Wirtschaft

Thaler Luftfahrtlösungen für die ganze Welt

Thaler Luftfahrtlösungen für die ganze Welt
Roger Hohl
Lesezeit: 6 Minuten

Die ACM Aerospace (Aircraft Cabin Modification GmbH) aus Memmingen expandiert per 1. November 2024 in die Schweiz. ACM Aerospace ist spezialisiert auf die Entwicklung, Fertigung und Modifikation von Flugzeugkabinenkomponenten. Warum hat sich das deutsche Unternehmen für einen Standort in der Schweiz entschieden? Managing Director Roger Hohl verrät die ACM-Pläne für die Schweiz.

Text: Stephan Ziegler

Roger Hohl, was genau macht die ACM Aerospace, wer gehört zu Ihrer Kundschaft und auf welchen Märkten ist sie tätig?
Vor einigen Jahren wäre die Antwort noch einfach gewesen, aber heute ist es wesentlich komplexer. ACM Aerospace existiert seit über 50 Jahren, doch vor acht Jahren war es ein kleiner, klassischer Handwerksbetrieb in Memmingen mit 20 Angestellten. Nach dem Verkauf der Firma trat ich dem Unternehmen bei, und wir entschieden uns schnell, das Potenzial der Firma besser auszuschöpfen. Dies erforderte einen umfassenden Umbau – vom traditionellen Handwerksbetrieb hin zu einem modernen Industriebetrieb. In nur drei Jahren wurden wir zu einem internationalen Luftfahrtzulieferer, der an mehreren Standorten tätig ist und seine Belegschaft auf über 200 Beschäftigte ausgebaut hat.

Und Sie produzieren …
Wir stellen auftragsbezogen Bauteile für verschiedene Flugzeugtypen her, darunter Helikopter, Airliner und Privatjets. Seit Kurzem bedienen wir auch den Markt für eVTOLs (elektrische Lufttaxis). Diese Bauteile umfassen Sektionen wie Kabinen, Cockpits und Frachträume. Unsere Kunden sind überwiegend die grossen Flugzeughersteller dieser Welt, etwa Airbus. Ein besonderer Vorteil unserer Serienproduktion in der Luftfahrt ist die hohe Planbarkeit, da Flugzeugprogramme meist über Jahre im Voraus bekannt sind. Bereits heute wissen wir, welche Flugzeuge in den nächsten drei bis vier Jahren gebaut und an wen sie ausgeliefert werden.

Daneben gibt es noch das Projektgeschäft?
Ja. Es ermöglicht uns, auftragsbezogene Arbeiten durchzuführen. Hierzu zählen unter anderem das Umrüsten oder die Überholung von Bauteilen oder ganzen Flugzeugsektionen. Ob für internationale Wartungsbetriebe oder direkt für die Airlines – wir bieten eine breite Palette an Dienstleistungen. Dann haben wir eine Abteilung, die sich ausschliesslich auf VIP-Flugzeuge, darunter Privatjets sowie Staats- und Regierungsflugzeuge, spezialisiert hat. Die Projekte in diesem Bereich sind oft hochkarätig und anspruchsvoll, weshalb Diskretion oberstes Gebot ist. Obwohl die Kundenliste vertraulich ist, kann ich sagen, dass es sich um äusserst spannende und oft einzigartige Projekte handelt. Steinböden in Flugzeugen, Duschen in Helikoptern oder gar komplette fliegende Krankenhäuser – es gibt fast nichts, was wir nicht umsetzen könnten, solange es den strengen luftfahrtrechtlichen Bestimmungen entspricht. Diese beinhalten unter anderem dynamische und statische Crashtests sowie die Brandtests für Kerosin und Öl.

 

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«Unsere Kunden sind überwiegend die grossen Flugzeughersteller dieser Welt, wie Airbus.»

