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Der Datentresor im Appenzellerland

Der Datentresor im Appenzellerland
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Seit mehr als drei Jahren ist das Rechenzentrum Ostschweiz im Gaiser Industriequartier in Betrieb. 48 Unternehmen haben bislang ihre Server, Speicher und Netzwerkkomponenten in den modernen, stromsicheren und streng kontrollierten Datentresor ausgelagert.

«Haben Sie einen Personalausweis dabei?», fragt Martin Wirth. Er ist kein Polizist, sondern bei der SAK für den Verkauf Geschäftskunden zuständig. Daneben führt er ab und zu Besuchende durchs Rechenzentrum Ostschweiz RZO in Gais. Und wer ins RZO will, muss sich ausweisen. Dies ist aber nur ein Teil des mehrstufigen Sicherheitssystems, das ungebetene Gäste fernhalten soll. Der moderne quadratische Bau, der sich direkt hinter dem SAK-Unterwerk befindet, wird durch einen elektronischen Zaun gesichert. Die gesamte Anlage, drinnen wie draussen, ist videoüberwacht, der Zutritt zum Gebäude nur über Schleusen und Biometrie möglich. Letztere läuft über die Handvenenerkennung. Dabei wird die Hand mit der Innenfläche auf ein Gerät gelegt, das das Venenmuster der Person erfasst und diese so identifiziert. «Wir bieten unseren Kunden maximale Sicherheit für ihre Daten und Server», sagt Wirth, «deshalb müssen wir auch genau wissen, wer hier wann rein und raus geht».

Zu 31 Prozent ausgelastet

Seit 2018 steht im Gaiser Industriequartier das Rechenzentrum Ostschweiz. Das RZO ist ein spezialisiertes Gebäude, in das Unternehmen ihre Server, Speicher und Netzwerkkomponenten auslagern können. Initiiert und gebaut wurde es von der St.Gallisch-Appenzellischen Kraftwerke AG (SAK), gekostet hat es 25 Millionen Franken. Für die SAK, die 2010 mit dem Bau des Glasfasernetzes in ihrem direkt versorgten Gebiet begonnen und vier Jahre später eigene Kommunikationsdienste eingeführt hatte, war es naheliegend, die regionalen Kommunikationsinfrastruktur mit einem Rechenzentrum zu ergänzen. Mittlerweile ist das RZO eine Aktiengesellschaft, wobei die Aktien zu 80 Prozent bei der SAK und zu 20 Prozent bei der Stadt St.Gallen liegen.

Die Vorteile des neuen Rechenzentrums sind gemäss CEO Christoph Baumgärtner: sichere Stromversorgung, ausreichend Platz, effiziente Kühlung, hohe Sicherheit und eine mehrfache glasfaserbasierte Anbindung. Das RZO ist hauptsächlich für die Entwicklung und Umsetzung von zukunftsfähigen IT-Infrastrukturen zuständig, bietet aber zusammen mit verschiedenen IT-Dienstleistern auch Gesamtlösungen an, die von der Infrastruktur IaaS über das Betriebssystem PaaS bis hin zur Software SaaS reichen. Nach knapp dreieinhalb Jahren Betriebszeit sind beim RZO 48 Unternehmen eingemietet. Das entspricht einer Auslastung von 31 Prozent, wie Baumgärtner sagt. Zu den Kunden gehören beispielsweise die AR Informatik AG, die Samaplast AG, die Ventus Cloud AG, die HEV Region Winterthur oder die HSG. Diese hat Anfang 2020 drei Hochleistungscomputer ins Rechenzentrum ausgelagert. Hintergrund ist der Aufbau zweier neuer Lehrstühle in den Bereichen «Künstliche Intelligenz»/«Machine Learning» (KI/ML) sowie «Data Science». Dies sind besonders rechen- und datenintensive Disziplinen, die effiziente Verarbeitungsprozesse und grosse Speichervolumen voraussetzen.

Christoph Baumgärtner ist mit der bisherigen Entwicklung zufrieden. «Wir wachsen stetig, haben aber vor dem Hintergrund der herrschenden Corona-Situation mit sistierten und verschobenen Kundenprojekten einen entsprechenden Rückstand gegenüber dem ursprünglichen Vermarktungsplan», sagt er. «Trotzdem müssen wir, um die wachsende Kundenzahl bedienen zu können, bereits den Ausbau des zweiten Stockwerkes in Angriff nehmen.»

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Nach knapp dreieinhalb Jahren Betriebszeit sind beim RZO 48 Unternehmen eingemietet.

Grün und sehr sicher

Das Rechenzentrum erstreckt sich über drei Vollgeschosse. Im Untergeschoss haben die technischen Anlageteile für die Brandbekämpfung, zu der eine automatische Stickstoff-Löschanlage gehört, sowie die Energieversorgung und Netzersatzanlagen ihren Platz. Auf den beiden darüberliegenden Etagen befinden sich die Datencenter mit einer Fläche von jeweils 450 Quadratmetern. Hier können die Unternehmen Schränke, sogenannte Racks, Flächen (Rack Lounges) oder Abteile (Private Suites) mieten. Insgesamt stehen zwei Mal  150 Racks zur Verfügung in drei verschiedenen Grössen. Zugang zu den Geschossen haben nur Berechtigte, kontrolliert wird dies wiederum über die Handvenenerkennung, gleiches gilt auch für die einzelnen Racks, Lounges oder Suites.

