BTS: Vitamin B statt Plan B
«Zehn Jahre nach dem Volksentscheid wollen wir endlich wissen, wie es mit der BTS weitergeht, wo wir stehen und wie die nächsten Schritte aussehen», waren sich die FDP-Bezirkspräsidenten Philipp Gemperle aus Romanshorn und Andreas Opprecht aus Sulgen bereits im letzten Sommer einig. Zufall oder Voraussicht: Das vor wenigen Tagen in die Vernehmlassung geschickte Strategische Entwicklungsprogramm (STEP) 2024-2027 – ohne BTS – verlieh der schon lange geplanten Veranstaltung höchstaktuellen Charakter. Fast 300 Interessierte folgten am Freitagabend der FDP-Einladung ins Pentorama Amriswil.
Der Thurgau muss gehört werden
Der Präsident der FDP Bezirk Weinfelden, Andreas Opprecht, liess die Meilensteine Revue passieren: Begonnen mit dem Netzbeschluss BTS/OLS der Thurgauer Stimmberechtigten im 2012, der Fastaufnahme ins Strategische Entwicklungsprogramm (STEP) 2019-2023, der Einreichung des Generellen Projektes 2019 bis hin zu der vor zwei Wochen eingetroffenen Vernehmlassung ohne BTS im nächsten STEP.
Ständerat Jakob Stark berichtete einleitend über das Verfahren, den Umgang mit Neuen Netzbeschlüssen (NEB) und über seine letzten Gespräche mit ASTRA-Chef Jürg Röthlisberger. Die Bodensee-Thurtal-Strasse gehört zu den sieben vorerst nicht berücksichtigten Projekten. «Die Vernehmlassung läuft. Der Zug ist also noch nicht abgefahren. Man muss den Thurgau aber in Bern hören», so Stark.
Ständerätin Brigitte Häberli strebt dafür eine Ostschweizer Geschlossenheit auf Regierungs- und Parlamentsebene an. Dazu will sie Verbündete und den Dialog mit der verantwortlichen Bundesrätin und dem zuständigen Bundesamt suchen. Als Beispiel für erfolgreiches Lobbieren nennt sie die Zürcher Oberlandautobahn. Diese hatte es 2018 – trotz eines deutlich geringeren Projektierungsstandes als die BTS - überraschend an dessen Stelle ins STEP geschafft und wird voraussichtlich 2040 umgesetzt.
Die vor kurzem lancierte Petition sei zudem ein wichtiges Zeichen der gesamten Bevölkerung. «Auch das kommt in Bern an», so die Ständerätin.
Ganzheitlich geplant
Regierungsrätin Carmen Haag präzisiert: «Die BTS ist das Resultat einer jahrelangen, modellhaften und ganzheitlichen Planung. Alle Raum- und Umweltthemen wurden berücksichtigt und aufeinander abgestimmt. Es wäre das grösste Lärmschutzprojekt der Schweiz. Sämtliche Varianten wurden überprüft, mit dem Bund vorbesprochen und in das dem Bund Anfang 2019 eingereichte generelle Projekt aufgenommen.»
Moderator Philipp Gemperle fühlte seinen Podiumsgästen tüchtig auf den Zahn. Gehen Kosten vor Sicherheit? Wie «grün» ist das eingereichte Projekt? Gibt es wirklich einen besseren Plan B oder braucht es mehr Vitamin B? Hat der Bund die zentralen Anliegen und Leidenspunkte des Kantons Thurgau wirklich verstanden?
Alt Kantonsrat Peter Gubser sieht keinen grossen Handlungsbedarf im Thurgau. «Die Strasse ist massiv überteuert und bringt höchstens noch mehr Verkehr.» Der Bund habe wichtigere Projekte, erklärt der Arboner, während er als Symbol für die Pro-Kopf-Kosten sechs Tausendernoten auf den Tisch legt.
Kantonsrat Toni Kappeler findet: «Die Dörfer mit Durchgangsverkehr brauchen zwar eine Lösung, aber die BTS ist es nicht, das wissen wir schon lange. Wir reiten schlicht auf einem toten Pferd», so der Hinterthurgauer.
Grosse Bedeutung für die ganze Bevölkerung
Regierungsrat Walter Schönholzer bezeichnet das Thurtal mit vielen bedeutenden Industriebetrieben als Lebensader der Wirtschaft. Seit dem Volksentscheid aus dem Jahre 2012 hätten Kanton und Gemeinden ihre Entwicklungsprojekte und Zukunftsüberlegungen auf die BTS abgestimmt. «Der Richtplan ist behördenverbindlich. Die Hausaufgaben sind gemacht», resümiert der Volkswirtschaftsdirektor.
Beat Hirt, Vizepräsident der IHK Thurgau ergänzt: «Die Anzahl der Beschäftigten im Kanton Thurgau hat in den letzten zehn Jahren um über 10'000 Personen zugenommen. 35 Prozent arbeiten in Gewerbe, Industrie und Bau.» Dieser Sektor sei im Kanton Thurgau deutlich stärker vertreten als in der Gesamtschweiz.
Andrea Roth, CEO der Geobrugg AG in Romanshorn, ist stolz auf den Thurgauer Standort, an welchem seine Traditionsfirma seit über 180 Jahren Drahtseile produziert und in die ganze Welt liefert. «Es darf nicht sein, dass die 85 Kilometer lange «Transjurane» zwischen Biel und Delle-Boncourt gebaut wird und der Kanton Thurgau, der bevölkerungsmässig so gross wie der Jura und Graubünden zusammen ist, leer ausgeht.»
Die BTS verbinde die beiden Metropolitanräume Zürich und Bodensee durch den Thurgau.
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Positive Kosten-Nutzen-Differenz
Ein vom ASTRA entwickelter Nachhaltigkeitsindikator für Strasseninfrastrukturprojekte belegt eine jährliche, positive Kosten-Nutzen-Differenz von 22 Millionen Franken. Den wirtschaftlichen Hauptnutzen zieht das Projekt aus den Reisezeiteinsparungen, die auf jährlich 100 Millionen Franken beziffert werden.
Das Publikum äusserte zudem verschiedenste Sichtweisen. So etwa der Kreuzlinger Stadtpräsident Thomas Niederberger: «Nicht nur die BTS, sondern auch die Oberlandstrasse (OLS) sollte baldmöglichst realisiert und womöglich sogar vorgezogen werden. Denn die zeitnah realisierte durchgehende Autobahn zwischen Singen und Konstanz wird deutlich mehr Verkehr für uns bringen.»
Dazu meinte Carmen Haag: «Die OLS ist mit der BTS verknüpft und wird nur in Kombination mit dieser umgesetzt.» Podiumsgäste und die an der Diskussion Beteiligten kamen mehrheitlich zum Fazit: «Wir wollen Anschluss, wir bleiben dran – und zwar hartnäckig.»