Forschen und entwickeln werden Sie aber auch?
Selbstverständlich. Kurz vor Corona haben wir beschlossen, in den Bereich Forschung und Entwicklung einzusteigen. Dies ist eine klassische Wette auf die Zukunft, die jedoch mit hohen Kosten verbunden ist. In der Luftfahrt können zehn Jahre vergehen, bis eine Eigenentwicklung marktreif ist. Eines unserer vielversprechendsten Projekte ist ein Pilotensitz, der mit einem EKG-System ausgestattet ist. Dieses System erfasst durch die Uniform des Piloten kontaktlos medizinische Daten, die in Echtzeit ausgewertet werden. Warum ist das wichtig? In Zukunft wird es im kommerziellen Flugverkehr voraussichtlich nur noch einen Piloten im Cockpit geben (Single Pilot Operations). Der Regulator, also die Luftfahrtbehörden, verlangt, dass dieser Pilot lückenlos überwacht wird, um im Notfall per Fernsteuerung eingreifen zu können. Wir sind weltweit eine von zwei Firmen, die ein System entwickelt haben, das bereits in der Luftfahrt getestet wird. Dieses System könnte jedoch auch in anderen Bereichen eingesetzt werden, nicht nur in der Luftfahrt. Wenn Sie mich also heute fragen: Was macht die ACM Aerospace? Dann sind wir weder ein klassischer Handwerksbetrieb noch ein typischer internationaler Luftfahrtzulieferer. Wir sind viel mehr. Unsere Struktur umfasst Mutter- und Schwestergesellschaften, die in verschiedenen Branchen tätig sind. Dazu gehören IT, Recruiting, Engineering und Projektmanagement, und das nicht nur in der Luftfahrt, sondern auch im Schiffbau, Maschinenbau, Kraftwerkbau und im Bereich der erneuerbaren Energien. Obwohl wir in vielen Bereichen tätig sind, sind wir kein Grosskonzern, sondern ein Familienunternehmen. Das gibt uns grosse Freiheiten und eine bemerkenswerte Agilität, zwei unserer wichtigsten Alleinstellungsmerkmale.

Was waren die Hauptgründe für ACM Aerospace, in der Schweiz eine Niederlassung zu eröffnen?
Als Schweizer, der in Wolfhalden wohnt – nur fünf Autominuten von unserem neuen Standort in Thal entfernt – war es immer mein Wunsch, in der Schweiz zu arbeiten, statt täglich 250 km zu pendeln. Aber persönliche Wünsche allein reichen nicht aus, um solche Entscheidungen zu treffen. Vor etwa eineinhalb Jahren wurden wir von einer der weltweit grössten Airline-Gruppen kontaktiert. Sie fragten uns, ob wir uns vorstellen könnten, in der Schweiz Luftfrachtcontainer zu bauen und zu reparieren. Obwohl wir bis dahin keinerlei Erfahrung in diesem Bereich hatten, war der Vertrag langfristig genug, dass wir uns intensiv damit auseinandersetzten. Nach fast einjährigen Verhandlungen kristallisierte sich heraus, dass es nicht nur um den Schweizer Markt geht, sondern auch um Standorte wie die Vereinigten Arabischen Emirate. Damit war der passende Anwendungsfall für einen Markteintritt in der Schweiz gefunden.

 

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«Ein entscheidender Vorteil der Schweiz ist das funktionierende System der Luftfahrtbehörden.»

Das heisst, die Schweiz ist bezüglich Fertigungskosten konkurrenzfähig zu Deutschland?
Ja, das mag vor einigen Jahren noch unmöglich erschienen sein, aber das Blatt hat sich gewendet. Natürlich hat die Schweiz höhere Lohnkosten als das benachbarte Ausland, aber dafür bietet sie eine Stabilität und Qualität, die in vielen anderen Ländern nicht vorhanden ist. Das politische Umfeld in der Schweiz ist stabil, und es gibt attraktive steuerliche Konditionen. Ausserdem hat der starke Schweizer Franken Vorteile, die oft übersehen werden: Zwar steigen die Verkaufspreise, aber gleichzeitig sinken die Importkosten.

