«Die Stromproduktion im Winter steigern»
Text: pd
Matthias Berthold, was ändert sich kurz zusammengefasst durch das Inkrafttreten des Stromgesetzes?
Das Ja zum Stromgesetz ist ein wichtiger Schritt, um das Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen. Die Vorlage enthält verbindliche Pläne zum Ausbau erneuerbarer Energien. Insbesondere geht es auch darum, die Stromproduktion aus erneuerbaren Energiequellen im Winter zu steigern. Die zeitlichen Schwankungen bei den Erträgen sind eine Herausforderung. Derzeit werden PV-Anlagen häufig auf maximalen Jahresenergie-Ertrag optimiert.
Diese Anlagen produzieren dann aber rund 75 Prozent der Jahresenergie im Sommerhalbjahr. Das führt dazu, dass während der Sommermonate häufig überschüssige Energie aus Photovoltaik vorhanden ist, während auf das Winterhalbjahr – bei gleichzeitig höherem Bedarf – nur rund 25 Prozent entfallen.
Mit alpinen Photovoltaik-Anlagen sowie Windkraftanlagen kann man diese sogenannte «Winterlücke» reduzieren, da diese Anlagen im Winter einen deutlich höheren Energieanteil aufweisen. Durch Inkrafttreten des Stromgesetzes können Projekte zur Förderung erneuerbarer Energien in Zukunft einfacher bewilligt und umgesetzt werden. Sie erhalten dieselbe Gewichtung wie andere Projekte von nationaler Bedeutung.
Das Nein-Komitee argumentierte, dass es durch das neue Stromgesetz zu Solarparks in den Bergen und Windparks in Wäldern kommen könnte. Ist diese Sorge berechtigt?
Im Vordergrund steht nach wie vor, Anlagen an bestehenden Bauten zu realisieren. Zum Beispiel Photovoltaik-Module auf Hausdächern oder an Lärmschutzwänden. Möglich ist zudem auch, Parkplätze oder Autobahnabschnitte mit PV-Modulen zu überdachen. Damit kann man gleichzeitig Schatten spenden.
Vereinzelt wird es auch Solaranlagen in Berggebieten geben. Aber auch dort tastet man dafür nicht zwangsläufig unberührte Natur an, sondern wird schon aus Kostengründen bestrebt sein, möglichst nahe an bestehende Infrastruktur anzuschliessen. Dies spart Erschliessungskosten, zum Beispiel den Strassenbau, und vereinfacht den Netzanschluss beziehungsweise die Energieableitung.
Ein bekanntes Vorhaben ist die 2.2-MW-Solaranlage an der Staumauer des Muttsees, die 50 Prozent des Stroms im Winter liefert. Dafür mussten keine zusätzlichen Flächen versiegelt werden. Die Eingriffe in die Natur waren minimal. Photovoltaik im alpinen Raum kann auf die Stromerzeugung in den Wintermonaten optimiert werden.
Vorteilhaft wirken sich dabei die geringere Nebelhäufigkeit, eine erhöhte Sonneneinstrahlung aufgrund der Reflexion bei Schneelage – auch als «Albedo-Effekt» bezeichnet – sowie die tieferen Umgebungstemperaturen aus.
Und was ist mit den Windparks in den Wäldern?
Auch für Windräder müssen nicht zwangsläufig unberührte Landschaften geopfert werden. Der Bau von Windkraftanlagen macht es notwendig, grosse Einzelteile und Module zu transportieren. Daher empfiehlt es sich auch hier, Standorte nahe an bereits erschlossenem Gebiet zu wählen, einerseits wegen des Strassennetzes, andererseits wegen der Energieableitung. Vorteilhaft sind etwa Windanlagen in der Nähe von Wasserkraftanlagen oder im siedlungsnahen Raum, wo die notwendige Infrastruktur bereits vorhanden ist.
In der Schweiz spricht man aktuell von rund 200 neuen Windrädern, die bis 2035 gebaut werden sollen. Angedacht ist aber, diese nicht einzeln, sondern gruppenweise in kleinen Windparks zu realisieren. Wie alpine Solaranlagen weisen auch Windkraftanlagen eine erhöhte Winter-Strom-Erzeugung aus. So generieren beispielweise die Windräder in Deutschland im Winterhalbjahr doppelt so viel Energie wie im Sommerhalbjahr.
Wenn solche Projekte in Zukunft einfacher bewilligt werden, haben dann Bürger sowie Naturschutzverbände überhaupt noch etwas zu sagen?
Ja, wir bleiben auch nach dem Ja zum Stromgesetz eine Demokratie mit den entsprechenden Einsprachemöglichkeiten. Das Stromgesetz hebelt auch keine Naturschutzgesetze oder kantonalen Baugesetze aus. Vielmehr geht es darum, Projekte zur Förderung erneuerbarer Energien in Relation dazu zu setzen. Bringen sie einen grossen Nutzen für die Allgemeinheit, können sie gleich hoch gewichtet werden wie zum Beispiel ein kantonales Baugesetz.
In der Vergangenheit konnten solche Projekte schon von kantonalem Baurecht ausgebremst werden, das Bautätigkeiten ausserhalb des Siedlungsraumes häufig zurecht erschwert. Hier ist aber wichtig zu erwähnen, dass der Ausbau erneuerbarer Energieträger nicht um jeden Preis erfolgen soll. Es wird nach wie vor Umweltverträglichkeitsprüfungen und verschiedene Auflagen geben.
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Grünen Strom wollen die meisten, aber ein Windrad vor dem Haus die wenigsten. Werden Projekte zur Förderung erneuerbarer Energien nicht auch in Zukunft auf massiven Gegenwind stossen?