Was die Besucher beim Gang durchs Datencenter zu sehen bekommen, ist wenig spektakulär: reihenweise vergitterte Schränke, zahlreiche blinkende Server und noch mehr schwarze, gelbe und blaue Kabel. Auffallend ist allerdings die Wärme, die einem ins Gesicht schlägt. Und dies ist auch der Punkt, für den Rechenzentren oft kritisiert werden: Gerade in der heutigen schwierigen Klimasituation würden sie zu viel Energie verbrauchen, seien regelrechte Stromfresser. Ein Vorwurf, den auch die Verantwortlichen des RZO immer wieder zu hören bekommen. Sie entgegnen den Kritikern mit Zahlen, Fakten – und Taten. «Unser Kühlsystem ist innovativ und deshalb sehr energieeffizient», sagt der CEO. «Die anfallende Abwärme wird direkt im Wärmeverbund genutzt. Das Rechenzentrum ist also ein Datenspeicher und zugleich ein Wärme- und Photovoltaik-Kraftwerk, da es über Solarpanels eigenen Strom produziert.» Nicht umsonst werde das RZO auch als das «grünste Rechenzentrum der Schweiz» bezeichnet.

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80 Prozent weniger Stromverbrauch

Der Energieeffizienzwert des Rechenzentrums beträgt 1,15. Dieser Wert beziffert die Effizienz des Energieeinsatzes und besagt, wie viel Energie für Kühlung und unterbrechungsfreie Stromversorgung eingesetzt werden muss. Andere Datencenter und Serverräume in der Schweiz werden mit einem durchschnittlichen Energieeffizienzwert von 1,8 betrieben. Das bedeutet, dass an diesen Serverstandorten zusätzlich  80 Prozent der Energie für Kühlung und eine unterbrechungsfreie Stromversorgung eingesetzt wird. «Das RZO hingegen braucht hierfür nur 15 Prozent zusätzliche Energie», erklärt Martin Wirth auf dem Rundgang durchs Zentrum. Verlagerten die Unternehmen ihre Server ins RZO, führe das zu 80 Prozent weniger Stromverbrauch für Kühlung und unterbrechungsfreie Stromversorgung.

«Gerechnet auf die Grösse des RZO kann so der Strom von 1700 Haushalten gespart werden.» Gleichzeitig wird die Abwärme, die das Rechenzentrum produziert, direkt weiterverwendet. Im Wärmeverbund hilft sie der Bergkäserei Gais, die direkt hinter dem Rechenzentrum ihren Standort hat, pro Jahr rund zehn Millionen Liter Milch zu erhitzen, um daraus rund 1000 Tonnen Käse zu machen. «Auf diese Weise können rund 1,5 Millionen Kilowattstunden Erdgas gespart werden.» Zusätzlich könnten mit dieser Abwärme weitere 150 Haushalte versorgt werden. Die Solarpanels auf dem Dach und an allen vier Gebäudeseiten produzieren jährlich rund 230 000 Kilowattstunden Energie. Diese wird komplett im Rechenzentrum selbst verbraucht.

Das RZO ist ein Datentresor der höchsten Sicherheitsstufe Tier IV.

Der ideale Standort

Die Stromversorgung erfolgt grundsätzlich mit Naturstrom, direkt ab dem Unterwerk Gais. Jedes Rack wird über zwei getrennte Stromkreise von den eigenen Trafoanlagen versorgt. Somit sei jederzeit eine vollumfängliche Energieversorgung gesichert – selbst dann, wenn wichtige Anlagenteile in einem der beiden Strompfade versagen sollten, sagt Wirth. Im Untergeschoss stehen zwei leistungsfähige Dieselmotoren bereit, die das gesamte Rechenzentrum bei einem Stromausfall innert weniger Sekunden mit Strom versorgen könnten. «Das RZO ist ein Datentresor der höchsten Sicherheitsstufe Tier IV mit beinahe 100-prozentiger Verfügbarkeit.»

Büros gibt es im Rechenzentrum nicht, die meisten Mitarbeiter haben ihren Arbeitsplatz in den Gebäuden der SAK. Dafür stehen modern ausgestattete Sitzungszimmer und eine grosse Lounge zur Verfügung. Die Glasfront bietet einen Blick auf die idyllische Landschaft und man kann den Kühen beim Grasen und den Katzen beim Mäuse jagen zuschauen. Die Wände in der Lounge sind mit überdimensionalen Bildern des Alpsteinmassivs und des Dorfs Gais tapeziert. Apropos: Weshalb wurde das Rechenzentrum gerade in der 3000-Seelen-Gemeinde gebaut? «Dafür spricht vieles», sagt CEO Christoph Baumgärtner. «Dank der Höhenlage von 1000 Metern über Meer kann bei der Kühlung Energie gespart werden. Gais ist zudem ein sicherer Standort hinsichtlich Erdbeben und Naturkatastrophen, und es liegt ausserhalb von Flugschneisen, direkt bei einem Unterwerk der SAK und geografisch gesehen ziemlich im Zentrum der Ostschweiz.»

Text: Marion Loher

Bild: SAK

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