Bietet die Schweiz noch andere Vorteile für die Luftfahrtindustrie im Vergleich zu anderen Standorten in Europa?
Absolut! Ein entscheidender Vorteil der Schweiz ist das intakte und funktionierende System der Luftfahrtbehörden. Im Vergleich zu anderen Ländern, besonders in der EU, arbeiten die Schweizer Behörden zuverlässig, schnell und kompetent. Für ein reguliertes Unternehmen wie uns ist dies von enormer Bedeutung. Deswegen denken wir sogar darüber nach, sämtliche unserer Luftfahrtlizenzen in die Schweiz zu verlagern, um nicht mehr von ausländischen Behörden abhängig zu sein.

Und weshalb kommt ACM gerade in die Ostschweiz?
Die Wahl des Standorts war alles andere als einfach. Einige unserer Kunden bevorzugten eine Ansiedlung am Flughafen Zürich, was logistisch einfacher gewesen wäre. Aber mit Quadratmeterpreisen von bis zu 60 Franken pro Monat war es für uns nicht möglich, dort gewinnorientiert zu arbeiten. Deshalb entschieden wir uns für Plan B: die Ostschweiz, nahe der österreichischen Grenze. Dieser Standort hat mehrere Vorteile, unter anderem die Nähe zu unserem Hauptwerk in Memmingen und die gute Anbindung an die Autobahn und den Flughafen Zürich. Zudem bietet die Region unseren Mitarbeitern eine ausgezeichnete Work-Life-Balance.

 

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«Die Produktion und Reparatur von Luftfrachtcontainern ist unsere Eintrittskarte in den Schweizer Markt.»

ACM Aerospace ist bekannt für die Herstellung von Komponenten für Flugzeugkabinen. Welche Produkte werden in Thal produziert?
Wir starten mit der Produktion und Reparatur von Luftfrachtcontainern. Dies ist unsere Eintrittskarte in den Schweizer Markt. Wir gehen davon aus, dass wir innerhalb von sechs bis zwölf Monaten unsere Operationen vollständig hochgefahren haben werden. Aber wir planen bereits darüber hinaus. Es gibt viele Möglichkeiten, zusätzliche Produkte und Dienstleistungen in Thal anzubieten. Unsere Expertise ermöglicht es uns, bestehende Produkte schnell zwischen den Standorten zu verlagern. Gleichzeitig prüfen wir auch neue Geschäftsfelder, in denen ACM Aerospace bisher nicht tätig war.

Wie viele Arbeitsplätze sollen hier geschaffen werden?
Wir starten klein, mit zehn Arbeitsplätzen, um den Betrieb anlaufen zu lassen. Innerhalb eines Jahres wollen wir jedoch die volle Produktivität erreichen. Bis Ende 2025 planen wir, zwischen 20 und 30 Mitarbeiter zu beschäftigen. Natürlich hängt das weitere Wachstum stark davon ab, welche zusätzlichen Geschäftsfelder wir in Thal entwickeln. 

In welchen Bereichen sehen Sie das grösste Potenzial für Wachstum und Zusammenarbeit mit lokalen Partnern?
Wir legen grossen Wert auf regionale Wertschöpfung und kurze Wege, sowohl bei Entscheidungen als auch in der Lieferkette. Dies ist jedoch nicht immer möglich, da Lieferanten in der Luftfahrt strengen regulatorischen Anforderungen genügen müssen. Dennoch sehe ich grosses Potenzial für die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern, insbesondere in der Ostschweiz. Wir arbeiten bereits jetzt mit Lieferanten aus der Region zusammen, vorwiegend im Bereich Textilien. Auch einer unserer führenden Lederlieferanten stammt aus der Schweiz. Diese Partnerschaften möchten wir in Zukunft weiter ausbauen.

Text: Stephan Ziegler

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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