Während die Photovoltaik in der Mitte der Schweizer Gesellschaft angekommen ist, kämpft die Windenergie immer noch mit einem schlechten Image. Um die Akzeptanz zu erhöhen, ist es enorm wichtig, die Bevölkerung von Anfang an mit einzubeziehen. Erfahrungen aus Deutschland zeigen, dass Projekte mit breiter «Bürgerbeteiligung», in denen viele Bürger sowie die Gemeinde am finanziellen Erfolg der Anlage beteiligen worden sind, eine besonders hohe Umsetzungsrate hatten.
Nicht ideal ist, wenn Investoren von ausserhalb Windkraftanlagen errichten lassen und dann das gesamte Kapital daraus abziehen. Windkraftanlagen werden aber nicht in unmittelbarer Nachbarschaft gebaut. Denn Ziel ist es, eine Beeinträchtigung aufgrund des Schattenwurfs oder Lärms zu vermeiden.
Welcher erneuerbare Energieträger wird nach Inkrafttreten des Stromgesetzes den grössten Aufwind erleben?
Absolut gesehen ist es die Photovoltaik. Das Stromgesetz schafft Anreize für die Umsetzung von Solaranlagen auf Gebäuden. Für Neubauten ab 300 Quadratmetern Fläche gilt sogar eine Solarpflicht. Allerdings dürfte diese Pflicht nicht sehr einschneidend sein, da es für Unternehmen meist sowieso finanziell attraktiv ist, ihren Strombedarf mit Energie aus Eigenproduktion zu decken oder noch Energie ins Netz einzuspeisen.
Viele haben deshalb bereits in betriebseigene Solaranlagen investiert. Relativ gesehen wird wohl die Windkraft den grössten Aufwind erleben. Das liegt aber daran, dass sie derzeit in der Schweiz mit 87 MW installierter Leistung noch einen verschwindend kleinen Anteil ausmacht. Im Vergleich dazu: Die installierte Photovoltaik-Leistung betrug Ende letzten Jahres 6200 MW.
Ebenfalls soll die Wasserkraft ausgebaut werden. Es gibt aktuell 16 Projekte, die nun forciert werden können. Drei davon sind Neubauten. Bei den anderen handelt es sich um bestehende Wasserkraftwerke, die ausgebaut werden sollen. Zum Beispiel durch eine Erhöhung der Staumauer wie jener am Grimselsee.
Haben wir genügend Fachkräfte, um diesen massiven Ausbau zu stemmen? Was müssen diese können?
Derzeit fehlt es noch an Fachkräften. In der Planungs- und Integrationsphase werden Spezialisten und Ingenieure benötigt, an deren Ausbildung wir mit Hochdruck arbeiten. In der Umsetzungsphase könnte eine weitere Spezialisierung helfen. So ist es denkbar, dass speziell ausgebildete «Montagetrupps» die gesamte Mechanik wie Unterkonstruktion, Paneelmontage übernehmen, während «Elektrotrupps» die elektrischen Teile inklusive Netzintegration ausführen. Diese Teams können dann sehr effizient eingesetzt und speziell für ihre Aufgaben ausgebildet werden.
Sonne und Wind sind gratis und umweltverträglich – im Vergleich zu Öl oder Gas. Macht es noch Sinn, Energie zu sparen, wenn diese aus erneuerbaren Quellen stammt?
Energie-Effizienz ist auf jeden Fall gut und hilft immer. Zukünftig wird der zeitliche Verlauf des Energiebedarfs entscheidend sein, wodurch Flexibilität wichtig sein wird. Es wird Zeiten mit Energieüberschuss und Zeiten mit knappem Angebot geben. Der Strompreis an der Börse zeigt die Energiesituation, mit niedrigen Preisen bei Überschuss und hohen Preisen bei Knappheit.
Dies soll Verbraucher anregen, ihren Energieverbrauch zeitlich anzupassen. Generell kann man aber sagen, dass die Umstellung des Energiesystems nicht unbedingt mit «Verzicht» einhergehen muss. Wenn ein Überangebot an Energie vorhanden ist – vor allem im Sommer – kann man sehr preiswert und mit bestem Gewissen die Wohnung oder das Haus kühlen.
Wie erfährt die breite Bevölkerung, ob gerade Strom im Überfluss vorhanden ist oder nicht?
Generell ist der Indikator der Strompreis: Ist dieser günstig, ist ausreichend Energie vorhanden – ist er hoch oder sehr hoch, ist Energie eher Mangelware. Um es den Konsumenten einfacher zu machen, gibt es zum Beispiel in Frankreich und Deutschland eigene «Stromampeln». Fraunhofer ISE entwickelte sogar eine eigene «Stromampel-App», die vereinfacht darstellt, zu welchen Zeiten in welchem europäischen Land Energie eher konsumiert, oder eher gespart werden soll. Entscheidend ist hier aber eine gute Kommunikation.
Die Bevölkerung darf nicht das Gefühl erhalten, zu etwas gezwungen zu werden oder Einbussen hinnehmen zu müssen. Es geht darum, ein Bewusstsein für die Zeitabhängigkeit der Stromerzeugung zu schaffen. Bei den energieintensiven Unternehmen ist dieses Bewusstsein bereits vorhanden. Sie setzen schon aus Kostengründen auf zeitabhängige Energiemanagementstrategie.
In Zukunft wird auch die breite Bevölkerung zunehmend von solchen effizienten Energiemanagementsystemen profitieren, die zeitliche Schwankungen ausgleichen. Damit wird beispielsweise das Elektroauto automatisch dann geladen, wenn genügend Strom im Netz vorhanden und somit die Strompreise tief sind.