«Es ist zu spät, erst nach dem Krieg über den Wiederaufbau zu diskutieren»
Text: Nora Lüthi, OST
Die Weiterbildung «Wiederaufbau Ukraine» wurde von der Berner Fachhochschule initiiert und wird seit letztem Oktober zum zweiten Mal mit fünf weiteren Schweizer Hochschulen durchgeführt. Eine davon ist die OST – Ostschweizer Fachhochschule. Mit fünf Kursen in den zwei Modulen Bauingenieurwesen und Technische Infrastruktur ist sie am CAS beteiligt.
«Wir sind ein Teil der Weiterbildung, weil wir mit unserem Fachwissen einen nachhaltigen Beitrag zum Wiederaufbau der Ukraine leisten möchten», erklärt Martin Beth, Professor am Institut für Bau und Umwelt an der OST. Obwohl die Schweiz keine Erfahrung mit dem Wiederaufbau des eigenen Landes nach dem Krieg hat, ist laut Bauingenieur Beth ein solcher Beitrag möglich: «Im CAS kombinieren wir das Schweizer Know-how im Bereich Ingenieurwesen mit den Erfahrungen und der Dokumentation des Wiederaufbaus anderer Länder, die im Krieg zerstört wurden.»
Digitalisierung für den Wiederaufbau nutzen
Bei den Teilnehmern des CAS handelt es sich um geflüchtete Frauen aus der Ukraine mit dem Schutzstatus S, Ukrainer, die schon länger in der Schweiz leben und um Mitglieder von Hilfsorganisationen, die sich am Wiederaufbau beteiligen werden. Gemeinsam haben die Teilnehmer den Bezug zum Bauwesen – sie sind zum Beispiel in der Architektur, Planung, Energieversorgung oder in der Siedlungsentwicklung tätig. Der CAS befähigt sie, Projekte für den Wiederaufbau der Ukraine zu evaluieren, mitzugestalten und zu leiten.
Im Unterricht von Martin Beth steht die Digitalisierung im Vordergrund. Die 30 Teilnehmer lernen, wie sie digitale Systeme für den Wiederaufbau mit grösstmöglicher Wirkung einsetzen können. «Die Entscheidung, ob ein Gebäude abgerissen oder saniert werden soll, spielt beim Wiederaufbau eine zentrale Rolle. Mit Drohnen können Analysen durchgeführt werden, um diese Entscheidungen effizient zu treffen», erklärt Beth. In seinem Kurs lernen die Teilnehmer zum Beispiel, wie sie Geografische Informationssysteme (GIS) beim Wiederaufbau einsetzen können.
Wiederaufbau mitten im Krieg
Die Kämpfe und Zerstörung in der Ukraine halten an. Es mag widersprüchlich erscheinen, bereits über den Wiederaufbau eines Landes zu diskutieren, das sich mitten im Krieg befindet. «Der Wiederaufbau muss zwingend jetzt geplant und umgesetzt werden, denn die Menschen, die durch den Krieg ihr Zuhause verloren haben, müssen irgendwo wohnen», erklärt Martin Beth.
Franz Gähler stimmt dem entschieden zu: «Erst nach dem Krieg über den Wiederaufbau zu diskutieren, ist zu spät. Wenn man mit einer Strategie wartet, bis der Krieg vollkommen beendet ist, verliert man drei bis vier Jahre». Temporäre Unterkünfte wie Happy Homes sorgen für die nötige Flexibilität während des Krieges. «Die Häuser würden etwas abseits der Kriegszonen aufgestellt. Verlagert sich der Krieg aber in diese Richtung, können die Häuser relativ schnell wieder abgebaut werden.»
Die Happy Homes haben noch einen weiteren Vorteil: Ihr System funktioniert komplett autark. Wenn also die Infrastruktur wie zum Beispiel Ver- oder Entsorgungsleitungen rund um das Haus zerstört sind, funktioniert das Happy Home trotzdem.
My Happy Home – ein sicheres Zuhause
Bis die Entscheidung gefallen ist, ob ein Gebäude besser komplett abgerissen oder wieder aufgebaut wird, dauert es eine Weile. «In dieser Zeit brauchen die Menschen in der Ukraine dringend ein sicheres Zuhause», sagt Franz Gähler. Der pensionierte Automobilmanager ist der Gründer des Projekts «My Happy Home», das er den Weiterbildungsteilnehmern vorstellt. Seit seiner Pensionierung arbeitet er daran, der thailändischen Bevölkerung günstige und sichere Häuser als Selbstbausatz bereitzustellen.
Das Kernelement des Happy Homes ist eine Stahlkonstruktion, die in zwei Tagen aufgebaut werden kann. Sie sichert die Stabilität des Hauses. Mit Zementfaser-Paneelen und vorgefertigten Elementen für Bad und Elektrik dauert es sechs Wochen, bis ein Happy Home fertig aufgebaut ist. In Zusammenarbeit mit der OST wurde die Grundkonstruktion des Hauses weiterentwickelt und der Standard an die Wind- und Schneelasten, Temperaturen, Erdbebensicherheit und klimatischen Bedingungen der Ukraine angepasst.
«Die Idee ist, dass wir die ersten Grundkonstruktionen von Thailand in die Ukraine liefern und dann schrittweise die Produktion und Fertigung der Happy Homes lokalisieren», zeigt Franz Gähler auf. «Bevor wir aber Material schicken können, müssen wir die Ukrainer noch im Bau der Happy Homes schulen.» Dafür steht Franz Gähler in Kontakt mit Menschen in der Ukraine und mit den Teilnehmern des CAS.
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Hoffnung für die Menschen in der Ukraine
«Während des Unterrichts über das Happy Home hatten die Teilnehmer zum Teil feuchte Augen. Das hat viele Emotionen geweckt. Sicher haben viele dabei an ihr Zuhause in der Ukraine gedacht und an das, was noch auf sie zukommt», erzählt Franz Gähler. Für viele Menschen in der Ukraine ist es derzeit Realität, in ihren von Bomben zerstörten Häusern zu leben.
«Wenn wir ihnen zeigen können, dass wir trotz aller Zerstörung sichere Unterkünfte bauen können, gibt ihnen das viel moralische Kraft. Wenn man jemandem Hoffnung geben kann, dann ist es ein grosser Antrieb für die Menschen, weiterzumachen.» Mit der Teilnahme an der Weiterbildung können die Ukrainer in der Schweiz ihren Fokus und ihre Energie auf die Zukunft der Ukraine richten.
Von Seiten der OST sind zudem Prof. Simone Stürwald und Prof. Dr. Ivan Marković vom Institut für Bau und Umwelt am CAS «Wiederaufbau Ukraine» beteiligt.