Geopolitische Risiken – Was ist das?
Text: Thomas Stucki, CIO der St.Galler Kantonalbank
Dabei ist unser Risikoradar gut gefüllt mit politischen Risiken, angefangen beim Krieg in der Ukraine über die sich immer schneller drehende Eskalationsspirale im Nahen Osten bis hin zu möglichen Unruhen nach den Wahlen in den USA. Beeindrucken lassen sich die Finanzmärkte davon kaum.
Kaum nachhaltige Auswirkungen geopolitischer Risiken
Das Geschehen in der Ukraine ist aus dem Blick der Anleger verschwunden, seit sich die meisten Länder Westeuropas aus der Abhängigkeit vom russischen Erdgas und Erdöl gelöst haben und die Energiepreise auf die früheren Niveaus zurückgefallen sind. Die Länder im Nahen Osten sind für die Weltwirtschaft nicht relevant, solange die Produktion und der Transport von Erdöl aus der Region nicht beeinträchtigt wird. Die Schliessung der Strasse von Hormus wird als wenig wahrscheinlich beurteilt, weil dies eine Reaktion der US-Armee zur Folge hätte, die der Iran nicht austesten will.
Der Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA ist offen. Es ist sicher, dass sich die Gerichte noch damit beschäftigen werden, bevor Ende Januar die neuen Mieter ins Weisse Haus einziehen. Grosse Demonstrationen der einen oder anderen Seite mit einem gewissen Gewaltpotenzial wird es wohl auch geben. Letztendlich dürften die Institutionen in den USA aber stabil genug sein, um den Übergang von der alten zur neuen Administration verfassungsmässig korrekt über die Bühne zu bringen.
All diese Ereignisse bringen immer wieder Unsicherheit an die Finanzmärkte und können die Aktien kurzfristig belasten. Einen nachhaltig negativen Einfluss entwickeln sie jedoch nicht, und das ist auch richtig so.
Wirtschaftliche Faktoren im Vordergrund
Das grösste geopolitische Risiko auf unserem Radar ist eine Eskalation der Spannungen zwischen den USA und China, sei es um Taiwan oder generell um die wirtschaftliche und militärische Vorherrschaft. Die potenziellen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und die Unternehmen und damit auch auf die Aktienmärkte sind sehr gross. Die Wahrscheinlichkeit des Eintretens stufen wir zurzeit aber als gering ein. Die wirtschaftliche Verflechtung der beiden Staaten ist zu gross und die Kosten eines Bruchs für beide schwer zu verdauen.
Deshalb schauen wir mit Besorgnis auf die Bemühungen, sowohl der USA als auch Chinas, diese gegenseitige Abhängigkeit zu reduzieren, sei es über die eigene Produktion von Chips oder durch die Bemühungen nach technologischer Eigenständigkeit. Irgendwann werden die wirtschaftlichen Kosten eines aggressiven Auftretens die Grenze unterschreiten, die das eigene Volk toleriert. Zum Glück ist das nicht heute und auch nicht morgen der Fall, sondern wird noch eine Weile dauern.
Die geopolitischen Risiken muss man im Auge behalten. Eine Anlagepolitik, die über das Day-Traden hinausgeht, kann man aber nicht danach ausrichten. Am Ende spielen die wirtschaftlichen Faktoren und die Konjunktur in den Industrieländern, allen voran in den USA, für das Geschehen an den Aktienmärkten die entscheidende Rolle.