verbessern, ungewollte Fluktuation in der Belegschaft tief halten, Produktivität durch Zufriedenheit erhöhen. Andererseits will ich aber hoffen, dass jeder Leader eine intrinsische Motivation hat, sinnvolle Arbeit anzubieten: Das Leben von Mitmenschen im eigenen Einflussbereich zu verbessern – d. h. die Arbeit von Mitarbeitern im eigenen Unternehmen sinnvoll zu gestalten, ist philosophisch erstrebenswert.